lität in die Aktualität. Als der Fortschritt der empirischen Physik wieder die korpuskulare Theorie der Materie erforderte, mußten jene aristotelischen Einwendungen erneuter Diskussion unterzogen werden, so lange man hoffen konnte, die Theorie der substanziellen Formen mit der Korpuskularphysik zu ver- einigen. Sie verloren jedoch ihre Bedeutung, sobald das Denk- mittel der substanziellen Formen überhaupt verschmäht und durch das der mechanischen Kausalität ersetzt worden war. Beruhte die Veränderung der Körperwelt nicht mehr auf dem Unterschiede von Möglichkeit und Wirklichkeit, so brauchten jene Einwendungen nicht im einzelnen widerlegt zu werden; sie waren beseitigt durch die Thatsache positiver Erklärungen auf Grund der Korpuskularphysik.
Anders verhält es sich mit demjenigen Teil der aristote- lischen Polemik gegen die Atomistik, welcher die Unzu- lässigkeit, d. h. die Denkwidrigkeit der Atome behauptet. Dieselben zurückzuweisen kann die bloße Brauchbarkeit der Atome als physikalischer Hypothese nicht genügen. Behält Aristoteles mit jenen Einwänden recht, sind sie unwider- legbar, so kann das Bedürfnis der Physik nicht entscheiden, sondern es hat sich den allgemeineren Gesichtspunkten ein- heitlicher Erkenntnis unterzuordnen. Daher bedarf es für den Sieg der Korpuskulartheorie als philosophisch begründeter Lehre einer Widerlegung jener Einwendungen im erkenntnis- kritischen Interesse, einer Überwindung der von Aristoteles im Begriffe des Unteilbaren nachgewiesenen Widersprüche. Dieser Teil der aristotelischen Physik richtet sich einerseits gegen die Möglichkeit der teillosen Größe, andrerseits gegen die des leeren Raumes; er ist in seinen Beziehungen zu Mathe- matik und Mechanik nicht direkt abhängig von der Theorie der substanziellen Formen, sondern beruht auf den Schwierig- keiten, welche das Problem der Kontinuität enthält. Dieses aber ist dem Denkmittel der Kausalität allein ebenso unzu- gänglich, wie dem der Substanzialität. Es genügte daher für die Entwickelung der mathematischen Naturwissenschaft nicht, sich von den substanziellen Formen zu emanzipieren, sondern ihr Fortschritt beruhte gleichzeitig auf der Bewältigung des Kontinuitätsproblems. Die hier vorliegende, von den Eleaten aufgedeckte Antinomie hatte Aristoteles zu Gunsten
Folgen der aristotelischen Einwände.
lität in die Aktualität. Als der Fortschritt der empirischen Physik wieder die korpuskulare Theorie der Materie erforderte, mußten jene aristotelischen Einwendungen erneuter Diskussion unterzogen werden, so lange man hoffen konnte, die Theorie der substanziellen Formen mit der Korpuskularphysik zu ver- einigen. Sie verloren jedoch ihre Bedeutung, sobald das Denk- mittel der substanziellen Formen überhaupt verschmäht und durch das der mechanischen Kausalität ersetzt worden war. Beruhte die Veränderung der Körperwelt nicht mehr auf dem Unterschiede von Möglichkeit und Wirklichkeit, so brauchten jene Einwendungen nicht im einzelnen widerlegt zu werden; sie waren beseitigt durch die Thatsache positiver Erklärungen auf Grund der Korpuskularphysik.
