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Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890.

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Berigard: Verdichtung und Verdünnung.
feiner, fast bis ins Unendliche feiner als die andre ist. Diese
höchst feinen Partikeln sind jedoch in einem bestimmten Ver-
hältnisse zu einander gemischt. Alle pneumatischen Erschei-
nungen lassen sich nun erklären, wenn man annimmt, daß,
nach einer Störung dieses natürlichen Mischungsverhältnisses
durch äußere Veranlassung, bei eintretender Gelegenheit sich
dasselbe sofort durch Herbeiströmen der geeigneten Partikelchen
wiederherstellt. Berigard gibt auf diese Weise eine ganze
Reihe von Erklärungen im Gebiete der Pneumatik. Die
Elastizität der Luft, infolge deren sie sich nach Aufhebung des
Druckes wieder ausdehnt, wird z. B. daraus erklärt, daß die
feineren Teilchen durch den Druck aus dem Gefäße heraus-
gepreßt werden -- nur diese werden von den Poren durch-
gelassen -- und nun nach Aufhebung des Druckes wieder
eintreten, um das natürliche Mischungsverhältnis aufrecht zu
erhalten. Auch die Wirkung des Schießpulvers, deren Erklärung
auf aristotelischem Standpunkte besondere Schwierigkeiten
macht, weil sich nicht einsehen läßt, woher der Raum zur
Entzündung des Feuers kommen soll, lasse sich leicht verstehen,
wenn man annimmt, daß das Feuer durch den Funken nur
veranlaßt wird, aus den Poren, in denen es verborgen ist,
hervorzubrechen. Bei diesen Erklärungen bedarf man weder
der unklaren aristotelischen Begriffe der Verdichtung und
Verdünnung, noch des Vacuums der Atomisten.1 Ein Vacuum
nämlich giebt es, wie schon gesagt, nicht, aber auch keinen
horror vacui, eben weil ein Vacuum unter keinen Umständen
entstehen kann. Die Welt ist kontinuierlich mit Substanzen
angefüllt, die einfachen Grundsubstanzen aber lassen weder
Ausdehnung noch Zusammenziehung zu, also kann Bewegung nur
dadurch stattfinden, daß die Substanzen ihre Ortslage ver-
tauschen, d. h. daß nichts bewegt wird, an dessen Stelle nicht
sofort etwas andres träte. Die Experimente der Neueren
beweisen vorläufig das Vacuum nicht, da durch die Poren des
Glases sehr feine Substanzen, wie z. B. das Licht, eindringen.2

Die Verdichtung und Verdünnung der einfachen Sub-
stanzen erklären die Alten durch eine geringere oder

1 Circ. Pis. i. l. de ortu et int. Circ. V. p. 31 f.
2 Circ. Pis. i. pr. libr. phys. Ar. X. p. 60.

Berigard: Verdichtung und Verdünnung.
feiner, fast bis ins Unendliche feiner als die andre ist. Diese
höchst feinen Partikeln sind jedoch in einem bestimmten Ver-
hältnisse zu einander gemischt. Alle pneumatischen Erschei-
nungen lassen sich nun erklären, wenn man annimmt, daß,
nach einer Störung dieses natürlichen Mischungsverhältnisses
durch äußere Veranlassung, bei eintretender Gelegenheit sich
dasselbe sofort durch Herbeiströmen der geeigneten Partikelchen
wiederherstellt. Berigard gibt auf diese Weise eine ganze
Reihe von Erklärungen im Gebiete der Pneumatik. Die
Elastizität der Luft, infolge deren sie sich nach Aufhebung des
Druckes wieder ausdehnt, wird z. B. daraus erklärt, daß die
feineren Teilchen durch den Druck aus dem Gefäße heraus-
gepreßt werden — nur diese werden von den Poren durch-
gelassen — und nun nach Aufhebung des Druckes wieder
eintreten, um das natürliche Mischungsverhältnis aufrecht zu
erhalten. Auch die Wirkung des Schießpulvers, deren Erklärung
auf aristotelischem Standpunkte besondere Schwierigkeiten
macht, weil sich nicht einsehen läßt, woher der Raum zur
Entzündung des Feuers kommen soll, lasse sich leicht verstehen,
wenn man annimmt, daß das Feuer durch den Funken nur
veranlaßt wird, aus den Poren, in denen es verborgen ist,
hervorzubrechen. Bei diesen Erklärungen bedarf man weder
der unklaren aristotelischen Begriffe der Verdichtung und
Verdünnung, noch des Vacuums der Atomisten.1 Ein Vacuum
nämlich giebt es, wie schon gesagt, nicht, aber auch keinen
horror vacui, eben weil ein Vacuum unter keinen Umständen
entstehen kann. Die Welt ist kontinuierlich mit Substanzen
angefüllt, die einfachen Grundsubstanzen aber lassen weder
Ausdehnung noch Zusammenziehung zu, also kann Bewegung nur
dadurch stattfinden, daß die Substanzen ihre Ortslage ver-
tauschen, d. h. daß nichts bewegt wird, an dessen Stelle nicht
sofort etwas andres träte. Die Experimente der Neueren
beweisen vorläufig das Vacuum nicht, da durch die Poren des
Glases sehr feine Substanzen, wie z. B. das Licht, eindringen.2

