[La Roche, Sophie von]: Geschichte des Fräuleins von Sternheim. Bd. 2. Hrsg. v. Christoph Martin Wieland. Leipzig, 1771.dam Leidens hatte ein Bouquet italiänische Blumen vor sich, die sie für Stühle zum Verkauf abzeichnet. Der jüngere Sohn und die älteste Tochter sahen ihr auf die Finger, und sie redete recht süß und freund- lich mit ihnen. Jch mußte über sie wei- nen, und auch über die Kinder, die sie so lieb haben, und mir so dankten. Der wilde Mann wurde roth, wie er mir dankte, und die Frau lachte ganz leicht- sinnig dabey; das thut aber nichts, ich will Jhnen, wie es Madam Leidens ver- anstaltete, aufhelfen, bis sie ganz auf den Beinen sind; und Jungfer Lehne soll den ersten Platz der Lehrmeisterinnen für Cammerjungfern haben. Jch ließ zartes Abendbrodt und gutes Obst holen; Sie können nicht glauben, wie die Kinder Freude daran hatten; aber Madam Lei- dens war nicht damit zufrieden. Sie fürchtet, die geringen Speisen, welche das wenige Vermögen zuläßt, möchten itzt den Kindern nicht mehr so lieb seyn; sie sagt: sie wolle sie nicht durch den Ma- F 5
dam Leidens hatte ein Bouquet italiaͤniſche Blumen vor ſich, die ſie fuͤr Stuͤhle zum Verkauf abzeichnet. Der juͤngere Sohn und die aͤlteſte Tochter ſahen ihr auf die Finger, und ſie redete recht ſuͤß und freund- lich mit ihnen. Jch mußte uͤber ſie wei- nen, und auch uͤber die Kinder, die ſie ſo lieb haben, und mir ſo dankten. Der wilde Mann wurde roth, wie er mir dankte, und die Frau lachte ganz leicht- ſinnig dabey; das thut aber nichts, ich will Jhnen, wie es Madam Leidens ver- anſtaltete, aufhelfen, bis ſie ganz auf den Beinen ſind; und Jungfer Lehne ſoll den erſten Platz der Lehrmeiſterinnen fuͤr Cammerjungfern haben. Jch ließ zartes Abendbrodt und gutes Obſt holen; Sie koͤnnen nicht glauben, wie die Kinder Freude daran hatten; aber Madam Lei- dens war nicht damit zufrieden. Sie fuͤrchtet, die geringen Speiſen, welche das wenige Vermoͤgen zulaͤßt, moͤchten itzt den Kindern nicht mehr ſo lieb ſeyn; ſie ſagt: ſie wolle ſie nicht durch den Ma- F 5
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kleinen Maͤdchen, und lehrte ihr naͤhen; Ma-
dam Leidens hatte ein Bouquet italiaͤniſche
Blumen vor ſich, die ſie fuͤr Stuͤhle zum
Verkauf abzeichnet. Der juͤngere Sohn
und die aͤlteſte Tochter ſahen ihr auf die
Finger, und ſie redete recht ſuͤß und freund-
lich mit ihnen. Jch mußte uͤber ſie wei-
nen, und auch uͤber die Kinder, die ſie
ſo lieb haben, und mir ſo dankten. Der
wilde Mann wurde roth, wie er mir
dankte, und die Frau lachte ganz leicht-
ſinnig dabey; das thut aber nichts, ich
will Jhnen, wie es Madam Leidens ver-
anſtaltete, aufhelfen, bis ſie ganz auf
den Beinen ſind; und Jungfer Lehne ſoll
den erſten Platz der Lehrmeiſterinnen fuͤr
Cammerjungfern haben. Jch ließ zartes
Abendbrodt und gutes Obſt holen; Sie
koͤnnen nicht glauben, wie die Kinder
Freude daran hatten; aber Madam Lei-
dens war nicht damit zufrieden. Sie
fuͤrchtet, die geringen Speiſen, welche
das wenige Vermoͤgen zulaͤßt, moͤchten
itzt den Kindern nicht mehr ſo lieb ſeyn;
ſie ſagt: ſie wolle ſie nicht durch den
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