Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890.

Bild:
<< vorherige Seite

Lubins Verdienste. Mutakallimun.
mäßigen Behandlung für sehr viele von vornherein ein Ab-
schreckungsmittel bei der Verfolgung atomistischer Neigungen
waren. Es mußte gezeigt werden, daß die atomistische Auffassung
des Kontinuums nicht nur vereinbar ist mit andern Lehren
der Schule und vor allem mit dem theologischen Bedürfnis,
sondern daß sie unter Umständen von letzterem sogar gefor-
dert werden könne. Je mehr das Vorurteil verbreitet war,
daß Anhänger der Atomistik eigentlich auch Atheisten wären
(von Epikur hatte man ja die möglich schlechteste Meinung, und
von Bruno war sie nicht viel besser), um so wichtiger wurde
es, die atomistische Auffassung des Kontinuums oder der Ma-
terie als mit der christlichen Weltauffassung vereinbar darzu-
stellen. In diesem Sinne darf man die Arbeit Lubins nicht
unterschätzen. Hat er auch seine Gründe zum Teil mit nicht
besseren Waffen verteidigt, wie die der Scholastik waren, so
zeigt er dafür an einzelnen Stellen eine freie und klare
Auffassung. Insbesondere, daß man den Atomen, wenn sie
punktuell gefaßt werden, nicht wieder sinnliche Eigenschaften
in Bezug auf ihre Zusammensetzung zuschreiben darf, ist eine
Bemerkung, die hervorgehoben zu werden verdient. Der sich
daraus erhebenden Frage, wie nun die Zusammensetzung zu
denken sei, steht Lubin allerdings ratlos gegenüber. Aber die
Frage ist jetzt gestellt und die traditionelle Meinung, daß die
Atome untereinander in Berührung sein müßten, erschüttert
Die Lösung der Frage nach dem Zusammen der getrennten
Punkte führt dann auf das dynamische Gebiet; denn nur durch
Annahme von Kräften wird das Außereinander der Punkte
begreifbar werden. Lubins atomistische Fassung des Konti-
nuums aus theologischen Gründen, zum Beweise der Welt-
schöpfung, erinnert sehr an die Atomistik der Mutakallimun,
die ja ebenfalls aus dem Bedürfnis hervorgegangen war, die
Allmacht des Schöpfers sicher zu stellen. Die Mutakallimun
sind aber konsequenter darin, daß sie zwar dem einzelnen Atom
an sich keine Größe zuschreiben, dasselbe dagegen beim Zu-
sammenfallen mit einem andren Größe gewinnen lassen. Im
Grunde schwebt wohl auch Lubin dieser Gedanke vor, wenn
er erst die Punkte zweiter Ordnung sich der Aneinanderlagerung
fähig denkt. Ob ihm die Atomistik der Mutakallimun bekannt
war, vermögen wir nicht festzustellen; wahrscheinlich ist es nicht.

Lubins Verdienste. Mutakallimun.
