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Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890.

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Atombegriff. Physik und Mathematik.
intensiver Größe begabte) Einheit, als Atom, begrifflich ge-
sichert wird. Die sinnliche Realität und Wechselwirkung der
Körper muß an den Substanzbegriff geknüpft werden, sonst
verflüchtigt sich die Natur und die Materie, und es wird un-
möglich, zu einer Objektivierung der subjektiven sinnlichen
Empfindungen zu gelangen. Das kann sich erst im weiteren
Verlaufe unsrer Untersuchung verständlicher und begründeter
herausstellen. Der Atombegriff erweist sich als notwendig, um
die Objektivität der sinnlichen Erfahrung als dynamische
Wechselwirkung von Substanzen zu sichern.1

In der Geometrie aber verhält sich die Sache anders. Hier
handelt es sich nicht um die Objektivierung der sinnlichen
Thatsachen, welche wir als Andrangsempfindung kennen. Die
physischen Körper sind uns in der Erfahrung als im Raume
trennbar, daher als diskontinuierliche Größen gegeben, und sie
müssen deshalb, weil wir sonst zu ihrer Individualisierung nicht
gelangen können, auch als diskontinuierliche Substanzen zur
wissenschaftlichen Objektivität erhoben werden. In der Geo-
metrie dagegen liegt zu einer Substanzialisierung des Raumes
und zu einer diskontinuierlichen Individualisierung desselben
nicht der geringste Grund vor, sobald das Denkmittel der
Variabilität gelehrt hat, die Antinomie des Kontinuums zu
überwinden. Denn hier verlangt die kausale Wechselwirkung
keine Berücksichtigung. Die gesetzliche Veränderung der
geometrischen Figuren im Raume beruht allein auf dem Denk-
mittel der Variabilität. Wenn hier durch dasselbe eine Eigen-
schaft festgestellt wird, z. B. die Steigung einer Kurve in einem
bestimmten Punkte als gegeben durch dy : dx, so bedarf es
nicht des Denkmittels der Substanzialität, um diese Eigenschaft
an einen endlichen Teil der Kurve zu fesseln und diesen aus
dem Zusammenhange herauszuheben, sondern es ist gerade der
Fortschritt des modernen über das antike mathematische
Denken, daß das Gesetz der Veränderung in jedem Punkte
des Kontinuums mitgedacht wird. Will man eine solche Eigen-
schaft, wie die der Steigung, der Krümmung oder auch der
phoronomischen Geschwindigkeit oder Beschleunigung eine

1 Vgl. auch m. Abh. "Zur Rechtfertigung der kinet. Atomistik, Viertelj. f.
w. Ph.
1885. IX. S. 137 ff.
Laßwitz. 25

Atombegriff. Physik und Mathematik.
intensiver Größe begabte) Einheit, als Atom, begrifflich ge-
sichert wird. Die sinnliche Realität und Wechselwirkung der
Körper muß an den Substanzbegriff geknüpft werden, sonst
verflüchtigt sich die Natur und die Materie, und es wird un-
möglich, zu einer Objektivierung der subjektiven sinnlichen
Empfindungen zu gelangen. Das kann sich erst im weiteren
Verlaufe unsrer Untersuchung verständlicher und begründeter
herausstellen. Der Atombegriff erweist sich als notwendig, um
die Objektivität der sinnlichen Erfahrung als dynamische
Wechselwirkung von Substanzen zu sichern.1

