Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lassalle, Ferdinand: Die indirekte Steuer und die Lage der arbeitenden Klassen. Zürich, 1863.

Bild:
<< vorherige Seite
nächste Seite >>

seiner schützenden Hand die menschliche Lage Aller herbeizu-
führen.

Diese Doctrin, meine Herren, ist keine Theorie der Zer-
störung und der Barbarei, es ist im höchsten Grade eine
Staatsdoctrin!

Sie, meine Herren, gehören ja nicht den Manchester-
Männern an, jenen modernen Barbaren, welche den Staat
hassen, nicht diesen oder jenen bestimmten Staat, nicht diese
oder jene Staatsform, sondern den Staat überhaupt!
und welche, wie sie das hin und wieder deutlich eingestanden,
am liebsten allen Staat abschaffen, Justiz und Polizei an den
Mindestfordernden verganten und den Krieg durch Actiengesell-
schaften betreiben lassen möchten, damit nirgends im ganzen All
noch ein sittlicher Punkt sei, von welchem aus ihrer kapitalbewaff-
neten Ausbeutungssucht ein Widerstand geleistet werden könnte.

Wie breite Unterschiede Sie und mich auch von einander
trennen, meine Herren, -- dieser Auflösung alles Sittlichen gegen-
über stehen wir Hand in Hand! Das uralte Vestafeuer aller Ci-
vilisation, den Staat, vertheidige ich mit Jhnen gegen jene
modernen Barbaren!

Jch schließe. --

Jch habe -- Sie werden mir das selbst bezeugen -- eine
Riesenanstrengung gemacht, um meine Freisprechung zu erlangen!
Das Zeitopfer, welches mir meine Appellationsrechtfertigung
und diese Vertheidigung auferlegte, überwiegt fast weit die Un-
bequemlichkeit, die mir eine viermonatliche Haft auferlegen würde.

Aber ich war es Jhnen schuldig, den Gegenstand voll-
ständig aufzuklären, um Sie selbst vor einer Ungerechtigkeit
ohne Gleichen zu bewahren!

Aber ich war es der Wissenschaft schuldig, ein großes Ge-
biet geistiger Thätigkeit zu schützen!

Aber ich war es dem Lande schuldig, zu sehen, ob ich noch
vor demselben Kammergericht spreche, über welches sich aus
Friedrich des Großen Zeit bis nach Frankreich das Sprüchwort ver-
breitet hat: il y a des juges a Berlin, es giebt Richter zu Berlin!

Wie Jhr Urtheil auch ausfalle, es wird ein denkwürdiges
werden. Nicht mit dem gleichgültigen Lärm unserer Tagespresse
bedrohe ich Sie. Aber die Wissenschaft -- und ich bin einiger-
maßen berechtigt, in ihrem Namen zu sprechen -- wird dieses
Urtheil in die Annalen der Geschichte eintragen!

Druck von Otto Wigand in Leipzig.

ſeiner ſchützenden Hand die menſchliche Lage Aller herbeizu-
führen.

Dieſe Doctrin, meine Herren, iſt keine Theorie der Zer-
ſtörung und der Barbarei, es iſt im höchſten Grade eine
Staatsdoctrin!

Sie, meine Herren, gehören ja nicht den Mancheſter-
Männern an, jenen modernen Barbaren, welche den Staat
haſſen, nicht dieſen oder jenen beſtimmten Staat, nicht dieſe
oder jene Staatsform, ſondern den Staat überhaupt!
und welche, wie ſie das hin und wieder deutlich eingeſtanden,
am liebſten allen Staat abſchaffen, Juſtiz und Polizei an den
Mindeſtfordernden verganten und den Krieg durch Actiengeſell-
ſchaften betreiben laſſen möchten, damit nirgends im ganzen All
noch ein ſittlicher Punkt ſei, von welchem aus ihrer kapitalbewaff-
neten Ausbeutungsſucht ein Widerſtand geleiſtet werden könnte.

Wie breite Unterſchiede Sie und mich auch von einander
trennen, meine Herren, — dieſer Auflöſung alles Sittlichen gegen-
über ſtehen wir Hand in Hand! Das uralte Veſtafeuer aller Ci-
viliſation, den Staat, vertheidige ich mit Jhnen gegen jene
modernen Barbaren!

Jch ſchließe. —

Jch habe — Sie werden mir das ſelbſt bezeugen — eine
Rieſenanſtrengung gemacht, um meine Freiſprechung zu erlangen!
Das Zeitopfer, welches mir meine Appellationsrechtfertigung
und dieſe Vertheidigung auferlegte, überwiegt faſt weit die Un-
bequemlichkeit, die mir eine viermonatliche Haft auferlegen würde.

