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Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890.

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Cusanus: Mathematische Fehler. Verdienste.
Menschen erreichbar ist.1 Cusas Gedanke ist ganz berechtigt, aber
es ist ihm nicht gelungen, dasjenige Verhältnis zwischen den
unendlichkleinen Veränderlichen aufzufinden, welches beim
Grenzübergange einen endlichen, angebbaren Wert behält und
geeignet ist, zu einer Integration und zur Erforschung von
Eigenschaften der Kurven. So blieben seine Versuche zur
Rektifikation des Kreises das, was sie bleiben mußten -- ver-
gebliche Arbeit. Regiomontanus hat sich die Mühe gemacht,
dieselben zu widerlegen und die Fehler des Cusanus nachzu-
weisen, in einem Buche, das er "Paulo Florentino", d. h.
Toscanelli, dem Lehrer des Nicolaus, widmete.2 Wie in der
Monadologie war es auch in der Untersuchung des Differenzials
erst Leibniz, welcher, die Gedanken des Cusaners aufnehmend,
ihnen Leben, Gestalt und Anwendbarkeit zu geben wußte.
Aber daß die Ahnung solch neuer, bahnbrechender Ideen bei
Nicolaus bereits in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts,
mitten unter der Herrschaft der scholastischen Tradition, auf-
tauchte, das will immerhin als ein hohes Verdienst für den
geistvollen Kardinal angemerkt sein; seine Werke blieben eine
reiche Quelle der Anregung für spätere Zeiten.

Noch ragt die Gestalt des Cusaners vereinzelt über die
Menge der Zeitgenossen hervor; noch bedurfte es schwerer und
vielfältiger Arbeit, ehe eine gleiche Freiheit des Denkens sich
allgemeiner verbreitete, und noch waren harte Kämpfe zu
bestehen, ehe diese den Sieg zu erringen vermochte. Aber
sein Wirken bereitet denselben vor. Es bietet die erste frucht-
bare Verwendung des neuplatonischen Begriffs einer lebendigen
Bewegung des Geistes, um das Geschehen der Natur zu erfassen
als den Ausdruck dieses Vorganges im Denken. Alle Realität
wurzelt in der Einheit, welche das Denken in den Dingen
selbst setzt.

Dieser Gedanke, daß die Welt als erkennbare Gesetzlich-
keit entsteht, weil das Denken sein eigenes Gesetz in der Fülle
des sinnlichen Inhalts enthüllt, wäre nichts Geringeres als eine
Antizipation des transcendentalen Kritizismus, wenn er bei

1 A. a. O. p. 1149.
2 De quadratura circuli secundum Nicolaum Cusensem. Vgl. Kästner,
I. S. 574 f. und 414 f.

Cusanus: Mathematische Fehler. Verdienste.
Menschen erreichbar ist.1 Cusas Gedanke ist ganz berechtigt, aber
es ist ihm nicht gelungen, dasjenige Verhältnis zwischen den
unendlichkleinen Veränderlichen aufzufinden, welches beim
Grenzübergange einen endlichen, angebbaren Wert behält und
geeignet ist, zu einer Integration und zur Erforschung von
Eigenschaften der Kurven. So blieben seine Versuche zur
Rektifikation des Kreises das, was sie bleiben mußten — ver-
gebliche Arbeit. Regiomontanus hat sich die Mühe gemacht,
dieselben zu widerlegen und die Fehler des Cusanus nachzu-
weisen, in einem Buche, das er „Paulo Florentino‟, d. h.
Toscanelli, dem Lehrer des Nicolaus, widmete.2 Wie in der
Monadologie war es auch in der Untersuchung des Differenzials
erst Leibniz, welcher, die Gedanken des Cusaners aufnehmend,
ihnen Leben, Gestalt und Anwendbarkeit zu geben wußte.
Aber daß die Ahnung solch neuer, bahnbrechender Ideen bei
Nicolaus bereits in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts,
mitten unter der Herrschaft der scholastischen Tradition, auf-
tauchte, das will immerhin als ein hohes Verdienst für den
geistvollen Kardinal angemerkt sein; seine Werke blieben eine
reiche Quelle der Anregung für spätere Zeiten.

