Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lassalle, Ferdinand: Die indirekte Steuer und die Lage der arbeitenden Klassen. Zürich, 1863.

Bild:
<< vorherige Seite

Hand besonderer Klassen statt in die Hand des gesammten Vol-
kes zu legen! Sie als ein bevorzugtes Recht in die Hand gerade
derjenigen Klassen zu legen, welche, um wieder auf die
eigene These des Staatsanwaltes zu verweisen, den unendlich
geringeren Theil zu den Lasten des Staates beitragen.

Es handelt sich darum die öffentliche Meinung über diese
Ungerechtigkeit und diese Unmöglichkeit aufzuklären, sie zur all-
gemeinen Ueberzeugung zu erheben und selbst die widerstreben-
den Gemüther mit ihr zu durchdringen. Es handelt sich darum
hierdurch die Grundlage zur friedlichen Beseitigung einer Ein-
richtung zu legen, die gerade, wenn sie fortdauerte, auf die Länge
der Zeit Klassenhaß erzeugen müßte.

Es handelt sich darum, vor allem gerade die Bourgeoisie
selbst
zu überzeugen, daß sie nur zu wählen hat zwischen dem
reinen Absolutismus und dem allgemeinen Wahlrecht, daß alles,
was dazwischen liegt von dem ehernen Gang der Geschichte zer-
treten werden muß und daß, wenn sie wirklich auf den Constitu-
tionalismus hält, sie denselben nur retten kann, indem sie ihm
das allgemeine Wahlrecht zur Grundlage giebt und diesen Ruf
zu ihrem eigenen und aufrichtigen mot d'ordre erhebt.

Jch will der Bourgeoisie das Schicksal ersparen, welches sie
in Frankreich unter die Füße Napoleon's getreten hat -- und
diesen Appell an die öffentliche Vernunft und das öffentliche
Gewissen nennt der Staatsanwalt Anreizung zu Haß und Ver-
achtung!

Noch auf zwei Punkte habe ich zu antworten.

Jch hatte in meiner Rede im ersten Theile derselben bei
Betrachtung des Mittelalters erwähnt, daß schon im Jahre 1672
auf dem deutschen Reichstag, schon im Jahre 1614 auf den fran-
zösischen etats generaux, die Aufhebung der Zünfte verlangt
worden sei. Jch hatte erwähnt, daß im Jahre 1776 der refor-
mirende Minister Turgot in Frankreich die Zünfte aufhebt,
der König aber durch das Geschrei der privilegirten Klassen
gezwungen wird, wenige Monate darauf sein eigenes Edict zu
widerrufen, und daß endlich durch den Bastillesturm in einem
Tage erwirkt wurde, was in Deutschland und Frankreich seit fast
zwei Jahrhunderten vergeblich erstrebt worden war.

Jch hatte hieran folgende vollkommen objective und histo-
rische Betrachtung geknüpft: "Sie ersehen daraus, meine Her-
ren, daß, welche große Vortheile auch dem Reformiren auf

Hand beſonderer Klaſſen ſtatt in die Hand des geſammten Vol-
kes zu legen! Sie als ein bevorzugtes Recht in die Hand gerade
derjenigen Klaſſen zu legen, welche, um wieder auf die
eigene Theſe des Staatsanwaltes zu verweiſen, den unendlich
geringeren Theil zu den Laſten des Staates beitragen.

Es handelt ſich darum die öffentliche Meinung über dieſe
Ungerechtigkeit und dieſe Unmöglichkeit aufzuklären, ſie zur all-
gemeinen Ueberzeugung zu erheben und ſelbſt die widerſtreben-
den Gemüther mit ihr zu durchdringen. Es handelt ſich darum
hierdurch die Grundlage zur friedlichen Beſeitigung einer Ein-
richtung zu legen, die gerade, wenn ſie fortdauerte, auf die Länge
der Zeit Klaſſenhaß erzeugen müßte.

Es handelt ſich darum, vor allem gerade die Bourgeoiſie
ſelbſt
zu überzeugen, daß ſie nur zu wählen hat zwiſchen dem
reinen Abſolutismus und dem allgemeinen Wahlrecht, daß alles,
was dazwiſchen liegt von dem ehernen Gang der Geſchichte zer-
treten werden muß und daß, wenn ſie wirklich auf den Conſtitu-
tionalismus hält, ſie denſelben nur retten kann, indem ſie ihm
das allgemeine Wahlrecht zur Grundlage giebt und dieſen Ruf
zu ihrem eigenen und aufrichtigen mot d’ordre erhebt.