Die Verdichtung und Verdünnung der einfachen Sub-
stanzen erklären die Alten durch eine geringere oder

1 Circ. Pis. i. l. de ortu et int. Circ. V. p. 31 f.
2 Circ. Pis. i. pr. libr. phys. Ar. X. p. 60.
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[495/0513] Berigard: Verdichtung und Verdünnung. feiner, fast bis ins Unendliche feiner als die andre ist. Diese höchst feinen Partikeln sind jedoch in einem bestimmten Ver- hältnisse zu einander gemischt. Alle pneumatischen Erschei- nungen lassen sich nun erklären, wenn man annimmt, daß, nach einer Störung dieses natürlichen Mischungsverhältnisses durch äußere Veranlassung, bei eintretender Gelegenheit sich dasselbe sofort durch Herbeiströmen der geeigneten Partikelchen wiederherstellt. Berigard gibt auf diese Weise eine ganze Reihe von Erklärungen im Gebiete der Pneumatik. Die Elastizität der Luft, infolge deren sie sich nach Aufhebung des Druckes wieder ausdehnt, wird z. B. daraus erklärt, daß die feineren Teilchen durch den Druck aus dem Gefäße heraus- gepreßt werden — nur diese werden von den Poren durch- gelassen — und nun nach Aufhebung des Druckes wieder eintreten, um das natürliche Mischungsverhältnis aufrecht zu erhalten. Auch die Wirkung des Schießpulvers, deren Erklärung auf aristotelischem Standpunkte besondere Schwierigkeiten macht, weil sich nicht einsehen läßt, woher der Raum zur Entzündung des Feuers kommen soll, lasse sich leicht verstehen, wenn man annimmt, daß das Feuer durch den Funken nur veranlaßt wird, aus den Poren, in denen es verborgen ist, hervorzubrechen. Bei diesen Erklärungen bedarf man weder der unklaren aristotelischen Begriffe der Verdichtung und Verdünnung, noch des Vacuums der Atomisten. 1 Ein Vacuum nämlich giebt es, wie schon gesagt, nicht, aber auch keinen horror vacui, eben weil ein Vacuum unter keinen Umständen entstehen kann. Die Welt ist kontinuierlich mit Substanzen angefüllt, die einfachen Grundsubstanzen aber lassen weder Ausdehnung noch Zusammenziehung zu, also kann Bewegung nur dadurch stattfinden, daß die Substanzen ihre Ortslage ver- tauschen, d. h. daß nichts bewegt wird, an dessen Stelle nicht sofort etwas andres träte. Die Experimente der Neueren beweisen vorläufig das Vacuum nicht, da durch die Poren des Glases sehr feine Substanzen, wie z. B. das Licht, eindringen. 2 Die Verdichtung und Verdünnung der einfachen Sub- stanzen erklären die Alten durch eine geringere oder 1 Circ. Pis. i. l. de ortu et int. Circ. V. p. 31 f. 2 Circ. Pis. i. pr. libr. phys. Ar. X. p. 60.

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Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 495. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/513>, abgerufen am 27.11.2024.