selbständiger wird der Wandel der Dinge, denn desto mehr muß man überzeugt sein, daß seine Allweisheit im voraus die Gesetze der Welt so durchdacht und geordnet hat, daß sie für ihr Bestehen und ihre Entfaltung keines willkürlichen Eingriffs mehr bedürfen.
Zwei Richtungen gibt es hier wieder, in welchen die Stellung Gottes zur Welt gedacht werden kann, um die selb- ständige Gesetzlichkeit derselben zu garantieren. Entweder steht Gott transcendent über der Welt, die er ein für allemal so ge- schaffen, daß sie nach ihren eigenen Gesetzen selbständig abrollt; dann muß die Möglichkeit der gesamten Weltentwickelung in die Substanz selbst gelegt sein, die Materie muß bereits alle die Keime enthalten, von Ewigkeit her angelegt, aus denen der Weltprozeß sich entwickelt. Oder Gott ist der Welt immanent, der göttliche Geist ist die weltbewegende Kraft selbst, und die sich gesetzmäßig entfaltende Welt gewisser- maßen der Körper, dessen Bewegung und Entfaltung uns den immanenten Gott offenbart.
Diese beiden Fassungen des monotheistischen Gottes- begriffs gehen parallel mit den beiden Umgestaltungen des Aristotelismus, welche derselbe infolge seiner unzureichenden Fest- setzungen über das Verhältnis von Materie und Form zur Substanz erleiden mußte. Wird die Materie zur Substanz und damit zur Trägerin des Weltgeschehens, so ist dies mit dem Mono- theismus vereinbar, wenn Gott transcendent und die Welt ihrem eigenen inneren Getriebe überlassen bleibt. Wird die Form, der allgemeine Begriff, die Idee zur Substanz, in deren Entwickelung sich Gott als sinnliche Welt offenbart, so stellt sich der Welt- prozeß als eine Entfaltung der Immanenz Gottes dar, welche ebenfalls eine begriffliche Bestimmung, also Erkenntnis, zuläßt. Der ersteren, naturalistisch gefärbten Auffassung nähert sich die Philosophie des Arabers Ibn Roschd, der letzteren, zum Pantheismus neigenden, die des Juden Ibn Gabirol.
4. Ibn Gabirol.
Die Annahme einer einzigen Materie, welche sowohl als körperliche wie als geistige Substanz auftritt, lehrte Salomon ben Jehuda Ibn Gabirol, geboren um 1020 in Malaga, dessen Schrift Mekor hajjim (Fons vitae, Lebensquelle) zwar weniger
Transcendenz und Immanenz Gottes.
selbständiger wird der Wandel der Dinge, denn desto mehr muß man überzeugt sein, daß seine Allweisheit im voraus die Gesetze der Welt so durchdacht und geordnet hat, daß sie für ihr Bestehen und ihre Entfaltung keines willkürlichen Eingriffs mehr bedürfen.
Zwei Richtungen gibt es hier wieder, in welchen die Stellung Gottes zur Welt gedacht werden kann, um die selb- ständige Gesetzlichkeit derselben zu garantieren. Entweder steht Gott transcendent über der Welt, die er ein für allemal so ge- schaffen, daß sie nach ihren eigenen Gesetzen selbständig abrollt; dann muß die Möglichkeit der gesamten Weltentwickelung in die Substanz selbst gelegt sein, die Materie muß bereits alle die Keime enthalten, von Ewigkeit her angelegt, aus denen der Weltprozeß sich entwickelt. Oder Gott ist der Welt immanent, der göttliche Geist ist die weltbewegende Kraft selbst, und die sich gesetzmäßig entfaltende Welt gewisser- maßen der Körper, dessen Bewegung und Entfaltung uns den immanenten Gott offenbart.
Diese beiden Fassungen des monotheistischen Gottes- begriffs gehen parallel mit den beiden Umgestaltungen des Aristotelismus, welche derselbe infolge seiner unzureichenden Fest- setzungen über das Verhältnis von Materie und Form zur Substanz erleiden mußte. Wird die Materie zur Substanz und damit zur Trägerin des Weltgeschehens, so ist dies mit dem Mono- theismus vereinbar, wenn Gott transcendent und die Welt ihrem eigenen inneren Getriebe überlassen bleibt. Wird die Form, der allgemeine Begriff, die Idee zur Substanz, in deren Entwickelung sich Gott als sinnliche Welt offenbart, so stellt sich der Welt- prozeß als eine Entfaltung der Immanenz Gottes dar, welche ebenfalls eine begriffliche Bestimmung, also Erkenntnis, zuläßt. Der ersteren, naturalistisch gefärbten Auffassung nähert sich die Philosophie des Arabers Ibn Roschd, der letzteren, zum Pantheismus neigenden, die des Juden Ibn Gabirol.