In der Geometrie aber verhält sich die Sache anders. Hier
handelt es sich nicht um die Objektivierung der sinnlichen
Thatsachen, welche wir als Andrangsempfindung kennen. Die
physischen Körper sind uns in der Erfahrung als im Raume
trennbar, daher als diskontinuierliche Größen gegeben, und sie
müssen deshalb, weil wir sonst zu ihrer Individualisierung nicht
gelangen können, auch als diskontinuierliche Substanzen zur
wissenschaftlichen Objektivität erhoben werden. In der Geo-
metrie dagegen liegt zu einer Substanzialisierung des Raumes
und zu einer diskontinuierlichen Individualisierung desselben
nicht der geringste Grund vor, sobald das Denkmittel der
Variabilität gelehrt hat, die Antinomie des Kontinuums zu
überwinden. Denn hier verlangt die kausale Wechselwirkung
keine Berücksichtigung. Die gesetzliche Veränderung der
geometrischen Figuren im Raume beruht allein auf dem Denk-
mittel der Variabilität. Wenn hier durch dasselbe eine Eigen-
schaft festgestellt wird, z. B. die Steigung einer Kurve in einem
bestimmten Punkte als gegeben durch dy : dx, so bedarf es
nicht des Denkmittels der Substanzialität, um diese Eigenschaft
an einen endlichen Teil der Kurve zu fesseln und diesen aus
dem Zusammenhange herauszuheben, sondern es ist gerade der
Fortschritt des modernen über das antike mathematische
Denken, daß das Gesetz der Veränderung in jedem Punkte
des Kontinuums mitgedacht wird. Will man eine solche Eigen-
schaft, wie die der Steigung, der Krümmung oder auch der
phoronomischen Geschwindigkeit oder Beschleunigung eine

1 Vgl. auch m. Abh. „Zur Rechtfertigung der kinet. Atomistik, Viertelj. f.
w. Ph.
1885. IX. S. 137 ff.
Laßwitz. 25
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[385/0403] Atombegriff. Physik und Mathematik. intensiver Größe begabte) Einheit, als Atom, begrifflich ge- sichert wird. Die sinnliche Realität und Wechselwirkung der Körper muß an den Substanzbegriff geknüpft werden, sonst verflüchtigt sich die Natur und die Materie, und es wird un- möglich, zu einer Objektivierung der subjektiven sinnlichen Empfindungen zu gelangen. Das kann sich erst im weiteren Verlaufe unsrer Untersuchung verständlicher und begründeter herausstellen. Der Atombegriff erweist sich als notwendig, um die Objektivität der sinnlichen Erfahrung als dynamische Wechselwirkung von Substanzen zu sichern. 1 In der Geometrie aber verhält sich die Sache anders. Hier handelt es sich nicht um die Objektivierung der sinnlichen Thatsachen, welche wir als Andrangsempfindung kennen. Die physischen Körper sind uns in der Erfahrung als im Raume trennbar, daher als diskontinuierliche Größen gegeben, und sie müssen deshalb, weil wir sonst zu ihrer Individualisierung nicht gelangen können, auch als diskontinuierliche Substanzen zur wissenschaftlichen Objektivität erhoben werden. In der Geo- metrie dagegen liegt zu einer Substanzialisierung des Raumes und zu einer diskontinuierlichen Individualisierung desselben nicht der geringste Grund vor, sobald das Denkmittel der Variabilität gelehrt hat, die Antinomie des Kontinuums zu überwinden. Denn hier verlangt die kausale Wechselwirkung keine Berücksichtigung. Die gesetzliche Veränderung der geometrischen Figuren im Raume beruht allein auf dem Denk- mittel der Variabilität. Wenn hier durch dasselbe eine Eigen- schaft festgestellt wird, z. B. die Steigung einer Kurve in einem bestimmten Punkte als gegeben durch dy : dx, so bedarf es nicht des Denkmittels der Substanzialität, um diese Eigenschaft an einen endlichen Teil der Kurve zu fesseln und diesen aus dem Zusammenhange herauszuheben, sondern es ist gerade der Fortschritt des modernen über das antike mathematische Denken, daß das Gesetz der Veränderung in jedem Punkte des Kontinuums mitgedacht wird. Will man eine solche Eigen- schaft, wie die der Steigung, der Krümmung oder auch der phoronomischen Geschwindigkeit oder Beschleunigung eine 1 Vgl. auch m. Abh. „Zur Rechtfertigung der kinet. Atomistik, Viertelj. f. w. Ph. 1885. IX. S. 137 ff. Laßwitz. 25

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Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 385. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/403>, abgerufen am 22.11.2024.