widerspricht doch Aristoteles entschieden dem Bestreben, alle Veränderungen auf räumliche Bewegung allein zurückzuführen. Es würde daraus eine mechanische Erklärung folgen, welche keineswegs eine genügende Darstellung des Naturlaufs zu geben vermag, denn es würde dabei die wesentlichste Ursache des Werdens, der Zweck, gänzlich vernachlässigt werden.
Es gibt demnach im ganzen vier Ursachen des natürlichen Geschehens: Stoff, Form, Prinzip der Bewegung(# #) und Zweck (#). Erst wenn wir diese ersten Ursachen begriffen haben, ist das Bedürfnis des Wissens befriedigt: Alle vier bieten die Antworten dar, welche auf die Frage Warum möglich sind, und alle vier sind vom Physiker zu berücksichtigen. Häufig treffen jedoch drei von diesen zu- sammen; nämlich Form und Zweck sind ein- und dasselbe und darum auch zugleich das Prinzip, d. h. der erste Grund der Bewegung; als solche stehen sie dem Stoffe gegenüber. Nur mit Berücksichtigung des Zweckes ergibt sich eine natür- liche Entwickelung von dem bloß möglichen Sein zur Wirk- lichkeit; denn nur das ist von Natur aus, was von dem in ihm liegenden Anfange in stetiger Entwickelung zu einem ge- wissen Endziele gelangt.1 Um nach Zwecken zu handeln, braucht die Natur ihr Verfahren sich nicht zu überlegen, sondern die Zweckthätigkeit ist ihr immanent; wo der Zweckbegriff vorhanden ist, da sind auch die Bedingungen des Geschehens gegeben. Obgleich so die Natur nach Zwecken wirkt, bringt sie doch auch vieles nach bloßer Notwendigkeit hervor. Diese Notwendigkeit nämlich liegt im Stoffe; die Materie ist die not- wendige Voraussetzung, ohne welche der Zweck nicht verwirk- licht werden kann; infolge dieser im Stoffe und seinen Be- wegungen liegenden Bedingungen des Werdens geschieht alles nach bestimmter Gesetzmäßigkeit. Beide Ursachen also, die Notwendigkeit der stofflichen Bewegung und den Zweck, muß der Physiker angeben, in höherem Grade aber die Zweckursache, denn diese ist Ursache der Verwirklichung des Stoffes, nicht aber der Stoff Ursache des Endzwecks.2
1Phys. II, 8. p. 199 b. 15. #.
2Phys. II, 9. p. 200a. 32.
Aristoteles: Der Zweck.
widerspricht doch Aristoteles entschieden dem Bestreben, alle Veränderungen auf räumliche Bewegung allein zurückzuführen. Es würde daraus eine mechanische Erklärung folgen, welche keineswegs eine genügende Darstellung des Naturlaufs zu geben vermag, denn es würde dabei die wesentlichste Ursache des Werdens, der Zweck, gänzlich vernachlässigt werden.