Aber ich war es Jhnen ſchuldig, den Gegenſtand voll-
ſtändig aufzuklären, um Sie ſelbſt vor einer Ungerechtigkeit
ohne Gleichen zu bewahren!

Aber ich war es der Wiſſenſchaft ſchuldig, ein großes Ge-
biet geiſtiger Thätigkeit zu ſchützen!

Aber ich war es dem Lande ſchuldig, zu ſehen, ob ich noch
vor demſelben Kammergericht ſpreche, über welches ſich aus
Friedrich des Großen Zeit bis nach Frankreich das Sprüchwort ver-
breitet hat: il y a des juges à Berlin, es giebt Richter zu Berlin!

Wie Jhr Urtheil auch ausfalle, es wird ein denkwürdiges
werden. Nicht mit dem gleichgültigen Lärm unſerer Tagespreſſe
bedrohe ich Sie. Aber die Wiſſenſchaft — und ich bin einiger-
maßen berechtigt, in ihrem Namen zu ſprechen — wird dieſes
Urtheil in die Annalen der Geſchichte eintragen!

Druck von Otto Wigand in Leipzig.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <floatingText>
          <body>
            <div type="letter">
              <p><pb facs="#f0142" n="136"/>
&#x017F;einer &#x017F;chützenden Hand die men&#x017F;chliche Lage <hi rendition="#g">Aller</hi> herbeizu-<lb/>
führen.</p><lb/>
              <p>Die&#x017F;e Doctrin, meine Herren, i&#x017F;t keine Theorie der Zer-<lb/>
&#x017F;törung und der Barbarei, es i&#x017F;t im höch&#x017F;ten Grade eine<lb/><hi rendition="#g">Staatsdoctrin!</hi></p><lb/>
              <p><hi rendition="#g">Sie,</hi> meine Herren, gehören ja nicht den Manche&#x017F;ter-<lb/>
Männern an, jenen modernen Barbaren, welche den Staat<lb/>
ha&#x017F;&#x017F;en, nicht die&#x017F;en oder jenen be&#x017F;timmten Staat, nicht die&#x017F;e<lb/>
oder jene Staats<hi rendition="#g">form,</hi> &#x017F;ondern <hi rendition="#g">den Staat überhaupt!</hi><lb/>
und welche, wie &#x017F;ie das hin und wieder deutlich einge&#x017F;tanden,<lb/>
am lieb&#x017F;ten allen Staat ab&#x017F;chaffen, Ju&#x017F;tiz und Polizei an den<lb/>
Minde&#x017F;tfordernden verganten und den Krieg durch Actienge&#x017F;ell-<lb/>
&#x017F;chaften betreiben la&#x017F;&#x017F;en möchten, damit nirgends im ganzen All<lb/>
noch ein &#x017F;ittlicher Punkt &#x017F;ei, von welchem aus ihrer kapitalbewaff-<lb/>
neten Ausbeutungs&#x017F;ucht ein Wider&#x017F;tand gelei&#x017F;tet werden könnte.</p><lb/>
              <p>Wie breite Unter&#x017F;chiede Sie und mich auch von einander<lb/>
trennen, meine Herren, &#x2014; die&#x017F;er Auflö&#x017F;ung alles Sittlichen gegen-<lb/>
über &#x017F;tehen wir Hand in Hand! Das uralte Ve&#x017F;tafeuer aller Ci-<lb/>
vili&#x017F;ation, den Staat, vertheidige ich <hi rendition="#g">mit</hi> Jhnen gegen jene<lb/>
modernen Barbaren!</p><lb/>
              <p>Jch &#x017F;chließe. &#x2014;</p><lb/>
              <p>Jch habe &#x2014; Sie werden mir das &#x017F;elb&#x017F;t bezeugen &#x2014; eine<lb/>
Rie&#x017F;enan&#x017F;trengung gemacht, um meine Frei&#x017F;prechung zu erlangen!<lb/>
Das Zeitopfer, welches mir meine Appellationsrechtfertigung<lb/>
und die&#x017F;e Vertheidigung auferlegte, überwiegt fa&#x017F;t weit die Un-<lb/>
bequemlichkeit, die mir eine viermonatliche Haft auferlegen würde.</p><lb/>
              <p>Aber ich war es <hi rendition="#g">Jhnen</hi> &#x017F;chuldig, den Gegen&#x017F;tand voll-<lb/>
&#x017F;tändig aufzuklären, um Sie &#x017F;elb&#x017F;t vor einer Ungerechtigkeit<lb/>
ohne Gleichen zu bewahren!</p><lb/>
              <p>Aber ich war es der Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft &#x017F;chuldig, ein großes Ge-<lb/>
biet gei&#x017F;tiger Thätigkeit zu &#x017F;chützen!</p><lb/>
              <p>Aber ich war es dem Lande &#x017F;chuldig, zu &#x017F;ehen, ob ich noch<lb/>
