Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890.

Bild:
<< vorherige Seite

Hermetische Physik.
listischen) Physik, welche letztere beiden ihre Prinzipien aus der
heiligen Schrift herleiten, die christliche allein aus dem mosaischen
Schöpfungsgesetze, die mosaische auch aus der kabbalistischen und
speziell jüdischen Litteratur, unterscheidet man als eine vierte
Physik die chemische, auch hermetische oder spagirische.1
Johann Heinrich Alsted (1588--1638), Professor zu Herborn,
der selbst einem freieren, eklektischen Aristotelismus huldigte,
stellte in einem besonderen Buche die Lehren dieser vier
Gattungen der Physik zusammen.2 Als Vertreter dieser her-
metischen Physik sind zu nennen die deutschen Ärzte Oswald
Croll
3 (1580 [?] -- 1609) und Heinrich Noll.4 Hierhin gehört
auch die Physik des berühmten Johann Amos Comenius (1592--
1671),5 in welcher paracelsische Ansichten mit dem Mysticis-
mus Böhmes und aristotelischen Lehren verschmolzen sind.

Alle diese Bestrebungen spekulierender Naturphilosophie
haben wir hier nur zu erwähnen als Zeichen für die Lockerung,
welche das Dogma der aristotelischen Physik erfährt. Inso-
fern erleichtern sie dem gemeinsamen Gegner den Kampf,
welchen nunmehr mit immer gewaltigeren Waffen die mecha-
nisch-korpuskulare Auffassung der Natur gegen die substanzi-
ellen Formen wie gegen Hylozoismus und Mysticismus auf-
nimmt.

6. Vorbereitung zur mechanischen Naturauffassung.

Wir können in der Naturphilosophie, welche in der Materie
selbst den Sitz der gestaltenden Lebenskraft findet, so daß sich
aus derselben die Mannigfaltigkeit des Weltinhaltes selbständig
entwickelt, die vom Einfluß des Neuplatonismus erzwungene
Überwindung des Peripatetismus durch seine eigene Konsequenz

1 Vgl. Reiman, Hist. lit. III S. 472 ff.
2 Joh. Henrici Alstedi, Systema Physicae Harmonicae, Herbornae
Nassov. 1612.
3 Basilica Chemica, Francof. 1622. (Das Werk erlebte nach Poggendorff,
Handwörterb. von 1609--1658 18 Auflagen.)
4 Physices compendium novum, Francof. 1616. Naturae sanctuarium, quod
est physica hermetica XII. libris tractata.
Francof. 1613.
5 Physicae ad lumen divinum reformatae Synopsis. Amstel. 1663. Erste
Ausgabe 1633. Vgl. über dieselbe Zöckler, I S. 605, 606.

Hermetische Physik.
listischen) Physik, welche letztere beiden ihre Prinzipien aus der
heiligen Schrift herleiten, die christliche allein aus dem mosaischen
Schöpfungsgesetze, die mosaische auch aus der kabbalistischen und
speziell jüdischen Litteratur, unterscheidet man als eine vierte
Physik die chemische, auch hermetische oder spagirische.1
Johann Heinrich Alsted (1588—1638), Professor zu Herborn,
der selbst einem freieren, eklektischen Aristotelismus huldigte,
stellte in einem besonderen Buche die Lehren dieser vier
Gattungen der Physik zusammen.2 Als Vertreter dieser her-
metischen Physik sind zu nennen die deutschen Ärzte Oswald
Croll
3 (1580 [?] — 1609) und Heinrich Noll.4 Hierhin gehört
auch die Physik des berühmten Johann Amos Comenius (1592—
1671),5 in welcher paracelsische Ansichten mit dem Mysticis-
mus Böhmes und aristotelischen Lehren verschmolzen sind.

