Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890.

Bild:
<< vorherige Seite

Bacon: Methaphysik und Physik.
und diese Metaphysik, welche der empirischen Physik über-
geordnet ist, konnte, wenn sie zur Wissenschaft werden
sollte, nichts andres bedeuten als "mathematische Naturwissen-
schaft". Bacon konnte zu dieser Erkenntnis nicht gelangen,
sweil er nicht sah, daß alle Gewißheit in der Naturerkenntni
in der Darstellbarkeit der Erscheinungen als mathematische
Größen liegt. Messung und Wägung galt ihm nur als Mittel
der Registrierung, und insofern wohl als eine Vorstufe der
Objektivierung; daß aber die Objektivierung selbst, die Ga-
rantie des gesetzlichen Zusammenhangs der Erscheinungen,
sich ebenfalls nur in mathematischen Begriffen durch jene
Größenrelationen vollziehen kann, die wir Prinzipien der Mecha-
nik nennen, das war ihm ein durchaus fremdartiger Gedanke.

Hält man dies fest, daß Bacon in seiner Metaphysik eine
Wissenschaft abgrenzen wollte, die für die Feststellung der
"formalen Ursachen" dasjenige leisten sollte, was die mathe-
matische Physik thatsächlich leistet, so wird auch seine Auf-
fassung der Physik deutlich und die bescheidene Rolle, welche
er der wirkenden Ursache und der Materie zuschreibt. Weil
seine "Formen" ihm nicht unter der Gestalt mathematisch for-
mulierter Bewegungsgesetze erscheinen konnten, fielen alle Be-
wegungsvorgänge in das Gebiet der veränderlichen Erscheinun-
gen der Physik, wo die Bewegung in lauter spezielle Einzel-
thatsachen sich auflöst. Die "wirkenden" und die "materialen"
Ursachen sind überall durch die besonderen Umstände, unter
denen sie auftreten, verändert und bedingt. Sie gelten daher
als sekundäre oder fließende Ursachen, welche zur Übertragung
der Formen dienen.1 Man kann dies nur so verstehen, daß
die in den Formen gegebenen konstanten und gesetzlichen
Wirkungsweisen, je nachdem sie in gegenseitige Berührung
kommen, in der Materie in mannigfaltigster Gestalt sich äußern.
Das Feuer z. B. muß durch ein Gesetz als Wirkungsweise be-
stimmt sein, aber beim Schlamm ist es Ursache der Erhärtung,
beim Wachs Ursache der Erweichung. Diese Veränderlichkeit
der Ursache und Wirkung, das Unbestimmte und nach Maß-
gabe des Subjekts Bewegliche derselben, hat die Physik zu
untersuchen.2 Obwohl Bacon in der Encyklopädie eine "kon-

1 N. O. II, 4. T. II p. 134.
2 De augm. scient. III, 4. p. 173.

Bacon: Methaphysik und Physik.
und diese Metaphysik, welche der empirischen Physik über-
geordnet ist, konnte, wenn sie zur Wissenschaft werden
sollte, nichts andres bedeuten als „mathematische Naturwissen-
schaft‟. Bacon konnte zu dieser Erkenntnis nicht gelangen,
sweil er nicht sah, daß alle Gewißheit in der Naturerkenntni
in der Darstellbarkeit der Erscheinungen als mathematische
Größen liegt. Messung und Wägung galt ihm nur als Mittel
der Registrierung, und insofern wohl als eine Vorstufe der
Objektivierung; daß aber die Objektivierung selbst, die Ga-
rantie des gesetzlichen Zusammenhangs der Erscheinungen,
sich ebenfalls nur in mathematischen Begriffen durch jene
Größenrelationen vollziehen kann, die wir Prinzipien der Mecha-
nik nennen, das war ihm ein durchaus fremdartiger Gedanke.