mäßigen Behandlung für sehr viele von vornherein ein Ab-
schreckungsmittel bei der Verfolgung atomistischer Neigungen
waren. Es mußte gezeigt werden, daß die atomistische Auffassung
des Kontinuums nicht nur vereinbar ist mit andern Lehren
der Schule und vor allem mit dem theologischen Bedürfnis,
sondern daß sie unter Umständen von letzterem sogar gefor-
dert werden könne. Je mehr das Vorurteil verbreitet war,
daß Anhänger der Atomistik eigentlich auch Atheisten wären
(von Epikur hatte man ja die möglich schlechteste Meinung, und
von Bruno war sie nicht viel besser), um so wichtiger wurde
es, die atomistische Auffassung des Kontinuums oder der Ma-
terie als mit der christlichen Weltauffassung vereinbar darzu-
stellen. In diesem Sinne darf man die Arbeit Lubins nicht
unterschätzen. Hat er auch seine Gründe zum Teil mit nicht
besseren Waffen verteidigt, wie die der Scholastik waren, so
zeigt er dafür an einzelnen Stellen eine freie und klare
Auffassung. Insbesondere, daß man den Atomen, wenn sie
punktuell gefaßt werden, nicht wieder sinnliche Eigenschaften
in Bezug auf ihre Zusammensetzung zuschreiben darf, ist eine
Bemerkung, die hervorgehoben zu werden verdient. Der sich
daraus erhebenden Frage, wie nun die Zusammensetzung zu
denken sei, steht Lubin allerdings ratlos gegenüber. Aber die
Frage ist jetzt gestellt und die traditionelle Meinung, daß die
Atome untereinander in Berührung sein müßten, erschüttert
Die Lösung der Frage nach dem Zusammen der getrennten
Punkte führt dann auf das dynamische Gebiet; denn nur durch
Annahme von Kräften wird das Außereinander der Punkte
begreifbar werden. Lubins atomistische Fassung des Konti-
nuums aus theologischen Gründen, zum Beweise der Welt-
schöpfung, erinnert sehr an die Atomistik der Mutakallimun,
die ja ebenfalls aus dem Bedürfnis hervorgegangen war, die
Allmacht des Schöpfers sicher zu stellen. Die Mutakallimun
sind aber konsequenter darin, daß sie zwar dem einzelnen Atom
an sich keine Größe zuschreiben, dasselbe dagegen beim Zu-
sammenfallen mit einem andren Größe gewinnen lassen. Im
Grunde schwebt wohl auch Lubin dieser Gedanke vor, wenn
er erst die Punkte zweiter Ordnung sich der Aneinanderlagerung
fähig denkt. Ob ihm die Atomistik der Mutakallimun bekannt
war, vermögen wir nicht festzustellen; wahrscheinlich ist es nicht.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0428" n="410"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#k">Lubins</hi> Verdienste. Mutakallimun.</fw><lb/>
mäßigen Behandlung für sehr viele von vornherein ein Ab-<lb/>
schreckungsmittel bei der Verfolgung atomistischer Neigungen<lb/>
waren. Es mußte gezeigt werden, daß die atomistische Auffassung<lb/>
des Kontinuums nicht nur vereinbar ist mit andern Lehren<lb/>
der Schule und vor allem mit dem theologischen Bedürfnis,<lb/>
sondern daß sie unter Umständen von letzterem sogar gefor-<lb/>
dert werden könne. Je mehr das Vorurteil verbreitet war,<lb/>
daß Anhänger der Atomistik eigentlich auch Atheisten wären<lb/>
(von <hi rendition="#k">Epikur</hi> hatte man ja die möglich schlechteste Meinung, und<lb/>
von <hi rendition="#k">Bruno</hi> war sie nicht viel besser), um so wichtiger wurde<lb/>
es, die atomistische Auffassung des Kontinuums oder der Ma-<lb/>
terie als mit der christlichen Weltauffassung vereinbar darzu-<lb/>
stellen. In diesem Sinne darf man die Arbeit <hi rendition="#k">Lubins</hi> nicht<lb/>
unterschätzen. Hat er auch seine Gründe zum Teil mit nicht<lb/>
besseren Waffen verteidigt, wie die der Scholastik waren, so<lb/>
zeigt er dafür an einzelnen Stellen eine freie und klare<lb/>
Auffassung. Insbesondere, daß man den Atomen, wenn sie<lb/>
punktuell gefaßt werden, nicht wieder sinnliche Eigenschaften<lb/>
in Bezug auf ihre Zusammensetzung zuschreiben darf, ist eine<lb/>
Bemerkung, die hervorgehoben zu werden verdient. Der sich<lb/>