Jch will der Bourgeoiſie das Schickſal erſparen, welches ſie
in Frankreich unter die Füße Napoleon’s getreten hat — und
dieſen Appell an die öffentliche Vernunft und das öffentliche
Gewiſſen nennt der Staatsanwalt Anreizung zu Haß und Ver-
achtung!

Noch auf zwei Punkte habe ich zu antworten.

Jch hatte in meiner Rede im erſten Theile derſelben bei
Betrachtung des Mittelalters erwähnt, daß ſchon im Jahre 1672
auf dem deutſchen Reichstag, ſchon im Jahre 1614 auf den fran-
zöſiſchen états généraux, die Aufhebung der Zünfte verlangt
worden ſei. Jch hatte erwähnt, daß im Jahre 1776 der refor-
mirende Miniſter Turgot in Frankreich die Zünfte aufhebt,
der König aber durch das Geſchrei der privilegirten Klaſſen
gezwungen wird, wenige Monate darauf ſein eigenes Edict zu
widerrufen, und daß endlich durch den Baſtilleſturm in einem
Tage erwirkt wurde, was in Deutſchland und Frankreich ſeit faſt
zwei Jahrhunderten vergeblich erſtrebt worden war.

Jch hatte hieran folgende vollkommen objective und hiſto-
riſche Betrachtung geknüpft: „Sie erſehen daraus, meine Her-
ren, daß, welche große Vortheile auch dem Reformiren auf

