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Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890.

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Die Mischung: Thomas. Vergehen der Bestandteile.
nicht actu, so doch virtute in den Verbindungen. Diese in
der Verbindung erhaltene Eigenschaft oder Wirkungsfähigkeit,
welche etwas anderes als die substanzielle Form ist, vertritt
nämlich die substanziellen Formen der Elemente in ihren
Wirkungen,1 so daß ihre Wirkungsfähigkeit gesichert ist.

Thomas setzt also an Stelle der substanziellen Formen,
deren Erhaltung er nicht zugeben kann, die Eigenschaften der
Elemente, indem er denselben ganz dieselbe Wirkungsfähig-
keit zuschreibt, welche die Formen selbst haben würden. Wenn
man jedoch berücksichtigt, daß das Vergehen der Form im
scholastischen Sinne mit der Vernichtung des betreffenden
Dinges gleichbedeutend ist, so versteht man freilich nicht, wie
ein Element, das nicht mehr existiert, doch noch Eigenschaften
besitzen und Wirkungsfähigkeiten entwickeln soll, welche das
formale Sein desselben zu vertreten imstande sind. Thatsäch-
lich wählt Thomas für die Existenzart der Elemente einen
Ausdruck, der zwar sonst mit potentia gleichbedeutend ge-
braucht wird, legt aber demselben einen Sinn unter, den man
streng genommen nur mit dem Worte actu verbinden kann.
Die thomistische Lehre zeigt deutlich, daß das strenge Fest-
halten an dem peripatetischen Dogma von der formalen Ein-
heit der Mistio notwendig zu systematischen Widersprüchen
oder zwecklosem Wortsteit führt. Mit dieser Theorie des
Thomas sind die grundlegenden Gedanken erschöpft, welche

1 A. a. O. f. 23 Bb. Remissis excellentiis elementarium qualitatum con-
stituitur ex eis quaedam qualitas media, quae est propria qualitas corporis
misti, differens tamen in diversis secundum diversam mistionis proportionem;
et haec quidem qualitas est propria dispositio ad formam corporis misti, sicut
qualitas simplex ad formam corporis simplicis. Sicut igitur extrema inveniuntur
in medio, quod participat naturam utriusque, sic qualitates simplicium corporum
inveniuntur in qualitate corporis misti. Qualitas autem simplicis corporis est
quid aliud a forma substantiali ipsius: agit tamen virtute formae sub-
stantialis:
alioquin calor calefaceret tantum, non autem forma substantialis
educeretur in actum, cum nihil agat supra suam speciem. Sunt igitur virtutes
formarum substantialium simplicium corporum in corporibus mistis non actu
sed virtute
. Et hoc est quod dicit Philosophus: non manent igitur elementa
in misto actu, ut corpus album, nec corrumpuntur, nec alterum, nec ambo:
salvatur enim virtus eorum.
Andere Stellen s. De gen. et corr. l. 1. Schluß, f. 24 F; lib. 2. lect. 8. f.
52 F ff. Summa theolog. P. I. Quaest. 76, art. II. ad 4. Tom X. f. 244 H f. und
das Opuscnlum de mistione elementorum, T. XVII f. 212.

Die Mischung: Thomas. Vergehen der Bestandteile.
nicht actu, so doch virtute in den Verbindungen. Diese in
der Verbindung erhaltene Eigenschaft oder Wirkungsfähigkeit,
welche etwas anderes als die substanzielle Form ist, vertritt
nämlich die substanziellen Formen der Elemente in ihren
Wirkungen,1 so daß ihre Wirkungsfähigkeit gesichert ist.

Thomas setzt also an Stelle der substanziellen Formen,
deren Erhaltung er nicht zugeben kann, die Eigenschaften der
Elemente, indem er denselben ganz dieselbe Wirkungsfähig-
keit zuschreibt, welche die Formen selbst haben würden. Wenn
man jedoch berücksichtigt, daß das Vergehen der Form im
scholastischen Sinne mit der Vernichtung des betreffenden
Dinges gleichbedeutend ist, so versteht man freilich nicht, wie
ein Element, das nicht mehr existiert, doch noch Eigenschaften
besitzen und Wirkungsfähigkeiten entwickeln soll, welche das
formale Sein desselben zu vertreten imstande sind. Thatsäch-
lich wählt Thomas für die Existenzart der Elemente einen
Ausdruck, der zwar sonst mit potentia gleichbedeutend ge-
braucht wird, legt aber demselben einen Sinn unter, den man
streng genommen nur mit dem Worte actu verbinden kann.
Die thomistische Lehre zeigt deutlich, daß das strenge Fest-
halten an dem peripatetischen Dogma von der formalen Ein-
heit der Mistio notwendig zu systematischen Widersprüchen
oder zwecklosem Wortsteit führt. Mit dieser Theorie des
Thomas sind die grundlegenden Gedanken erschöpft, welche