Alle diese Bestrebungen spekulierender Naturphilosophie
haben wir hier nur zu erwähnen als Zeichen für die Lockerung,
welche das Dogma der aristotelischen Physik erfährt. Inso-
fern erleichtern sie dem gemeinsamen Gegner den Kampf,
welchen nunmehr mit immer gewaltigeren Waffen die mecha-
nisch-korpuskulare Auffassung der Natur gegen die substanzi-
ellen Formen wie gegen Hylozoismus und Mysticismus auf-
nimmt.

6. Vorbereitung zur mechanischen Naturauffassung.

Wir können in der Naturphilosophie, welche in der Materie
selbst den Sitz der gestaltenden Lebenskraft findet, so daß sich
aus derselben die Mannigfaltigkeit des Weltinhaltes selbständig
entwickelt, die vom Einfluß des Neuplatonismus erzwungene
Überwindung des Peripatetismus durch seine eigene Konsequenz

1 Vgl. Reiman, Hist. lit. III S. 472 ff.
2 Joh. Henrici Alstedi, Systema Physicae Harmonicae, Herbornae
Nassov. 1612.
3 Basilica Chemica, Francof. 1622. (Das Werk erlebte nach Poggendorff,
Handwörterb. von 1609—1658 18 Auflagen.)
4 Physices compendium novum, Francof. 1616. Naturae sanctuarium, quod
est physica hermetica XII. libris tractata.
Francof. 1613.
5 Physicae ad lumen divinum reformatae Synopsis. Amstel. 1663. Erste
Ausgabe 1633. Vgl. über dieselbe Zöckler, I S. 605, 606.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0370" n="352"/><fw place="top" type="header">Hermetische Physik.</fw><lb/>
listischen) Physik, welche letztere beiden ihre Prinzipien aus der<lb/>
heiligen Schrift herleiten, die christliche allein aus dem mosaischen<lb/>
Schöpfungsgesetze, die mosaische auch aus der kabbalistischen und<lb/>
speziell jüdischen Litteratur, unterscheidet man als eine vierte<lb/>
Physik die <hi rendition="#g">chemische,</hi> auch hermetische oder spagirische.<note place="foot" n="1">Vgl. <hi rendition="#k">Reiman</hi>, <hi rendition="#i">Hist. lit.</hi> III S. 472 ff.</note><lb/><hi rendition="#k">Johann Heinrich Alsted</hi> (1588&#x2014;1638), Professor zu Herborn,<lb/>
der selbst einem freieren, eklektischen Aristotelismus huldigte,<lb/>
stellte in einem besonderen Buche die Lehren dieser vier<lb/>
Gattungen der Physik zusammen.<note place="foot" n="2"><hi rendition="#k">Joh. Henrici Alstedi</hi>, <hi rendition="#i">Systema Physicae Harmonicae</hi>, Herbornae<lb/>
Nassov. 1612.</note> Als Vertreter dieser her-<lb/>
metischen Physik sind zu nennen die deutschen Ärzte <hi rendition="#k">Oswald<lb/>
Croll</hi><note place="foot" n="3"><hi rendition="#i">Basilica Chemica</hi>, Francof. 1622. (Das Werk erlebte nach <hi rendition="#k">Poggendorff</hi>,<lb/><hi rendition="#i">Handwörterb.</hi> von 1609&#x2014;1658 18 Auflagen.)</note> (1580 [?] &#x2014; 1609) und <hi rendition="#k">Heinrich Noll</hi>.<note place="foot" n="4"><hi rendition="#i">Physices compendium novum</hi>, Francof. 1616. <hi rendition="#i">Naturae sanctuarium, quod<lb/>
est physica hermetica XII. libris tractata.</hi> Francof. 1613.</note> Hierhin gehört<lb/>
auch die Physik des berühmten <hi rendition="#k">Johann Amos Comenius</hi> (1592&#x2014;<lb/>
1671),<note place="foot" n="5"><hi rendition="#i">Physicae ad lumen divinum reformatae Synopsis.</hi> Amstel. 1663. Erste<lb/>
Ausgabe 1633. Vgl. über dieselbe <hi rendition="#k">Zöckler</hi>, I S. 605, 606.</note> in welcher paracelsische Ansichten mit dem Mysticis-<lb/>
mus <hi rendition="#k">Böhmes</hi> und aristotelischen Lehren verschmolzen sind.</p><lb/>