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <floatingText>
          <body>
            <div type="letter">
              <p><pb facs="#f0134" n="128"/>
Hand be&#x017F;onderer Kla&#x017F;&#x017F;en &#x017F;tatt in die Hand des ge&#x017F;ammten Vol-<lb/>
kes zu legen! Sie als ein bevorzugtes Recht in die Hand gerade<lb/><hi rendition="#g">derjenigen</hi> Kla&#x017F;&#x017F;en zu legen, welche, um wieder auf die<lb/>
eigene The&#x017F;e des Staatsanwaltes zu verwei&#x017F;en, den unendlich<lb/><hi rendition="#g">geringeren</hi> Theil zu den La&#x017F;ten des Staates beitragen.</p><lb/>
              <p>Es handelt &#x017F;ich darum die öffentliche Meinung über die&#x017F;e<lb/>
Ungerechtigkeit und die&#x017F;e Unmöglichkeit aufzuklären, &#x017F;ie zur all-<lb/>
gemeinen Ueberzeugung zu erheben und &#x017F;elb&#x017F;t die wider&#x017F;treben-<lb/>
den Gemüther mit ihr zu durchdringen. Es handelt &#x017F;ich darum<lb/>
hierdurch die Grundlage zur friedlichen Be&#x017F;eitigung einer Ein-<lb/>
richtung zu legen, die gerade, wenn &#x017F;ie fortdauerte, auf die Länge<lb/>
der Zeit Kla&#x017F;&#x017F;enhaß erzeugen müßte.</p><lb/>
              <p>Es handelt &#x017F;ich darum, vor allem gerade <hi rendition="#g">die Bourgeoi&#x017F;ie<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t</hi> zu überzeugen, daß &#x017F;ie nur zu wählen hat zwi&#x017F;chen dem<lb/>
reinen Ab&#x017F;olutismus und dem allgemeinen Wahlrecht, daß alles,<lb/>
was dazwi&#x017F;chen liegt von dem ehernen Gang der Ge&#x017F;chichte zer-<lb/>
treten werden muß und daß, wenn &#x017F;ie wirklich auf den Con&#x017F;titu-<lb/>
tionalismus hält, &#x017F;ie den&#x017F;elben nur retten kann, indem &#x017F;ie ihm<lb/>
das allgemeine Wahlrecht zur Grundlage giebt und die&#x017F;en Ruf<lb/>
zu ihrem eigenen und aufrichtigen <hi rendition="#aq">mot d&#x2019;ordre</hi> erhebt.</p><lb/>
              <p>Jch will der Bourgeoi&#x017F;ie das Schick&#x017F;al er&#x017F;paren, welches &#x017F;ie<lb/>
in Frankreich unter die Füße Napoleon&#x2019;s getreten hat &#x2014; und<lb/>
die&#x017F;en Appell an die öffentliche Vernunft und das öffentliche<lb/>
Gewi&#x017F;&#x017F;en nennt der Staatsanwalt Anreizung zu Haß und Ver-<lb/>
achtung!</p><lb/>
              <p>Noch auf zwei Punkte habe ich zu antworten.</p><lb/>
              <p>Jch hatte in meiner Rede im er&#x017F;ten Theile der&#x017F;elben bei<lb/>
Betrachtung des Mittelalters erwähnt, daß &#x017F;chon im Jahre 1672<lb/>
auf dem deut&#x017F;chen Reichstag, &#x017F;chon im Jahre 1614 auf den fran-<lb/>&#x017F;i&#x017F;chen <hi rendition="#aq">états généraux,</hi> die Aufhebung der Zünfte verlangt<lb/>
worden &#x017F;ei. Jch hatte erwähnt, daß im Jahre 1776 der refor-<lb/>
mirende Mini&#x017F;ter Turgot in Frankreich die Zünfte aufhebt,<lb/>
der König aber durch das Ge&#x017F;chrei der privilegirten Kla&#x017F;&#x017F;en<lb/>
gezwungen wird, wenige Monate darauf &#x017F;ein eigenes Edict zu<lb/>
widerrufen, und daß endlich durch den Ba&#x017F;tille&#x017F;turm in einem<lb/>
Tage erwirkt wurde, was in Deut&#x017F;chland und Frankreich &#x017F;eit fa&#x017F;t<lb/>
zwei Jahrhunderten vergeblich er&#x017F;trebt worden war.</p><lb/>
              <p>Jch hatte hieran folgende vollkommen objective und hi&#x017F;to-<lb/>
ri&#x017F;che Betrachtung geknüpft: &#x201E;Sie er&#x017F;ehen daraus, meine Her-<lb/>
ren, daß, welche große Vortheile auch dem Reformiren auf<lb/></p>
            </div>
          </body>
        </floatingText>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[128/0134] Hand beſonderer Klaſſen ſtatt in die Hand des geſammten Vol- kes zu legen! Sie als ein bevorzugtes Recht in die Hand gerade derjenigen Klaſſen zu legen, welche, um wieder auf die eigene Theſe des Staatsanwaltes zu verweiſen, den unendlich geringeren Theil zu den Laſten des Staates beitragen. Es handelt ſich darum die öffentliche Meinung über dieſe Ungerechtigkeit und dieſe Unmöglichkeit aufzuklären, ſie zur all- gemeinen Ueberzeugung zu erheben und ſelbſt die widerſtreben- den Gemüther mit ihr zu durchdringen. Es handelt ſich darum hierdurch die Grundlage zur friedlichen Beſeitigung einer Ein- richtung zu legen, die gerade, wenn ſie fortdauerte, auf die Länge der Zeit Klaſſenhaß erzeugen müßte. Es handelt ſich darum, vor allem gerade die Bourgeoiſie ſelbſt zu überzeugen, daß ſie nur zu wählen hat zwiſchen dem reinen Abſolutismus und dem allgemeinen Wahlrecht, daß alles, was dazwiſchen liegt von dem ehernen Gang der Geſchichte zer- treten werden muß und daß, wenn ſie wirklich auf den Conſtitu- tionalismus hält, ſie denſelben nur retten kann, indem ſie ihm das allgemeine Wahlrecht zur Grundlage giebt und dieſen Ruf zu ihrem eigenen und aufrichtigen mot d’ordre erhebt. Jch will der Bourgeoiſie das Schickſal erſparen, welches ſie in Frankreich unter die Füße Napoleon’s getreten hat — und dieſen Appell an die öffentliche Vernunft und das öffentliche Gewiſſen nennt der Staatsanwalt Anreizung zu Haß und Ver- achtung! Noch auf zwei Punkte habe ich zu antworten. Jch hatte in meiner Rede im erſten Theile derſelben bei Betrachtung des Mittelalters erwähnt, daß ſchon im Jahre 1672 auf dem deutſchen Reichstag, ſchon im Jahre 1614 auf den fran- zöſiſchen états généraux, die Aufhebung der Zünfte verlangt worden ſei. Jch hatte erwähnt, daß im Jahre 1776 der refor- mirende Miniſter Turgot in Frankreich die Zünfte aufhebt, der König aber durch das Geſchrei der privilegirten Klaſſen gezwungen wird, wenige Monate darauf ſein eigenes Edict zu widerrufen, und daß endlich durch den Baſtilleſturm in einem Tage erwirkt wurde, was in Deutſchland und Frankreich ſeit faſt zwei Jahrhunderten vergeblich erſtrebt worden war. Jch hatte hieran folgende vollkommen objective und hiſto- riſche Betrachtung geknüpft: „Sie erſehen daraus, meine Her- ren, daß, welche große Vortheile auch dem Reformiren auf

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lassalle_steuer_1863
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lassalle_steuer_1863/134
Zitationshilfe: Lassalle, Ferdinand: Die indirekte Steuer und die Lage der arbeitenden Klassen. Zürich, 1863, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lassalle_steuer_1863/134>, abgerufen am 10.05.2024.