Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lassalle, Ferdinand: Die indirekte Steuer und die Lage der arbeitenden Klassen. Zürich, 1863.

Bild:
<< vorherige Seite

zweimal auf diese meine Behauptung mit großer Emphase
zurückgekommen.

Aber ich kann von dieser historischen Wahrheit, eben so
wenig wie von den früheren, auch nicht ein Jota aufgeben. Jm
Gegentheil!

Wäre es mir nicht unmöglich, etwas zu sagen, was nicht
durchaus präcis ist, so hätte ich mich sogar mit großer innerer
Wahrheit so ausdrücken können: die Bourgeoisie habe das
System der indirecten Steuern geschaffen! Freilich, schon die
Römer und andere Völker des Alterthums hatten vectigalia.
Jm Beginn des Mittelalters existirten, wenn auch vorübergehend,
unter den Carolingern gewisse Arten von Zölle, wie die Capitu-
larien zeigen.

Aber alles dies und ähnliches hatte ein ganz andres
Wesen und eine ganz andere Bedeutung als das moderne
System der indirecten Steuern. Gleichwohl war mir dies ein
Grund mit der subtilsten historischen Präcision zu sagen, die
Bourgeoisie habe die indirecten Steuern nicht erfunden, sondern
nur zu einem unerhörten System entwickelt.

Und wie absolut unbestreitbar dies sei, dafür kann ich
Sie zunächst an die schon früher von mir angeführten Worte
des Bourgeois-Oekonomen Say erinnern: man habe in den
modernen Zeiten den indirecten Steuern une extension scanda-
leuse,
eine scandalöse Ausdehnung gegeben. Jndeß das
ist nur ein Urtheil, und auch Say, obgleich Bourgeois-Oeko-
nom, könnte falsch urtheilen. Hören Sie also die Thatsachen.

Sie brauchen nicht zu besorgen, daß ich irgend wie aus-
führlicher in diese reiche und mosaikartige Materie eingehen
werde, die mich dann wieder mehre Stunden aufhalten müßte.
Sehr wenige Bemerkungen und Thatsachen werden vollkommen
genügen.

Jm früheren Mittelalter erhoben bekanntlich im Allge-
meinen die Könige überhaupt nicht Steuern, sondern bestritten
die Staats-Ausgaben aus dem Ertrage der Domänen, die
ihnen zu diesem Zweck überlassen waren. Außerordentliche
Ausgaben machten in gewissen Fällen außerordentliche Zuschüsse
nöthig, die adjutoria, oder wie sie in Frankreich hießen, aides,
bei uns Beden, was man von beden, bitten oder mit
Justus Möser von Bäte, Bat, Hülfe ableitet.

Diese aides oder Beden bestanden im Ganzen nur sehr

zweimal auf dieſe meine Behauptung mit großer Emphaſe
zurückgekommen.

Aber ich kann von dieſer hiſtoriſchen Wahrheit, eben ſo
wenig wie von den früheren, auch nicht ein Jota aufgeben. Jm
Gegentheil!

Wäre es mir nicht unmöglich, etwas zu ſagen, was nicht
durchaus präcis iſt, ſo hätte ich mich ſogar mit großer innerer
Wahrheit ſo ausdrücken können: die Bourgeoiſie habe das
Syſtem der indirecten Steuern geſchaffen! Freilich, ſchon die
Römer und andere Völker des Alterthums hatten vectigalia.
Jm Beginn des Mittelalters exiſtirten, wenn auch vorübergehend,
unter den Carolingern gewiſſe Arten von Zölle, wie die Capitu-
larien zeigen.

Aber alles dies und ähnliches hatte ein ganz andres
Weſen und eine ganz andere Bedeutung als das moderne
Syſtem der indirecten Steuern. Gleichwohl war mir dies ein
Grund mit der ſubtilſten hiſtoriſchen Präciſion zu ſagen, die
Bourgeoiſie habe die indirecten Steuern nicht erfunden, ſondern
nur zu einem unerhörten Syſtem entwickelt.

Und wie abſolut unbeſtreitbar dies ſei, dafür kann ich
Sie zunächſt an die ſchon früher von mir angeführten Worte
des Bourgeois-Oekonomen Say erinnern: man habe in den
modernen Zeiten den indirecten Steuern une extension scanda-
leuse,
eine ſcandalöſe Ausdehnung gegeben. Jndeß das
iſt nur ein Urtheil, und auch Say, obgleich Bourgeois-Oeko-
nom, könnte falſch urtheilen. Hören Sie alſo die Thatſachen.

