Raum überhaupt übertrug, kam er zu seiner unhaltbaren Ma- thematik, die an Absonderlichkeit mit der Atomistik der Mutakallimun rivalisiert, mit welcher sie ja auch die Leugnung genauer mathematischer Figuren gemein hat.
Bruno stand trotz seines Angriffes auf die aristotelische Körperlehre unter dem Einflusse der traditionellen Untrenn- barkeit von Raum und Körper, welche die Folge der Ver- werfung des leeren Raumes war. Nun beruhte aber hierauf die Gewalt des aristotelischen Angriffs gegen die Atomistik; dieser stützte sich gerade auf die Lehre, daß das, was von der Materie gälte, auch vom Raume gelten müsse, daß die ato- mistische Fassung der Körperwelt die atomistische Fassung des räumlichen Kontinuums nach sich zöge. Wer die Atomistik verteidigen wollte, mußte also zunächst diesen Einwand ver- nichten. Der zum Ziele führende Weg lag in der kritischen Untersuchung der Bedeutung des Raum- und Körperbegriffs, wie wir ihn heute nach Kant zu wandeln vermögen. Bruno, obwohl seine Monadologie der Entdeckung der fehlenden Denk- mittel sich näherte, blieb zur Rettung der Atomistik doch nur der Weg übrig, daß er die atomistische Konstitution des räumlichen Kontinuums begreiflich zu machen suchte. Die Folge sind seine unmöglichen mathematischen Figuren. So zeigt sich denn eine eigentümliche Umkehrung der Rollen zwischen mathematischer Evidenz und Sinnenschein. Die geo- metrischen Konstruktionen, die mathematische Gleichheit der Figuren, ihre Verwandlung und Teilung, sonst das unantast- bare Gut absolut sicherer Erkenntnis, -- Bruno leugnet ihre Giltigkeit. Alles, was je der Skepticismus gegen die Mathe- matik vorgebracht hat, gibt er zu; zwei gleiche Figuren, zwei gleiche Hälften sind illusorisch. Mathematische Gewißheit ist nur Sinnenschein; das Denken aber, welches über die Sinnlich- keit hinausreicht, erkennt in den Dingen die Diskontinuität der Atome und die Unvollkommenheit der Figuren.
Sehen wir nun von dem Irrtume Brunos ab, daß er seinen Begriff vom Minimum auch auf den Raum übertragen zu müssen glaubte, so können wir mit Beiseitelassung seiner mathema- tischen Kuriositäten die volle Bedeutung seiner atomistischen Ausführungen für die Physik würdigen. Hier zerstörte er das Vorurteil, daß die Vorstellung des unendlichen Fortgangs in
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Brunos Irrtum in d. atom. Fassung des Raumes.
Raum überhaupt übertrug, kam er zu seiner unhaltbaren Ma- thematik, die an Absonderlichkeit mit der Atomistik der Mutakallimun rivalisiert, mit welcher sie ja auch die Leugnung genauer mathematischer Figuren gemein hat.
Bruno stand trotz seines Angriffes auf die aristotelische Körperlehre unter dem Einflusse der traditionellen Untrenn- barkeit von Raum und Körper, welche die Folge der Ver- werfung des leeren Raumes war. Nun beruhte aber hierauf die Gewalt des aristotelischen Angriffs gegen die Atomistik; dieser stützte sich gerade auf die Lehre, daß das, was von der Materie gälte, auch vom Raume gelten müsse, daß die ato- mistische Fassung der Körperwelt die atomistische Fassung des räumlichen Kontinuums nach sich zöge. Wer die Atomistik verteidigen wollte, mußte also zunächst diesen Einwand ver- nichten. Der zum Ziele führende Weg lag in der kritischen Untersuchung der Bedeutung des Raum- und Körperbegriffs, wie wir ihn heute nach Kant zu wandeln vermögen. Bruno, obwohl seine Monadologie der Entdeckung der fehlenden Denk- mittel sich näherte, blieb zur Rettung der Atomistik doch nur der Weg übrig, daß er die atomistische Konstitution des räumlichen Kontinuums begreiflich zu machen suchte. Die Folge sind seine unmöglichen mathematischen Figuren. So zeigt sich denn eine eigentümliche Umkehrung der Rollen zwischen mathematischer Evidenz und Sinnenschein. Die geo- metrischen Konstruktionen, die mathematische Gleichheit der Figuren, ihre Verwandlung und Teilung, sonst das unantast- bare Gut absolut sicherer Erkenntnis, — Bruno leugnet ihre Giltigkeit. Alles, was je der Skepticismus gegen die Mathe- matik vorgebracht hat, gibt er zu; zwei gleiche Figuren, zwei gleiche Hälften sind illusorisch. Mathematische Gewißheit ist nur Sinnenschein; das Denken aber, welches über die Sinnlich- keit hinausreicht, erkennt in den Dingen die Diskontinuität der Atome und die Unvollkommenheit der Figuren.