4. Ibn Gabirol.
Die Annahme einer einzigen Materie, welche sowohl als körperliche wie als geistige Substanz auftritt, lehrte Salomon ben Jehuda Ibn Gabirol, geboren um 1020 in Malaga, dessen Schrift Mekor hajjim (Fons vitae, Lebensquelle) zwar weniger
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0180"n="162"/><fwplace="top"type="header">Transcendenz und Immanenz Gottes.</fw><lb/>
selbständiger wird der Wandel der Dinge, denn desto mehr<lb/>
muß man überzeugt sein, daß seine Allweisheit im voraus die<lb/>
Gesetze der Welt so durchdacht und geordnet hat, daß sie<lb/>
für ihr Bestehen und ihre Entfaltung keines willkürlichen<lb/>
Eingriffs mehr bedürfen.</p><lb/><p>Zwei Richtungen gibt es hier wieder, in welchen die<lb/>
Stellung Gottes zur Welt gedacht werden kann, um die selb-<lb/>
ständige Gesetzlichkeit derselben zu garantieren. Entweder steht<lb/>
Gott <hirendition="#g">transcendent</hi> über der Welt, die er ein für allemal so ge-<lb/>
schaffen, daß sie nach ihren eigenen Gesetzen selbständig abrollt;<lb/>
dann muß die Möglichkeit der gesamten Weltentwickelung in<lb/>
die Substanz selbst gelegt sein, die Materie muß bereits alle<lb/>
die Keime enthalten, von Ewigkeit her angelegt, aus denen<lb/>
der Weltprozeß sich entwickelt. Oder Gott ist der Welt<lb/><hirendition="#g">immanent</hi>, der göttliche Geist ist die weltbewegende Kraft<lb/>
selbst, und die sich gesetzmäßig entfaltende Welt gewisser-<lb/>
maßen der Körper, dessen Bewegung und Entfaltung uns den<lb/>
immanenten Gott offenbart.</p><lb/><p>Diese beiden Fassungen des monotheistischen Gottes-<lb/>
begriffs gehen parallel mit den beiden Umgestaltungen des<lb/>
Aristotelismus, welche derselbe infolge seiner unzureichenden Fest-<lb/>
setzungen über das Verhältnis von Materie und Form zur Substanz<lb/>
erleiden mußte. Wird die Materie zur Substanz und damit<lb/>
zur Trägerin des Weltgeschehens, so ist dies mit dem Mono-<lb/>
theismus vereinbar, wenn Gott transcendent und die Welt ihrem<lb/>
eigenen inneren Getriebe überlassen bleibt. Wird die Form, der<lb/>
allgemeine Begriff, die Idee zur Substanz, in deren Entwickelung<lb/>
sich Gott als sinnliche Welt offenbart, so stellt sich der Welt-<lb/>
prozeß als eine Entfaltung der Immanenz Gottes dar, welche<lb/>
ebenfalls eine begriffliche Bestimmung, also Erkenntnis, zuläßt.<lb/>
Der ersteren, naturalistisch gefärbten Auffassung nähert sich<lb/>
die Philosophie des Arabers <hirendition="#k">Ibn Roschd</hi>, der letzteren, zum<lb/>
Pantheismus neigenden, die des Juden <hirendition="#k">Ibn Gabirol</hi>.</p></div><lb/><divn="3"><head><hirendition="#b">4. Ibn Gabirol.</hi></head><lb/><p>Die Annahme einer einzigen Materie, welche sowohl als<lb/>
körperliche wie als geistige Substanz auftritt, lehrte <hirendition="#k">Salomon<lb/>
ben Jehuda Ibn Gabirol</hi>, geboren um 1020 in Malaga, dessen<lb/>
Schrift <hirendition="#i">Mekor hajjim (Fons vitae</hi>, Lebensquelle) zwar weniger<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[162/0180]
Transcendenz und Immanenz Gottes.
selbständiger wird der Wandel der Dinge, denn desto mehr
muß man überzeugt sein, daß seine Allweisheit im voraus die
Gesetze der Welt so durchdacht und geordnet hat, daß sie
für ihr Bestehen und ihre Entfaltung keines willkürlichen
Eingriffs mehr bedürfen.
Zwei Richtungen gibt es hier wieder, in welchen die
Stellung Gottes zur Welt gedacht werden kann, um die selb-
ständige Gesetzlichkeit derselben zu garantieren. Entweder steht
Gott transcendent über der Welt, die er ein für allemal so ge-
schaffen, daß sie nach ihren eigenen Gesetzen selbständig abrollt;
dann muß die Möglichkeit der gesamten Weltentwickelung in
die Substanz selbst gelegt sein, die Materie muß bereits alle
die Keime enthalten, von Ewigkeit her angelegt, aus denen
der Weltprozeß sich entwickelt. Oder Gott ist der Welt
immanent, der göttliche Geist ist die weltbewegende Kraft
selbst, und die sich gesetzmäßig entfaltende Welt gewisser-
maßen der Körper, dessen Bewegung und Entfaltung uns den
immanenten Gott offenbart.
Diese beiden Fassungen des monotheistischen Gottes-
begriffs gehen parallel mit den beiden Umgestaltungen des
Aristotelismus, welche derselbe infolge seiner unzureichenden Fest-
setzungen über das Verhältnis von Materie und Form zur Substanz
erleiden mußte. Wird die Materie zur Substanz und damit
zur Trägerin des Weltgeschehens, so ist dies mit dem Mono-
theismus vereinbar, wenn Gott transcendent und die Welt ihrem
eigenen inneren Getriebe überlassen bleibt. Wird die Form, der
allgemeine Begriff, die Idee zur Substanz, in deren Entwickelung
sich Gott als sinnliche Welt offenbart, so stellt sich der Welt-
prozeß als eine Entfaltung der Immanenz Gottes dar, welche
ebenfalls eine begriffliche Bestimmung, also Erkenntnis, zuläßt.
Der ersteren, naturalistisch gefärbten Auffassung nähert sich
die Philosophie des Arabers Ibn Roschd, der letzteren, zum
Pantheismus neigenden, die des Juden Ibn Gabirol.
4. Ibn Gabirol.
Die Annahme einer einzigen Materie, welche sowohl als
körperliche wie als geistige Substanz auftritt, lehrte Salomon
ben Jehuda Ibn Gabirol, geboren um 1020 in Malaga, dessen
Schrift Mekor hajjim (Fons vitae, Lebensquelle) zwar weniger
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/180>, abgerufen am 04.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.