Sie brauchen nicht zu beſorgen, daß ich irgend wie aus-
führlicher in dieſe reiche und moſaikartige Materie eingehen
werde, die mich dann wieder mehre Stunden aufhalten müßte.
Sehr wenige Bemerkungen und Thatſachen werden vollkommen
genügen.

Jm früheren Mittelalter erhoben bekanntlich im Allge-
meinen die Könige überhaupt nicht Steuern, ſondern beſtritten
die Staats-Ausgaben aus dem Ertrage der Domänen, die
ihnen zu dieſem Zweck überlaſſen waren. Außerordentliche
Ausgaben machten in gewiſſen Fällen außerordentliche Zuſchüſſe
nöthig, die adjutoria, oder wie ſie in Frankreich hießen, aides,
bei uns Beden, was man von beden, bitten oder mit
Juſtus Möſer von Bäte, Bat, Hülfe ableitet.

Dieſe aides oder Beden beſtanden im Ganzen nur ſehr

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0104" n="98"/>
zweimal auf die&#x017F;e meine Behauptung mit großer Empha&#x017F;e<lb/>
zurückgekommen.</p><lb/>
        <p>Aber ich kann von die&#x017F;er hi&#x017F;tori&#x017F;chen Wahrheit, eben &#x017F;o<lb/>
wenig wie von den früheren, auch nicht ein Jota aufgeben. Jm<lb/>
Gegentheil!</p><lb/>
        <p>Wäre es mir nicht unmöglich, etwas zu &#x017F;agen, was nicht<lb/>
durchaus präcis i&#x017F;t, &#x017F;o hätte ich mich &#x017F;ogar mit großer <hi rendition="#g">innerer</hi><lb/>
Wahrheit &#x017F;o ausdrücken können: die Bourgeoi&#x017F;ie habe das<lb/>
Sy&#x017F;tem der indirecten Steuern <hi rendition="#g">ge&#x017F;chaffen!</hi> Freilich, &#x017F;chon die<lb/>
Römer und andere Völker des Alterthums hatten <hi rendition="#aq">vectigalia.</hi><lb/>
Jm Beginn des Mittelalters exi&#x017F;tirten, wenn auch vorübergehend,<lb/>
unter den Carolingern gewi&#x017F;&#x017F;e Arten von Zölle, wie die Capitu-<lb/>
larien zeigen.</p><lb/>
        <p>Aber alles dies und ähnliches hatte ein ganz andres<lb/>
We&#x017F;en und eine ganz andere Bedeutung als das moderne<lb/>
Sy&#x017F;tem der indirecten Steuern. Gleichwohl war mir dies ein<lb/>
Grund mit der &#x017F;ubtil&#x017F;ten hi&#x017F;tori&#x017F;chen Präci&#x017F;ion zu &#x017F;agen, die<lb/>
Bourgeoi&#x017F;ie habe die indirecten Steuern nicht erfunden, &#x017F;ondern<lb/>
nur zu einem unerhörten Sy&#x017F;tem entwickelt.</p><lb/>
        <p>Und wie ab&#x017F;olut unbe&#x017F;treitbar <hi rendition="#g">dies</hi> &#x017F;ei, dafür kann ich<lb/>
Sie zunäch&#x017F;t an die &#x017F;chon früher von mir angeführten Worte<lb/>
des Bourgeois-Oekonomen Say erinnern: man habe in den<lb/>
modernen Zeiten den indirecten Steuern <hi rendition="#aq">une extension scanda-<lb/>
leuse,</hi> eine <hi rendition="#g">&#x017F;candalö&#x017F;e</hi> Ausdehnung gegeben. Jndeß das<lb/>
i&#x017F;t nur ein Urtheil, und auch Say, obgleich Bourgeois-Oeko-<lb/>
nom, könnte fal&#x017F;ch urtheilen. Hören Sie al&#x017F;o die That&#x017F;achen.</p><lb/>
        <p>Sie brauchen nicht zu be&#x017F;orgen, daß ich irgend wie aus-<lb/>
führlicher in die&#x017F;e reiche und mo&#x017F;aikartige Materie eingehen<lb/>
werde, die mich dann wieder mehre Stunden aufhalten müßte.<lb/>
Sehr wenige Bemerkungen und That&#x017F;achen werden vollkommen<lb/>
genügen.</p><lb/>
        <p>Jm früheren Mittelalter erhoben bekanntlich im Allge-<lb/>
meinen die Könige überhaupt nicht Steuern, &#x017F;ondern be&#x017F;tritten<lb/>