daraus erhebenden Frage, wie nun die Zusammensetzung zu<lb/>
denken sei, steht <hi rendition="#k">Lubin</hi> allerdings ratlos gegenüber. Aber die<lb/>
Frage ist jetzt gestellt und die traditionelle Meinung, daß die<lb/>
Atome untereinander in Berührung sein müßten, erschüttert<lb/>
Die Lösung der Frage nach dem Zusammen der getrennten<lb/>
Punkte führt dann auf das dynamische Gebiet; denn nur durch<lb/>
Annahme von Kräften wird das Außereinander der Punkte<lb/>
begreifbar werden. <hi rendition="#k">Lubins</hi> atomistische Fassung des Konti-<lb/>
nuums aus theologischen Gründen, zum Beweise der Welt-<lb/>
schöpfung, erinnert sehr an die Atomistik der Mutakallimun,<lb/>
die ja ebenfalls aus dem Bedürfnis hervorgegangen war, die<lb/>
Allmacht des Schöpfers sicher zu stellen. Die Mutakallimun<lb/>
sind aber konsequenter darin, daß sie zwar dem einzelnen Atom<lb/>
an sich keine Größe zuschreiben, dasselbe dagegen beim Zu-<lb/>
sammenfallen mit einem andren Größe gewinnen lassen. Im<lb/>
Grunde schwebt wohl auch <hi rendition="#k">Lubin</hi> dieser Gedanke vor, wenn<lb/>
er erst die Punkte zweiter Ordnung sich der Aneinanderlagerung<lb/>
fähig denkt. Ob ihm die Atomistik der Mutakallimun bekannt<lb/>
war, vermögen wir nicht festzustellen; wahrscheinlich ist es nicht.<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[410/0428] Lubins Verdienste. Mutakallimun. mäßigen Behandlung für sehr viele von vornherein ein Ab- schreckungsmittel bei der Verfolgung atomistischer Neigungen waren. Es mußte gezeigt werden, daß die atomistische Auffassung des Kontinuums nicht nur vereinbar ist mit andern Lehren der Schule und vor allem mit dem theologischen Bedürfnis, sondern daß sie unter Umständen von letzterem sogar gefor- dert werden könne. Je mehr das Vorurteil verbreitet war, daß Anhänger der Atomistik eigentlich auch Atheisten wären (von Epikur hatte man ja die möglich schlechteste Meinung, und von Bruno war sie nicht viel besser), um so wichtiger wurde es, die atomistische Auffassung des Kontinuums oder der Ma- terie als mit der christlichen Weltauffassung vereinbar darzu- stellen. In diesem Sinne darf man die Arbeit Lubins nicht unterschätzen. Hat er auch seine Gründe zum Teil mit nicht besseren Waffen verteidigt, wie die der Scholastik waren, so zeigt er dafür an einzelnen Stellen eine freie und klare Auffassung. Insbesondere, daß man den Atomen, wenn sie punktuell gefaßt werden, nicht wieder sinnliche Eigenschaften in Bezug auf ihre Zusammensetzung zuschreiben darf, ist eine Bemerkung, die hervorgehoben zu werden verdient. Der sich daraus erhebenden Frage, wie nun die Zusammensetzung zu denken sei, steht Lubin allerdings ratlos gegenüber. Aber die Frage ist jetzt gestellt und die traditionelle Meinung, daß die Atome untereinander in Berührung sein müßten, erschüttert Die Lösung der Frage nach dem Zusammen der getrennten Punkte führt dann auf das dynamische Gebiet; denn nur durch Annahme von Kräften wird das Außereinander der Punkte begreifbar werden. Lubins atomistische Fassung des Konti- nuums aus theologischen Gründen, zum Beweise der Welt- schöpfung, erinnert sehr an die Atomistik der Mutakallimun, die ja ebenfalls aus dem Bedürfnis hervorgegangen war, die Allmacht des Schöpfers sicher zu stellen. Die Mutakallimun sind aber konsequenter darin, daß sie zwar dem einzelnen Atom an sich keine Größe zuschreiben, dasselbe dagegen beim Zu- sammenfallen mit einem andren Größe gewinnen lassen. Im Grunde schwebt wohl auch Lubin dieser Gedanke vor, wenn er erst die Punkte zweiter Ordnung sich der Aneinanderlagerung fähig denkt. Ob ihm die Atomistik der Mutakallimun bekannt war, vermögen wir nicht festzustellen; wahrscheinlich ist es nicht.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/428
Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 410. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/428>, abgerufen am 22.11.2024.