Sehen wir nun von dem Irrtume Brunos ab, daß er seinen Begriff vom Minimum auch auf den Raum übertragen zu müssen glaubte, so können wir mit Beiseitelassung seiner mathema- tischen Kuriositäten die volle Bedeutung seiner atomistischen Ausführungen für die Physik würdigen. Hier zerstörte er das Vorurteil, daß die Vorstellung des unendlichen Fortgangs in
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Brunos Irrtum in d. atom. Fassung des Raumes.
Raum überhaupt übertrug, kam er zu seiner unhaltbaren Ma-
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Mutakallimun rivalisiert, mit welcher sie ja auch die Leugnung
genauer mathematischer Figuren gemein hat.
Bruno stand trotz seines Angriffes auf die aristotelische
Körperlehre unter dem Einflusse der traditionellen Untrenn-
barkeit von Raum und Körper, welche die Folge der Ver-
werfung des leeren Raumes war. Nun beruhte aber hierauf
die Gewalt des aristotelischen Angriffs gegen die Atomistik;
dieser stützte sich gerade auf die Lehre, daß das, was von der
Materie gälte, auch vom Raume gelten müsse, daß die ato-
mistische Fassung der Körperwelt die atomistische Fassung
des räumlichen Kontinuums nach sich zöge. Wer die Atomistik
verteidigen wollte, mußte also zunächst diesen Einwand ver-
nichten. Der zum Ziele führende Weg lag in der kritischen
Untersuchung der Bedeutung des Raum- und Körperbegriffs,
wie wir ihn heute nach Kant zu wandeln vermögen. Bruno,
obwohl seine Monadologie der Entdeckung der fehlenden Denk-
mittel sich näherte, blieb zur Rettung der Atomistik doch nur
der Weg übrig, daß er die atomistische Konstitution des
räumlichen Kontinuums begreiflich zu machen suchte. Die
Folge sind seine unmöglichen mathematischen Figuren. So
zeigt sich denn eine eigentümliche Umkehrung der Rollen
zwischen mathematischer Evidenz und Sinnenschein. Die geo-
metrischen Konstruktionen, die mathematische Gleichheit der
Figuren, ihre Verwandlung und Teilung, sonst das unantast-
bare Gut absolut sicherer Erkenntnis, — Bruno leugnet ihre
Giltigkeit. Alles, was je der Skepticismus gegen die Mathe-
matik vorgebracht hat, gibt er zu; zwei gleiche Figuren, zwei
gleiche Hälften sind illusorisch. Mathematische Gewißheit ist
nur Sinnenschein; das Denken aber, welches über die Sinnlich-
keit hinausreicht, erkennt in den Dingen die Diskontinuität
der Atome und die Unvollkommenheit der Figuren.
Sehen wir nun von dem Irrtume Brunos ab, daß er seinen
Begriff vom Minimum auch auf den Raum übertragen zu müssen
glaubte, so können wir mit Beiseitelassung seiner mathema-
tischen Kuriositäten die volle Bedeutung seiner atomistischen
Ausführungen für die Physik würdigen. Hier zerstörte er das
Vorurteil, daß die Vorstellung des unendlichen Fortgangs in
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Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 387. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/405>, abgerufen am 22.11.2024.
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