Hält man dies fest, daß Bacon in seiner Metaphysik eine
Wissenschaft abgrenzen wollte, die für die Feststellung der
„formalen Ursachen‟ dasjenige leisten sollte, was die mathe-
matische Physik thatsächlich leistet, so wird auch seine Auf-
fassung der Physik deutlich und die bescheidene Rolle, welche
er der wirkenden Ursache und der Materie zuschreibt. Weil
seine „Formen‟ ihm nicht unter der Gestalt mathematisch for-
mulierter Bewegungsgesetze erscheinen konnten, fielen alle Be-
wegungsvorgänge in das Gebiet der veränderlichen Erscheinun-
gen der Physik, wo die Bewegung in lauter spezielle Einzel-
thatsachen sich auflöst. Die „wirkenden‟ und die „materialen‟
Ursachen sind überall durch die besonderen Umstände, unter
denen sie auftreten, verändert und bedingt. Sie gelten daher
als sekundäre oder fließende Ursachen, welche zur Übertragung
der Formen dienen.1 Man kann dies nur so verstehen, daß
die in den Formen gegebenen konstanten und gesetzlichen
Wirkungsweisen, je nachdem sie in gegenseitige Berührung
kommen, in der Materie in mannigfaltigster Gestalt sich äußern.
Das Feuer z. B. muß durch ein Gesetz als Wirkungsweise be-
stimmt sein, aber beim Schlamm ist es Ursache der Erhärtung,
beim Wachs Ursache der Erweichung. Diese Veränderlichkeit
der Ursache und Wirkung, das Unbestimmte und nach Maß-
gabe des Subjekts Bewegliche derselben, hat die Physik zu
untersuchen.2 Obwohl Bacon in der Encyklopädie eine „kon-