Anders verhält es sich mit demjenigen Teil der aristote- lischen Polemik gegen die Atomistik, welcher die Unzu- lässigkeit, d. h. die Denkwidrigkeit der Atome behauptet. Dieselben zurückzuweisen kann die bloße Brauchbarkeit der Atome als physikalischer Hypothese nicht genügen. Behält Aristoteles mit jenen Einwänden recht, sind sie unwider- legbar, so kann das Bedürfnis der Physik nicht entscheiden, sondern es hat sich den allgemeineren Gesichtspunkten ein- heitlicher Erkenntnis unterzuordnen. Daher bedarf es für den Sieg der Korpuskulartheorie als philosophisch begründeter Lehre einer Widerlegung jener Einwendungen im erkenntnis- kritischen Interesse, einer Überwindung der von Aristoteles im Begriffe des Unteilbaren nachgewiesenen Widersprüche. Dieser Teil der aristotelischen Physik richtet sich einerseits gegen die Möglichkeit der teillosen Größe, andrerseits gegen die des leeren Raumes; er ist in seinen Beziehungen zu Mathe- matik und Mechanik nicht direkt abhängig von der Theorie der substanziellen Formen, sondern beruht auf den Schwierig- keiten, welche das Problem der Kontinuität enthält. Dieses aber ist dem Denkmittel der Kausalität allein ebenso unzu- gänglich, wie dem der Substanzialität. Es genügte daher für die Entwickelung der mathematischen Naturwissenschaft nicht, sich von den substanziellen Formen zu emanzipieren, sondern ihr Fortschritt beruhte gleichzeitig auf der Bewältigung des Kontinuitätsproblems. Die hier vorliegende, von den Eleaten aufgedeckte Antinomie hatte Aristoteles zu Gunsten
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Folgen der aristotelischen Einwände.
lität in die Aktualität. Als der Fortschritt der empirischen
Physik wieder die korpuskulare Theorie der Materie erforderte,
mußten jene aristotelischen Einwendungen erneuter Diskussion
unterzogen werden, so lange man hoffen konnte, die Theorie
der substanziellen Formen mit der Korpuskularphysik zu ver-
einigen. Sie verloren jedoch ihre Bedeutung, sobald das Denk-
mittel der substanziellen Formen überhaupt verschmäht und
durch das der mechanischen Kausalität ersetzt worden war.
Beruhte die Veränderung der Körperwelt nicht mehr auf dem
Unterschiede von Möglichkeit und Wirklichkeit, so brauchten
jene Einwendungen nicht im einzelnen widerlegt zu werden;
sie waren beseitigt durch die Thatsache positiver Erklärungen
auf Grund der Korpuskularphysik.
Anders verhält es sich mit demjenigen Teil der aristote-
lischen Polemik gegen die Atomistik, welcher die Unzu-
lässigkeit, d. h. die Denkwidrigkeit der Atome behauptet.
Dieselben zurückzuweisen kann die bloße Brauchbarkeit der
Atome als physikalischer Hypothese nicht genügen. Behält
Aristoteles mit jenen Einwänden recht, sind sie unwider-
legbar, so kann das Bedürfnis der Physik nicht entscheiden,
sondern es hat sich den allgemeineren Gesichtspunkten ein-
heitlicher Erkenntnis unterzuordnen. Daher bedarf es für
den Sieg der Korpuskulartheorie als philosophisch begründeter
Lehre einer Widerlegung jener Einwendungen im erkenntnis-
kritischen Interesse, einer Überwindung der von Aristoteles
im Begriffe des Unteilbaren nachgewiesenen Widersprüche.
Dieser Teil der aristotelischen Physik richtet sich einerseits
gegen die Möglichkeit der teillosen Größe, andrerseits gegen
die des leeren Raumes; er ist in seinen Beziehungen zu Mathe-
matik und Mechanik nicht direkt abhängig von der Theorie
der substanziellen Formen, sondern beruht auf den Schwierig-
keiten, welche das Problem der Kontinuität enthält. Dieses
aber ist dem Denkmittel der Kausalität allein ebenso unzu-
gänglich, wie dem der Substanzialität. Es genügte daher für
die Entwickelung der mathematischen Naturwissenschaft nicht,
sich von den substanziellen Formen zu emanzipieren, sondern
ihr Fortschritt beruhte gleichzeitig auf der Bewältigung
des Kontinuitätsproblems. Die hier vorliegende, von
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Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 132. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/150>, abgerufen am 16.02.2025.
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