Noch ragt die Gestalt des Cusaners vereinzelt über die
Menge der Zeitgenossen hervor; noch bedurfte es schwerer und
vielfältiger Arbeit, ehe eine gleiche Freiheit des Denkens sich
allgemeiner verbreitete, und noch waren harte Kämpfe zu
bestehen, ehe diese den Sieg zu erringen vermochte. Aber
sein Wirken bereitet denselben vor. Es bietet die erste frucht-
bare Verwendung des neuplatonischen Begriffs einer lebendigen
Bewegung des Geistes, um das Geschehen der Natur zu erfassen
als den Ausdruck dieses Vorganges im Denken. Alle Realität
wurzelt in der Einheit, welche das Denken in den Dingen
selbst setzt.

Dieser Gedanke, daß die Welt als erkennbare Gesetzlich-
keit entsteht, weil das Denken sein eigenes Gesetz in der Fülle
des sinnlichen Inhalts enthüllt, wäre nichts Geringeres als eine
Antizipation des transcendentalen Kritizismus, wenn er bei

1 A. a. O. p. 1149.
2 De quadratura circuli secundum Nicolaum Cusensem. Vgl. Kästner,
I. S. 574 f. und 414 f.
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[285/0303] Cusanus: Mathematische Fehler. Verdienste. Menschen erreichbar ist. 1 Cusas Gedanke ist ganz berechtigt, aber es ist ihm nicht gelungen, dasjenige Verhältnis zwischen den unendlichkleinen Veränderlichen aufzufinden, welches beim Grenzübergange einen endlichen, angebbaren Wert behält und geeignet ist, zu einer Integration und zur Erforschung von Eigenschaften der Kurven. So blieben seine Versuche zur Rektifikation des Kreises das, was sie bleiben mußten — ver- gebliche Arbeit. Regiomontanus hat sich die Mühe gemacht, dieselben zu widerlegen und die Fehler des Cusanus nachzu- weisen, in einem Buche, das er „Paulo Florentino‟, d. h. Toscanelli, dem Lehrer des Nicolaus, widmete. 2 Wie in der Monadologie war es auch in der Untersuchung des Differenzials erst Leibniz, welcher, die Gedanken des Cusaners aufnehmend, ihnen Leben, Gestalt und Anwendbarkeit zu geben wußte. Aber daß die Ahnung solch neuer, bahnbrechender Ideen bei Nicolaus bereits in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts, mitten unter der Herrschaft der scholastischen Tradition, auf- tauchte, das will immerhin als ein hohes Verdienst für den geistvollen Kardinal angemerkt sein; seine Werke blieben eine reiche Quelle der Anregung für spätere Zeiten. Noch ragt die Gestalt des Cusaners vereinzelt über die Menge der Zeitgenossen hervor; noch bedurfte es schwerer und vielfältiger Arbeit, ehe eine gleiche Freiheit des Denkens sich allgemeiner verbreitete, und noch waren harte Kämpfe zu bestehen, ehe diese den Sieg zu erringen vermochte. Aber sein Wirken bereitet denselben vor. Es bietet die erste frucht- bare Verwendung des neuplatonischen Begriffs einer lebendigen Bewegung des Geistes, um das Geschehen der Natur zu erfassen als den Ausdruck dieses Vorganges im Denken. Alle Realität wurzelt in der Einheit, welche das Denken in den Dingen selbst setzt. Dieser Gedanke, daß die Welt als erkennbare Gesetzlich- keit entsteht, weil das Denken sein eigenes Gesetz in der Fülle des sinnlichen Inhalts enthüllt, wäre nichts Geringeres als eine Antizipation des transcendentalen Kritizismus, wenn er bei 1 A. a. O. p. 1149. 2 De quadratura circuli secundum Nicolaum Cusensem. Vgl. Kästner, I. S. 574 f. und 414 f.

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Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 285. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/303>, abgerufen am 22.11.2024.