Es gibt demnach im ganzen vier Ursachen des natürlichen Geschehens: Stoff, Form, Prinzip der Bewegung(# #) und Zweck (#). Erst wenn wir diese ersten Ursachen begriffen haben, ist das Bedürfnis des Wissens befriedigt: Alle vier bieten die Antworten dar, welche auf die Frage Warum möglich sind, und alle vier sind vom Physiker zu berücksichtigen. Häufig treffen jedoch drei von diesen zu- sammen; nämlich Form und Zweck sind ein- und dasselbe und darum auch zugleich das Prinzip, d. h. der erste Grund der Bewegung; als solche stehen sie dem Stoffe gegenüber. Nur mit Berücksichtigung des Zweckes ergibt sich eine natür- liche Entwickelung von dem bloß möglichen Sein zur Wirk- lichkeit; denn nur das ist von Natur aus, was von dem in ihm liegenden Anfange in stetiger Entwickelung zu einem ge- wissen Endziele gelangt.1 Um nach Zwecken zu handeln, braucht die Natur ihr Verfahren sich nicht zu überlegen, sondern die Zweckthätigkeit ist ihr immanent; wo der Zweckbegriff vorhanden ist, da sind auch die Bedingungen des Geschehens gegeben. Obgleich so die Natur nach Zwecken wirkt, bringt sie doch auch vieles nach bloßer Notwendigkeit hervor. Diese Notwendigkeit nämlich liegt im Stoffe; die Materie ist die not- wendige Voraussetzung, ohne welche der Zweck nicht verwirk- licht werden kann; infolge dieser im Stoffe und seinen Be- wegungen liegenden Bedingungen des Werdens geschieht alles nach bestimmter Gesetzmäßigkeit. Beide Ursachen also, die Notwendigkeit der stofflichen Bewegung und den Zweck, muß der Physiker angeben, in höherem Grade aber die Zweckursache, denn diese ist Ursache der Verwirklichung des Stoffes, nicht aber der Stoff Ursache des Endzwecks.2
1Phys. II, 8. p. 199 b. 15. #.
2Phys. II, 9. p. 200a. 32.
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Aristoteles: Der Zweck.
widerspricht doch Aristoteles entschieden dem Bestreben, alle
Veränderungen auf räumliche Bewegung allein zurückzuführen.
Es würde daraus eine mechanische Erklärung folgen, welche
keineswegs eine genügende Darstellung des Naturlaufs zu geben
vermag, denn es würde dabei die wesentlichste Ursache des
Werdens, der Zweck, gänzlich vernachlässigt werden.
Es gibt demnach im ganzen vier Ursachen des natürlichen
Geschehens: Stoff, Form, Prinzip der Bewegung (#
#) und Zweck (#). Erst wenn wir diese
ersten Ursachen begriffen haben, ist das Bedürfnis des Wissens
befriedigt: Alle vier bieten die Antworten dar, welche auf die
Frage Warum möglich sind, und alle vier sind vom Physiker
zu berücksichtigen. Häufig treffen jedoch drei von diesen zu-
sammen; nämlich Form und Zweck sind ein- und dasselbe
und darum auch zugleich das Prinzip, d. h. der erste Grund
der Bewegung; als solche stehen sie dem Stoffe gegenüber.
Nur mit Berücksichtigung des Zweckes ergibt sich eine natür-
liche Entwickelung von dem bloß möglichen Sein zur Wirk-
lichkeit; denn nur das ist von Natur aus, was von dem in
ihm liegenden Anfange in stetiger Entwickelung zu einem ge-
wissen Endziele gelangt. 1 Um nach Zwecken zu handeln,
braucht die Natur ihr Verfahren sich nicht zu überlegen, sondern
die Zweckthätigkeit ist ihr immanent; wo der Zweckbegriff
vorhanden ist, da sind auch die Bedingungen des Geschehens
gegeben. Obgleich so die Natur nach Zwecken wirkt, bringt
sie doch auch vieles nach bloßer Notwendigkeit hervor. Diese
Notwendigkeit nämlich liegt im Stoffe; die Materie ist die not-
wendige Voraussetzung, ohne welche der Zweck nicht verwirk-
licht werden kann; infolge dieser im Stoffe und seinen Be-
wegungen liegenden Bedingungen des Werdens geschieht alles
nach bestimmter Gesetzmäßigkeit. Beide Ursachen also, die
Notwendigkeit der stofflichen Bewegung und den Zweck, muß
der Physiker angeben, in höherem Grade aber die Zweckursache,
denn diese ist Ursache der Verwirklichung des Stoffes, nicht
aber der Stoff Ursache des Endzwecks. 2
1 Phys. II, 8. p. 199 b. 15. #.
2 Phys. II, 9. p. 200a. 32.
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Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/109>, abgerufen am 21.11.2024.
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