vor dem&#x017F;elben Kammergericht &#x017F;preche, über welches &#x017F;ich aus<lb/>
Friedrich des Großen Zeit bis nach Frankreich das Sprüchwort ver-<lb/>
breitet hat: <hi rendition="#aq">il y a des juges à Berlin,</hi> es giebt <hi rendition="#g">Richter</hi> zu Berlin!</p><lb/>
              <p>Wie Jhr Urtheil auch ausfalle, es wird ein denkwürdiges<lb/>
werden. Nicht mit dem gleichgültigen Lärm un&#x017F;erer Tagespre&#x017F;&#x017F;e<lb/>
bedrohe ich Sie. Aber die Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft &#x2014; und ich bin einiger-<lb/>
maßen berechtigt, in ihrem Namen zu &#x017F;prechen &#x2014; wird die&#x017F;es<lb/>
Urtheil in die Annalen der Ge&#x017F;chichte eintragen!</p>
            </div>
          </body>
        </floatingText>
      </div><lb/>
    </body>
    <back>
      <div type="imprint">
        <p> <hi rendition="#c">Druck von Otto Wigand in Leipzig.</hi> </p>
      </div>
    </back><lb/>
  </text>
</TEI>
[136/0142] ſeiner ſchützenden Hand die menſchliche Lage Aller herbeizu- führen. Dieſe Doctrin, meine Herren, iſt keine Theorie der Zer- ſtörung und der Barbarei, es iſt im höchſten Grade eine Staatsdoctrin! Sie, meine Herren, gehören ja nicht den Mancheſter- Männern an, jenen modernen Barbaren, welche den Staat haſſen, nicht dieſen oder jenen beſtimmten Staat, nicht dieſe oder jene Staatsform, ſondern den Staat überhaupt! und welche, wie ſie das hin und wieder deutlich eingeſtanden, am liebſten allen Staat abſchaffen, Juſtiz und Polizei an den Mindeſtfordernden verganten und den Krieg durch Actiengeſell- ſchaften betreiben laſſen möchten, damit nirgends im ganzen All noch ein ſittlicher Punkt ſei, von welchem aus ihrer kapitalbewaff- neten Ausbeutungsſucht ein Widerſtand geleiſtet werden könnte. Wie breite Unterſchiede Sie und mich auch von einander trennen, meine Herren, — dieſer Auflöſung alles Sittlichen gegen- über ſtehen wir Hand in Hand! Das uralte Veſtafeuer aller Ci- viliſation, den Staat, vertheidige ich mit Jhnen gegen jene modernen Barbaren! Jch ſchließe. — Jch habe — Sie werden mir das ſelbſt bezeugen — eine Rieſenanſtrengung gemacht, um meine Freiſprechung zu erlangen! Das Zeitopfer, welches mir meine Appellationsrechtfertigung und dieſe Vertheidigung auferlegte, überwiegt faſt weit die Un- bequemlichkeit, die mir eine viermonatliche Haft auferlegen würde. Aber ich war es Jhnen ſchuldig, den Gegenſtand voll- ſtändig aufzuklären, um Sie ſelbſt vor einer Ungerechtigkeit ohne Gleichen zu bewahren! Aber ich war es der Wiſſenſchaft ſchuldig, ein großes Ge- biet geiſtiger Thätigkeit zu ſchützen! Aber ich war es dem Lande ſchuldig, zu ſehen, ob ich noch vor demſelben Kammergericht ſpreche, über welches ſich aus Friedrich des Großen Zeit bis nach Frankreich das Sprüchwort ver- breitet hat: il y a des juges à Berlin, es giebt Richter zu Berlin! Wie Jhr Urtheil auch ausfalle, es wird ein denkwürdiges werden. Nicht mit dem gleichgültigen Lärm unſerer Tagespreſſe bedrohe ich Sie. Aber die Wiſſenſchaft — und ich bin einiger- maßen berechtigt, in ihrem Namen zu ſprechen — wird dieſes Urtheil in die Annalen der Geſchichte eintragen! Druck von Otto Wigand in Leipzig.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lassalle_steuer_1863
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lassalle_steuer_1863/142
Zitationshilfe: Lassalle, Ferdinand: Die indirekte Steuer und die Lage der arbeitenden Klassen. Zürich, 1863, S. 136. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lassalle_steuer_1863/142>, abgerufen am 09.05.2024.