Daß es einen leeren Raum nicht geben kann, folgert Aristoteles zunächst aus dem Begriffe des Raumes selbst. Der Raum oder Ort (#) kann nur sein entweder Form, oder Stoff, oder Ausdehnung zwischen den äußersten Grenzen, oder in Ermangelung weiterer Ausdehnung außer dem Körper die Grenze selbst.1 Form ist er offenbar nicht; ebensowenig der Stoff des Körpers oder der Körper selbst, denn diese sind das Umfaßte, nicht das Umfassende. Auch ist er nicht der Zwischenraum zwischen den äußersten Grenzen eines Körpers, weil dieser selbst veränderlich ist; und ebensowenig die Grenze oder die Gestalt der einzelnen Körper als solcher, denn diese bewegt sich mit ihnen und es würden sich demnach die Kör- per nicht in, sondern mit dem Raume bewegen. Der Raum eines Körpers ist vielmehr die Grenze des umschließenden Körpers gegen den umschlossenen.2
Daraus folgt sofort die Unmöglichkeit des leeren Raumes; denn der leere Raum wäre etwas Umschließendes, das nichts umschließt. Man sieht dagegen, daß dort, wo kein Körper ist, auch kein Raum sein kann.3
Allein auf diese Weise ist die Unmöglichkeit des Vacuums direkt zu beweisen; denn nur zu zeigen, wie Anaxagoras thut, daß das, was man gewöhnlich für leer hält, mit Luft erfüllt, Luft aber ein Körper sei, kann gegen die Existenz des leeren Raumes noch nichts besagen. Daß Luft ein Körper sei, wird nicht bestritten. Es ist vielmehr zu beweisen, daß es keine von den Körpern verschiedene Ausdehnung gibt, und zwar weder ein zwischen dem Körper von ihm trennbar oder actu befindliches (untermischtes) Leeres, wodurch die Stetigkeit der Körperwelt unterbrochen würde (denn das behaupten Demokritos und Leukippos und viele andre der Naturphilosophen), noch auch einen leeren Raum außerhalb der gesamten konti- nuierlichen Körperwelt.4 Beides ist durch den Raumbegriff bewiesen, wonach kein Raum ohne Körper sein kann.
1Phys. IV, 4. 211 b.
2 Dies ist ausgeführt Phys. IV c. 3 und 4. S. auch De coelo IV, 3. 310a. Zeller II, 2, S. 398.
3Phys. IV c. 6 und 7.
4Phys. c. 6. 213a, 213 b.
Aristoteles: Gegen das Vacuum.
B. Gründe gegen die Existenz des leeren Raumes.
Daß es einen leeren Raum nicht geben kann, folgert Aristoteles zunächst aus dem Begriffe des Raumes selbst. Der Raum oder Ort (#) kann nur sein entweder Form, oder Stoff, oder Ausdehnung zwischen den äußersten Grenzen, oder in Ermangelung weiterer Ausdehnung außer dem Körper die Grenze selbst.1 Form ist er offenbar nicht; ebensowenig der Stoff des Körpers oder der Körper selbst, denn diese sind das Umfaßte, nicht das Umfassende. Auch ist er nicht der Zwischenraum zwischen den äußersten Grenzen eines Körpers, weil dieser selbst veränderlich ist; und ebensowenig die Grenze oder die Gestalt der einzelnen Körper als solcher, denn diese bewegt sich mit ihnen und es würden sich demnach die Kör- per nicht in, sondern mit dem Raume bewegen. Der Raum eines Körpers ist vielmehr die Grenze des umschließenden Körpers gegen den umschlossenen.2
Daraus folgt sofort die Unmöglichkeit des leeren Raumes; denn der leere Raum wäre etwas Umschließendes, das nichts umschließt. Man sieht dagegen, daß dort, wo kein Körper ist, auch kein Raum sein kann.3
Allein auf diese Weise ist die Unmöglichkeit des Vacuums direkt zu beweisen; denn nur zu zeigen, wie Anaxagoras thut, daß das, was man gewöhnlich für leer hält, mit Luft erfüllt, Luft aber ein Körper sei, kann gegen die Existenz des leeren Raumes noch nichts besagen. Daß Luft ein Körper sei, wird nicht bestritten. Es ist vielmehr zu beweisen, daß es keine von den Körpern verschiedene Ausdehnung gibt, und zwar weder ein zwischen dem Körper von ihm trennbar oder actu befindliches (untermischtes) Leeres, wodurch die Stetigkeit der Körperwelt unterbrochen würde (denn das behaupten Demokritos und Leukippos und viele andre der Naturphilosophen), noch auch einen leeren Raum außerhalb der gesamten konti- nuierlichen Körperwelt.4 Beides ist durch den Raumbegriff bewiesen, wonach kein Raum ohne Körper sein kann.
