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Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890.

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Vitruvs eklektische Korpuskulartheorie.
geworfen, von der heftigen Glut des Feuers ergriffen, die Ei-
genschaft ihrer früheren Härte verloren haben, dann sind sie
schließlich, nachdem ihre Kraft ausgebrannt und erschöpft ist,
von offenen und leeren Poren durchsetzt. Durch das Brennen
sind Flüssigkeit und Luft herausgetrieben, während die Hitze
noch im Stein latent erhalten bleibt. Wird nun der gebrannte
Kalk in Wasser getaucht, so dringt die Flüssigkeit in die
offenen Poren ein und treibt die Hitze aus dem Körper heraus,
so daß er aufkocht und nachher sich abkühlt. Daraus erklärt
sich der Gewichtsverlust des Kalkes beim Brennen, welcher,
bei gleich bleibendem Volumen, durch das Austreiben der
Flüssigkeit ungefähr ein Drittel des Gesamtgewichts beträgt.
Die Bindekraft des Kalkes beruht nun auf der Leere seiner
Poren. In die offenstehenden Gänge und Hohlräume wird die
Mischung des Sandes aufgenommen; die Steine haften dadurch
fest aneinander und gehen beim Eintrocknen mit den Bruch-
steinen eine Verbindung ein, woraus die Festigkeit des Mauer-
werks sich erklärt.

Die Stelle reicht aus, um die unbefangene Verschmelzung
von Porismus und Elementenlehre bei den Technikern zu zeigen.1
Die Verbindung ist offenbar rein mechanisch gedacht, im Sinne
der Atomistik, nicht im Sinne der substanzialen Formen. Aber
hier wie bei Heron sind Elemente und Atome zum Begriff der
Elementarkorpuskel verschmolzen. Vitruv empfindet den ur-
sprünglichen Gegensatz in den metaphysischen Begriffen der
Philosophen gar nicht mehr. Er sagt, die Pythagoreer hätten
die vier Elemente, Demokrit und Epikur die Atome als Ur-
sprung aller Dinge erklärt; Demokrit aber, obwohl er nicht
ausdrücklich Dinge, sondern nur unteilbare Körper als Ursprung
bezeichnete, scheine nichtsdestoweniger dieselben Elemente
gemeint zu haben, weil, wenn sie getrennt sind, sie weder der
Verletzung, noch dem Untergange, noch der Zerschneidung aus-
gesetzt sind, sondern ewig und ununterbrochen eine unend-
liche Festigkeit in sich bewahren.2 Diese Ansichten sind offen-
bar in philosophischer Hinsicht laienhaft; aber gerade die

1 Vgl. noch die Erklärung der Wirkung der Heilquellen durch Poren in
den Körpern l. VIII, c. 3, S. 4, 5 und die interessante Stelle über die Fort-
pflanzung des Schalls nach Wellenart, l. V. c. 3. S. 6.
2 A. a. O. l. II c. 2, ed. Lorentzen S. 68.

Vitruvs eklektische Korpuskulartheorie.
geworfen, von der heftigen Glut des Feuers ergriffen, die Ei-
genschaft ihrer früheren Härte verloren haben, dann sind sie
schließlich, nachdem ihre Kraft ausgebrannt und erschöpft ist,
von offenen und leeren Poren durchsetzt. Durch das Brennen
sind Flüssigkeit und Luft herausgetrieben, während die Hitze
noch im Stein latent erhalten bleibt. Wird nun der gebrannte
Kalk in Wasser getaucht, so dringt die Flüssigkeit in die
offenen Poren ein und treibt die Hitze aus dem Körper heraus,
so daß er aufkocht und nachher sich abkühlt. Daraus erklärt
sich der Gewichtsverlust des Kalkes beim Brennen, welcher,
bei gleich bleibendem Volumen, durch das Austreiben der
Flüssigkeit ungefähr ein Drittel des Gesamtgewichts beträgt.
Die Bindekraft des Kalkes beruht nun auf der Leere seiner
Poren. In die offenstehenden Gänge und Hohlräume wird die
Mischung des Sandes aufgenommen; die Steine haften dadurch
fest aneinander und gehen beim Eintrocknen mit den Bruch-
steinen eine Verbindung ein, woraus die Festigkeit des Mauer-
werks sich erklärt.