1 N. O. II, 4. T. II p. 134.
2 De augm. scient. III, 4. p. 173.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0438" n="420"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#k">Bacon</hi>: Methaphysik und Physik.</fw><lb/>
und diese Metaphysik, welche der empirischen Physik über-<lb/>
geordnet ist, konnte, wenn sie zur Wissenschaft werden<lb/>
sollte, nichts andres bedeuten als &#x201E;mathematische Naturwissen-<lb/>
schaft&#x201F;. <hi rendition="#k">Bacon</hi> konnte zu dieser Erkenntnis nicht gelangen,<lb/>
sweil er nicht sah, daß alle Gewißheit in der Naturerkenntni<lb/>
in der Darstellbarkeit der Erscheinungen als mathematische<lb/>
Größen liegt. Messung und Wägung galt ihm nur als Mittel<lb/>
der Registrierung, und insofern wohl als eine Vorstufe der<lb/>
Objektivierung; daß aber die Objektivierung selbst, die Ga-<lb/>
rantie des gesetzlichen Zusammenhangs der Erscheinungen,<lb/>
sich ebenfalls nur in mathematischen Begriffen durch jene<lb/>
Größenrelationen vollziehen kann, die wir Prinzipien der Mecha-<lb/>
nik nennen, das war ihm ein durchaus fremdartiger Gedanke.</p><lb/>
              <p>Hält man dies fest, daß <hi rendition="#k">Bacon</hi> in seiner Metaphysik eine<lb/>
Wissenschaft abgrenzen wollte, die für die Feststellung der<lb/>
&#x201E;formalen Ursachen&#x201F; dasjenige leisten sollte, was die mathe-<lb/>
matische Physik thatsächlich leistet, so wird auch seine Auf-<lb/>
fassung der Physik deutlich und die bescheidene Rolle, welche<lb/>
er der wirkenden Ursache und der Materie zuschreibt. Weil<lb/>
seine &#x201E;Formen&#x201F; ihm nicht unter der Gestalt mathematisch for-<lb/>
mulierter Bewegungsgesetze erscheinen konnten, fielen alle Be-<lb/>
wegungsvorgänge in das Gebiet der veränderlichen Erscheinun-<lb/>
gen der Physik, wo die Bewegung in lauter spezielle Einzel-<lb/>
thatsachen sich auflöst. Die &#x201E;wirkenden&#x201F; und die &#x201E;materialen&#x201F;<lb/>
Ursachen sind überall durch die besonderen Umstände, unter<lb/>
denen sie auftreten, verändert und bedingt. Sie gelten daher<lb/>
als sekundäre oder fließende Ursachen, welche zur Übertragung<lb/>
der Formen dienen.<note place="foot" n="1"><hi rendition="#i">N. O.</hi> II, 4. T. II p. 134.</note> Man kann dies nur so verstehen, daß<lb/>
die in den Formen gegebenen konstanten und gesetzlichen<lb/>
Wirkungsweisen, je nachdem sie in gegenseitige Berührung<lb/>
kommen, in der Materie in mannigfaltigster Gestalt sich äußern.<lb/>
Das Feuer z. B. muß durch ein Gesetz als Wirkungsweise be-<lb/>
stimmt sein, aber beim Schlamm ist es Ursache der Erhärtung,<lb/>
beim Wachs Ursache der Erweichung. Diese Veränderlichkeit<lb/>
der Ursache und Wirkung, das Unbestimmte und nach Maß-<lb/>
gabe des Subjekts Bewegliche derselben, hat die Physik zu<lb/>
untersuchen.<note place="foot" n="2"><hi rendition="#i">De augm. scient.</hi> III, 4. p. 173.</note> Obwohl <hi rendition="#k">Bacon</hi> in der Encyklopädie eine &#x201E;kon-<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[420/0438] Bacon: Methaphysik und Physik. und diese Metaphysik, welche der empirischen Physik über- geordnet ist, konnte, wenn sie zur Wissenschaft werden sollte, nichts andres bedeuten als „mathematische Naturwissen- schaft‟. Bacon konnte zu dieser Erkenntnis nicht gelangen, sweil er nicht sah, daß alle Gewißheit in der Naturerkenntni in der Darstellbarkeit der Erscheinungen als mathematische Größen liegt. Messung und Wägung galt ihm nur als Mittel der Registrierung, und insofern wohl als eine Vorstufe der Objektivierung; daß aber die Objektivierung selbst, die Ga- rantie des gesetzlichen Zusammenhangs der Erscheinungen, sich ebenfalls nur in mathematischen Begriffen durch jene Größenrelationen vollziehen kann, die wir Prinzipien der Mecha- nik nennen, das war ihm ein durchaus fremdartiger Gedanke. Hält man dies fest, daß Bacon in seiner Metaphysik eine Wissenschaft abgrenzen wollte, die für die Feststellung der „formalen Ursachen‟ dasjenige leisten sollte, was die mathe- matische Physik thatsächlich leistet, so wird auch seine Auf- fassung der Physik deutlich und die bescheidene Rolle, welche er der wirkenden Ursache und der Materie zuschreibt. Weil seine „Formen‟ ihm nicht unter der Gestalt mathematisch for- mulierter Bewegungsgesetze erscheinen konnten, fielen alle Be- wegungsvorgänge in das Gebiet der veränderlichen Erscheinun- gen der Physik, wo die Bewegung in lauter spezielle Einzel- thatsachen sich auflöst. Die „wirkenden‟ und die „materialen‟ Ursachen sind überall durch die besonderen Umstände, unter denen sie auftreten, verändert und bedingt. Sie gelten daher als sekundäre oder fließende Ursachen, welche zur Übertragung der Formen dienen. 1 Man kann dies nur so verstehen, daß die in den Formen gegebenen konstanten und gesetzlichen Wirkungsweisen, je nachdem sie in gegenseitige Berührung kommen, in der Materie in mannigfaltigster Gestalt sich äußern. Das Feuer z. B. muß durch ein Gesetz als Wirkungsweise be- stimmt sein, aber beim Schlamm ist es Ursache der Erhärtung, beim Wachs Ursache der Erweichung. Diese Veränderlichkeit der Ursache und Wirkung, das Unbestimmte und nach Maß- gabe des Subjekts Bewegliche derselben, hat die Physik zu untersuchen. 2 Obwohl Bacon in der Encyklopädie eine „kon- 1 N. O. II, 4. T. II p. 134. 2 De augm. scient. III, 4. p. 173.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/438
Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 420. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/438>, abgerufen am 22.11.2024.