die Staats-Ausgaben aus dem Ertrage der <hi rendition="#g">Domänen,</hi> die<lb/>
ihnen zu die&#x017F;em Zweck überla&#x017F;&#x017F;en waren. Außerordentliche<lb/>
Ausgaben machten in gewi&#x017F;&#x017F;en Fällen außerordentliche Zu&#x017F;chü&#x017F;&#x017F;e<lb/>
nöthig, die <hi rendition="#aq">adjutoria,</hi> oder wie &#x017F;ie in Frankreich hießen, <hi rendition="#aq">aides,</hi><lb/>
bei uns <hi rendition="#g">Beden,</hi> was man von <hi rendition="#g">beden, bitten</hi> oder mit<lb/>
Ju&#x017F;tus Mö&#x017F;er von <hi rendition="#g">Bäte, Bat, Hülfe</hi> ableitet.</p><lb/>
        <p>Die&#x017F;e <hi rendition="#aq">aides</hi> oder Beden be&#x017F;tanden im Ganzen nur &#x017F;ehr<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[98/0104] zweimal auf dieſe meine Behauptung mit großer Emphaſe zurückgekommen. Aber ich kann von dieſer hiſtoriſchen Wahrheit, eben ſo wenig wie von den früheren, auch nicht ein Jota aufgeben. Jm Gegentheil! Wäre es mir nicht unmöglich, etwas zu ſagen, was nicht durchaus präcis iſt, ſo hätte ich mich ſogar mit großer innerer Wahrheit ſo ausdrücken können: die Bourgeoiſie habe das Syſtem der indirecten Steuern geſchaffen! Freilich, ſchon die Römer und andere Völker des Alterthums hatten vectigalia. Jm Beginn des Mittelalters exiſtirten, wenn auch vorübergehend, unter den Carolingern gewiſſe Arten von Zölle, wie die Capitu- larien zeigen. Aber alles dies und ähnliches hatte ein ganz andres Weſen und eine ganz andere Bedeutung als das moderne Syſtem der indirecten Steuern. Gleichwohl war mir dies ein Grund mit der ſubtilſten hiſtoriſchen Präciſion zu ſagen, die Bourgeoiſie habe die indirecten Steuern nicht erfunden, ſondern nur zu einem unerhörten Syſtem entwickelt. Und wie abſolut unbeſtreitbar dies ſei, dafür kann ich Sie zunächſt an die ſchon früher von mir angeführten Worte des Bourgeois-Oekonomen Say erinnern: man habe in den modernen Zeiten den indirecten Steuern une extension scanda- leuse, eine ſcandalöſe Ausdehnung gegeben. Jndeß das iſt nur ein Urtheil, und auch Say, obgleich Bourgeois-Oeko- nom, könnte falſch urtheilen. Hören Sie alſo die Thatſachen. Sie brauchen nicht zu beſorgen, daß ich irgend wie aus- führlicher in dieſe reiche und moſaikartige Materie eingehen werde, die mich dann wieder mehre Stunden aufhalten müßte. Sehr wenige Bemerkungen und Thatſachen werden vollkommen genügen. Jm früheren Mittelalter erhoben bekanntlich im Allge- meinen die Könige überhaupt nicht Steuern, ſondern beſtritten die Staats-Ausgaben aus dem Ertrage der Domänen, die ihnen zu dieſem Zweck überlaſſen waren. Außerordentliche Ausgaben machten in gewiſſen Fällen außerordentliche Zuſchüſſe nöthig, die adjutoria, oder wie ſie in Frankreich hießen, aides, bei uns Beden, was man von beden, bitten oder mit Juſtus Möſer von Bäte, Bat, Hülfe ableitet. Dieſe aides oder Beden beſtanden im Ganzen nur ſehr

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lassalle_steuer_1863
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lassalle_steuer_1863/104
Zitationshilfe: Lassalle, Ferdinand: Die indirekte Steuer und die Lage der arbeitenden Klassen. Zürich, 1863, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lassalle_steuer_1863/104>, abgerufen am 10.05.2024.