1Phys. IV, 4. 211 b.
2 Dies ist ausgeführt Phys. IV c. 3 und 4. S. auch De coelo IV, 3. 310a. Zeller II, 2, S. 398.
3Phys. IV c. 6 und 7.
4Phys. c. 6. 213a, 213 b.
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Aristoteles: Gegen das Vacuum.
B. Gründe gegen die Existenz des leeren Raumes.
Daß es einen leeren Raum nicht geben kann, folgert
Aristoteles zunächst aus dem Begriffe des Raumes selbst. Der
Raum oder Ort (#) kann nur sein entweder Form, oder
Stoff, oder Ausdehnung zwischen den äußersten Grenzen, oder
in Ermangelung weiterer Ausdehnung außer dem Körper die
Grenze selbst. 1 Form ist er offenbar nicht; ebensowenig der
Stoff des Körpers oder der Körper selbst, denn diese sind das
Umfaßte, nicht das Umfassende. Auch ist er nicht der
Zwischenraum zwischen den äußersten Grenzen eines Körpers,
weil dieser selbst veränderlich ist; und ebensowenig die Grenze
oder die Gestalt der einzelnen Körper als solcher, denn diese
bewegt sich mit ihnen und es würden sich demnach die Kör-
per nicht in, sondern mit dem Raume bewegen. Der Raum
eines Körpers ist vielmehr die Grenze des umschließenden
Körpers gegen den umschlossenen. 2
Daraus folgt sofort die Unmöglichkeit des leeren Raumes;
denn der leere Raum wäre etwas Umschließendes, das nichts
umschließt. Man sieht dagegen, daß dort, wo kein Körper
ist, auch kein Raum sein kann. 3
Allein auf diese Weise ist die Unmöglichkeit des Vacuums
direkt zu beweisen; denn nur zu zeigen, wie Anaxagoras thut,
daß das, was man gewöhnlich für leer hält, mit Luft erfüllt,
Luft aber ein Körper sei, kann gegen die Existenz des leeren
Raumes noch nichts besagen. Daß Luft ein Körper sei,
wird nicht bestritten. Es ist vielmehr zu beweisen, daß es
keine von den Körpern verschiedene Ausdehnung gibt, und
zwar weder ein zwischen dem Körper von ihm trennbar oder
actu befindliches (untermischtes) Leeres, wodurch die Stetigkeit
der Körperwelt unterbrochen würde (denn das behaupten
Demokritos und Leukippos und viele andre der Naturphilosophen),
noch auch einen leeren Raum außerhalb der gesamten konti-
nuierlichen Körperwelt. 4 Beides ist durch den Raumbegriff
bewiesen, wonach kein Raum ohne Körper sein kann.
1 Phys. IV, 4. 211 b.
2 Dies ist ausgeführt Phys. IV c. 3 und 4. S. auch De coelo IV, 3.
310a. Zeller II, 2, S. 398.
3 Phys. IV c. 6 und 7.
4 Phys. c. 6. 213a, 213 b.
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Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/124>, abgerufen am 21.11.2024.
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