Die Stelle reicht aus, um die unbefangene Verschmelzung
von Porismus und Elementenlehre bei den Technikern zu zeigen.1
Die Verbindung ist offenbar rein mechanisch gedacht, im Sinne
der Atomistik, nicht im Sinne der substanzialen Formen. Aber
hier wie bei Heron sind Elemente und Atome zum Begriff der
Elementarkorpuskel verschmolzen. Vitruv empfindet den ur-
sprünglichen Gegensatz in den metaphysischen Begriffen der
Philosophen gar nicht mehr. Er sagt, die Pythagoreer hätten
die vier Elemente, Demokrit und Epikur die Atome als Ur-
sprung aller Dinge erklärt; Demokrit aber, obwohl er nicht
ausdrücklich Dinge, sondern nur unteilbare Körper als Ursprung
bezeichnete, scheine nichtsdestoweniger dieselben Elemente
gemeint zu haben, weil, wenn sie getrennt sind, sie weder der
Verletzung, noch dem Untergange, noch der Zerschneidung aus-
gesetzt sind, sondern ewig und ununterbrochen eine unend-
liche Festigkeit in sich bewahren.2 Diese Ansichten sind offen-
bar in philosophischer Hinsicht laienhaft; aber gerade die

1 Vgl. noch die Erklärung der Wirkung der Heilquellen durch Poren in
den Körpern l. VIII, c. 3, S. 4, 5 und die interessante Stelle über die Fort-
pflanzung des Schalls nach Wellenart, l. V. c. 3. S. 6.
2 A. a. O. l. II c. 2, ed. Lorentzen S. 68.
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[218/0236] Vitruvs eklektische Korpuskulartheorie. geworfen, von der heftigen Glut des Feuers ergriffen, die Ei- genschaft ihrer früheren Härte verloren haben, dann sind sie schließlich, nachdem ihre Kraft ausgebrannt und erschöpft ist, von offenen und leeren Poren durchsetzt. Durch das Brennen sind Flüssigkeit und Luft herausgetrieben, während die Hitze noch im Stein latent erhalten bleibt. Wird nun der gebrannte Kalk in Wasser getaucht, so dringt die Flüssigkeit in die offenen Poren ein und treibt die Hitze aus dem Körper heraus, so daß er aufkocht und nachher sich abkühlt. Daraus erklärt sich der Gewichtsverlust des Kalkes beim Brennen, welcher, bei gleich bleibendem Volumen, durch das Austreiben der Flüssigkeit ungefähr ein Drittel des Gesamtgewichts beträgt. Die Bindekraft des Kalkes beruht nun auf der Leere seiner Poren. In die offenstehenden Gänge und Hohlräume wird die Mischung des Sandes aufgenommen; die Steine haften dadurch fest aneinander und gehen beim Eintrocknen mit den Bruch- steinen eine Verbindung ein, woraus die Festigkeit des Mauer- werks sich erklärt. Die Stelle reicht aus, um die unbefangene Verschmelzung von Porismus und Elementenlehre bei den Technikern zu zeigen. 1 Die Verbindung ist offenbar rein mechanisch gedacht, im Sinne der Atomistik, nicht im Sinne der substanzialen Formen. Aber hier wie bei Heron sind Elemente und Atome zum Begriff der Elementarkorpuskel verschmolzen. Vitruv empfindet den ur- sprünglichen Gegensatz in den metaphysischen Begriffen der Philosophen gar nicht mehr. Er sagt, die Pythagoreer hätten die vier Elemente, Demokrit und Epikur die Atome als Ur- sprung aller Dinge erklärt; Demokrit aber, obwohl er nicht ausdrücklich Dinge, sondern nur unteilbare Körper als Ursprung bezeichnete, scheine nichtsdestoweniger dieselben Elemente gemeint zu haben, weil, wenn sie getrennt sind, sie weder der Verletzung, noch dem Untergange, noch der Zerschneidung aus- gesetzt sind, sondern ewig und ununterbrochen eine unend- liche Festigkeit in sich bewahren. 2 Diese Ansichten sind offen- bar in philosophischer Hinsicht laienhaft; aber gerade die 1 Vgl. noch die Erklärung der Wirkung der Heilquellen durch Poren in den Körpern l. VIII, c. 3, S. 4, 5 und die interessante Stelle über die Fort- pflanzung des Schalls nach Wellenart, l. V. c. 3. S. 6. 2 A. a. O. l. II c. 2, ed. Lorentzen S. 68.

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Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/236>, abgerufen am 26.11.2024.