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[La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 2. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771.

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Eigenliebe arbeitete. O, wie sehr hab' ich
den Unterschied der Würkungen der Em-
pfindsamkeit für andere,
und der für
uns allein
kennen gelernt!

Die zwote ist billig, und allen Men-
schen natürlich! aber die erste allein ist
edel; sie allein unterhält die Wahrschein-
lichkeit des Ausdrucks, daß wir nach dem
Ebenbild unsers Urhebers geschaffen seyn,
weil diese Empfindsamkeit für das Wohl
und Elend unsers Nebenmenschen die
Triebfeder der Wohlthätigkeit ist, der
einzigen Eigenschaft, welche ein zwar un-
vollkommnes, aber gewiß ächtes Gepräge
dieses göttlichen Ebenbildes mit sich führt;
ein Gepräge, so der Schöpfer allen Crea-
turen der Cörperwelt eindrückte, als in
welcher das geringste Grashälmchen durch
seinen Beytrag zur Nahrung der Thiere
eben so wohlthätig ist, als der starke
Baum es auf so mancherley Weise für
uns wird. Das kleinste Sandkörnchen
erfüllt seine Bestimmung wohlthätig zu
seyn, und die Erde durch Lockernheit
fruchtbar zu erhalten, so wie die großen

Felsen


Eigenliebe arbeitete. O, wie ſehr hab’ ich
den Unterſchied der Wuͤrkungen der Em-
pfindſamkeit fuͤr andere,
und der fuͤr
uns allein
kennen gelernt!

Die zwote iſt billig, und allen Men-
ſchen natuͤrlich! aber die erſte allein iſt
edel; ſie allein unterhaͤlt die Wahrſchein-
lichkeit des Ausdrucks, daß wir nach dem
Ebenbild unſers Urhebers geſchaffen ſeyn,
weil dieſe Empfindſamkeit fuͤr das Wohl
und Elend unſers Nebenmenſchen die
Triebfeder der Wohlthaͤtigkeit iſt, der
einzigen Eigenſchaft, welche ein zwar un-
vollkommnes, aber gewiß aͤchtes Gepraͤge
dieſes goͤttlichen Ebenbildes mit ſich fuͤhrt;
ein Gepraͤge, ſo der Schoͤpfer allen Crea-
turen der Coͤrperwelt eindruͤckte, als in
welcher das geringſte Grashaͤlmchen durch
ſeinen Beytrag zur Nahrung der Thiere
eben ſo wohlthaͤtig iſt, als der ſtarke
Baum es auf ſo mancherley Weiſe fuͤr
uns wird. Das kleinſte Sandkoͤrnchen
erfuͤllt ſeine Beſtimmung wohlthaͤtig zu
ſeyn, und die Erde durch Lockernheit
fruchtbar zu erhalten, ſo wie die großen

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[24/0030] Eigenliebe arbeitete. O, wie ſehr hab’ ich den Unterſchied der Wuͤrkungen der Em- pfindſamkeit fuͤr andere, und der fuͤr uns allein kennen gelernt! Die zwote iſt billig, und allen Men- ſchen natuͤrlich! aber die erſte allein iſt edel; ſie allein unterhaͤlt die Wahrſchein- lichkeit des Ausdrucks, daß wir nach dem Ebenbild unſers Urhebers geſchaffen ſeyn, weil dieſe Empfindſamkeit fuͤr das Wohl und Elend unſers Nebenmenſchen die Triebfeder der Wohlthaͤtigkeit iſt, der einzigen Eigenſchaft, welche ein zwar un- vollkommnes, aber gewiß aͤchtes Gepraͤge dieſes goͤttlichen Ebenbildes mit ſich fuͤhrt; ein Gepraͤge, ſo der Schoͤpfer allen Crea- turen der Coͤrperwelt eindruͤckte, als in welcher das geringſte Grashaͤlmchen durch ſeinen Beytrag zur Nahrung der Thiere eben ſo wohlthaͤtig iſt, als der ſtarke Baum es auf ſo mancherley Weiſe fuͤr uns wird. Das kleinſte Sandkoͤrnchen erfuͤllt ſeine Beſtimmung wohlthaͤtig zu ſeyn, und die Erde durch Lockernheit fruchtbar zu erhalten, ſo wie die großen Felſen

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Zitationshilfe: [La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 2. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laroche_geschichte02_1771/30>, abgerufen am 21.11.2024.