            <p>Alle diese Bestrebungen spekulierender Naturphilosophie<lb/>
haben wir hier nur zu erwähnen als Zeichen für die Lockerung,<lb/>
welche das Dogma der aristotelischen Physik erfährt. Inso-<lb/>
fern erleichtern sie dem gemeinsamen Gegner den Kampf,<lb/>
welchen nunmehr mit immer gewaltigeren Waffen die mecha-<lb/>
nisch-korpuskulare Auffassung der Natur gegen die substanzi-<lb/>
ellen Formen wie gegen Hylozoismus und Mysticismus auf-<lb/>
nimmt.</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#b">6. Vorbereitung zur mechanischen Naturauffassung.</hi> </head><lb/>
            <p>Wir können in der Naturphilosophie, welche in der Materie<lb/>
selbst den Sitz der gestaltenden Lebenskraft findet, so daß sich<lb/>
aus derselben die Mannigfaltigkeit des Weltinhaltes selbständig<lb/>
entwickelt, die vom Einfluß des Neuplatonismus erzwungene<lb/>
Überwindung des Peripatetismus durch seine eigene Konsequenz<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[352/0370] Hermetische Physik. listischen) Physik, welche letztere beiden ihre Prinzipien aus der heiligen Schrift herleiten, die christliche allein aus dem mosaischen Schöpfungsgesetze, die mosaische auch aus der kabbalistischen und speziell jüdischen Litteratur, unterscheidet man als eine vierte Physik die chemische, auch hermetische oder spagirische. 1 Johann Heinrich Alsted (1588—1638), Professor zu Herborn, der selbst einem freieren, eklektischen Aristotelismus huldigte, stellte in einem besonderen Buche die Lehren dieser vier Gattungen der Physik zusammen. 2 Als Vertreter dieser her- metischen Physik sind zu nennen die deutschen Ärzte Oswald Croll 3 (1580 [?] — 1609) und Heinrich Noll. 4 Hierhin gehört auch die Physik des berühmten Johann Amos Comenius (1592— 1671), 5 in welcher paracelsische Ansichten mit dem Mysticis- mus Böhmes und aristotelischen Lehren verschmolzen sind. Alle diese Bestrebungen spekulierender Naturphilosophie haben wir hier nur zu erwähnen als Zeichen für die Lockerung, welche das Dogma der aristotelischen Physik erfährt. Inso- fern erleichtern sie dem gemeinsamen Gegner den Kampf, welchen nunmehr mit immer gewaltigeren Waffen die mecha- nisch-korpuskulare Auffassung der Natur gegen die substanzi- ellen Formen wie gegen Hylozoismus und Mysticismus auf- nimmt. 6. Vorbereitung zur mechanischen Naturauffassung. Wir können in der Naturphilosophie, welche in der Materie selbst den Sitz der gestaltenden Lebenskraft findet, so daß sich aus derselben die Mannigfaltigkeit des Weltinhaltes selbständig entwickelt, die vom Einfluß des Neuplatonismus erzwungene Überwindung des Peripatetismus durch seine eigene Konsequenz 1 Vgl. Reiman, Hist. lit. III S. 472 ff. 2 Joh. Henrici Alstedi, Systema Physicae Harmonicae, Herbornae Nassov. 1612. 3 Basilica Chemica, Francof. 1622. (Das Werk erlebte nach Poggendorff, Handwörterb. von 1609—1658 18 Auflagen.) 4 Physices compendium novum, Francof. 1616. Naturae sanctuarium, quod est physica hermetica XII. libris tractata. Francof. 1613. 5 Physicae ad lumen divinum reformatae Synopsis. Amstel. 1663. Erste Ausgabe 1633. Vgl. über dieselbe Zöckler, I S. 605, 606.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/370
Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 352. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/370>, abgerufen am 01.06.2024.