1 A. a. O. f. 23 Bb. Remissis excellentiis elementarium qualitatum con-
stituitur ex eis quaedam qualitas media, quae est propria qualitas corporis
misti, differens tamen in diversis secundum diversam mistionis proportionem;
et haec quidem qualitas est propria dispositio ad formam corporis misti, sicut
qualitas simplex ad formam corporis simplicis. Sicut igitur extrema inveniuntur
in medio, quod participat naturam utriusque, sic qualitates simplicium corporum
inveniuntur in qualitate corporis misti. Qualitas autem simplicis corporis est
quid aliud a forma substantiali ipsius: agit tamen virtute formae sub-
stantialis:
alioquin calor calefaceret tantum, non autem forma substantialis
educeretur in actum, cum nihil agat supra suam speciem. Sunt igitur virtutes
formarum substantialium simplicium corporum in corporibus mistis non actu
sed virtute
. Et hoc est quod dicit Philosophus: non manent igitur elementa
in misto actu, ut corpus album, nec corrumpuntur, nec alterum, nec ambo:
salvatur enim virtus eorum.
Andere Stellen s. De gen. et corr. l. 1. Schluß, f. 24 F; lib. 2. lect. 8. f.
52 F ff. Summa theolog. P. I. Quaest. 76, art. II. ad 4. Tom X. f. 244 H f. und
das Opuscnlum de mistione elementorum, T. XVII f. 212.
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[247/0265] Die Mischung: Thomas. Vergehen der Bestandteile. nicht actu, so doch virtute in den Verbindungen. Diese in der Verbindung erhaltene Eigenschaft oder Wirkungsfähigkeit, welche etwas anderes als die substanzielle Form ist, vertritt nämlich die substanziellen Formen der Elemente in ihren Wirkungen, 1 so daß ihre Wirkungsfähigkeit gesichert ist. Thomas setzt also an Stelle der substanziellen Formen, deren Erhaltung er nicht zugeben kann, die Eigenschaften der Elemente, indem er denselben ganz dieselbe Wirkungsfähig- keit zuschreibt, welche die Formen selbst haben würden. Wenn man jedoch berücksichtigt, daß das Vergehen der Form im scholastischen Sinne mit der Vernichtung des betreffenden Dinges gleichbedeutend ist, so versteht man freilich nicht, wie ein Element, das nicht mehr existiert, doch noch Eigenschaften besitzen und Wirkungsfähigkeiten entwickeln soll, welche das formale Sein desselben zu vertreten imstande sind. Thatsäch- lich wählt Thomas für die Existenzart der Elemente einen Ausdruck, der zwar sonst mit potentia gleichbedeutend ge- braucht wird, legt aber demselben einen Sinn unter, den man streng genommen nur mit dem Worte actu verbinden kann. Die thomistische Lehre zeigt deutlich, daß das strenge Fest- halten an dem peripatetischen Dogma von der formalen Ein- heit der Mistio notwendig zu systematischen Widersprüchen oder zwecklosem Wortsteit führt. Mit dieser Theorie des Thomas sind die grundlegenden Gedanken erschöpft, welche 1 A. a. O. f. 23 Bb. Remissis excellentiis elementarium qualitatum con- stituitur ex eis quaedam qualitas media, quae est propria qualitas corporis misti, differens tamen in diversis secundum diversam mistionis proportionem; et haec quidem qualitas est propria dispositio ad formam corporis misti, sicut qualitas simplex ad formam corporis simplicis. Sicut igitur extrema inveniuntur in medio, quod participat naturam utriusque, sic qualitates simplicium corporum inveniuntur in qualitate corporis misti. Qualitas autem simplicis corporis est quid aliud a forma substantiali ipsius: agit tamen virtute formae sub- stantialis: alioquin calor calefaceret tantum, non autem forma substantialis educeretur in actum, cum nihil agat supra suam speciem. Sunt igitur virtutes formarum substantialium simplicium corporum in corporibus mistis non actu sed virtute. Et hoc est quod dicit Philosophus: non manent igitur elementa in misto actu, ut corpus album, nec corrumpuntur, nec alterum, nec ambo: salvatur enim virtus eorum. Andere Stellen s. De gen. et corr. l. 1. Schluß, f. 24 F; lib. 2. lect. 8. f. 52 F ff. Summa theolog. P. I. Quaest. 76, art. II. ad 4. Tom X. f. 244 H f. und das Opuscnlum de mistione elementorum, T. XVII f. 212.

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Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




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Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 247. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/265>, abgerufen am 24.11.2024.