wahrnehmbaren Körper. Man darf diese Synthesis des Den- kens natürlich nicht im Sinne der transcendentalen Apperception nehmen, sondern nur in dem Sinne der logischen Unterordnung des Merkmals unter den Begriff und der Art unter die Gattung, welche als Realitäten gelten. Aber trotzdem ist es für die Theorie der Materie ein wichtiger und grundlegender Gedanke, daß durch die Verbindung, wie sie das Denken gewährt, die sinnlichen Körper als solche Bestand haben.
Die Elemente dieser Theorie der Materie sind somit durch- aus rational; sie bestehen nur als Begriffe im Denken. Auch die sinnlichen Eigenschaften haben Einzelexistenz, aber nicht als räumliche Körper, daher nicht als wahrnehmbare Objekte. Man sieht, daß diese Ansicht diejenige Seite der Welterklärung darbietet, welche der antiken Atomistik unzugänglich war: die Vereinigung der von der sinnlichen Wahrnehmbarkeit durch Abstraktion gelösten rein rationalen Elemente zum sinnlichen Körper. Sie ist das genaue Gegenstück zur Atomistik, nicht so, daß beide sich gegenseitig ausschlössen, sondern so, daß, wenn es einem höheren Standpunkt gelänge, sie zu vereinigen, alsdann den Forderungen einer wissenschaftlichen Theorie der Materie eine breite Basis gegeben wäre. Die Atomistik -- es ist immer die antike, materialistisch-transcendente gemeint -- hatte die Sinnenwelt ebenfalls in rationale Elemente aufgelöst. Die Atome waren abstrakte Gedanken, wie sie denn auch # und # hießen und bei Platon zu ebenen Dreieken geworden sind; aber sie enthielten noch räumliche Gestalt und mechanische Bewegung; sie waren getrennt durch den Begriff des Leeren, und somit konnte ihre Vereinigung nicht mehr durchgeführt werden, ohne ihren Begriff aufzuheben. Der Mechanismus der Atome konnte aus seinen abstrakten Raum- elementen zu keiner Synthesis gelangen, in welcher das Leben der sinnlichen Welt sich wiederfand. Denn die Atome waren zwar Gedankendinge, aber sie gehorchten nicht der einigenden Macht des denkenden Geistes, sie waren sich selbst und ihrer Mechanik überlassen. Und diese selbst besaß kein Prinzip zur Begründung der Wechselwirkung.
Auch Erigena, seinen neuplatonischen Vorbildern nach- gehend, analysiert die sinnliche Welt und schreitet mit der Abstraktion bis zu unsinnlichen, rein rationalen Elementen vor.
Atomistik und Realismus.
wahrnehmbaren Körper. Man darf diese Synthesis des Den- kens natürlich nicht im Sinne der transcendentalen Apperception nehmen, sondern nur in dem Sinne der logischen Unterordnung des Merkmals unter den Begriff und der Art unter die Gattung, welche als Realitäten gelten. Aber trotzdem ist es für die Theorie der Materie ein wichtiger und grundlegender Gedanke, daß durch die Verbindung, wie sie das Denken gewährt, die sinnlichen Körper als solche Bestand haben.
Die Elemente dieser Theorie der Materie sind somit durch- aus rational; sie bestehen nur als Begriffe im Denken. Auch die sinnlichen Eigenschaften haben Einzelexistenz, aber nicht als räumliche Körper, daher nicht als wahrnehmbare Objekte. Man sieht, daß diese Ansicht diejenige Seite der Welterklärung darbietet, welche der antiken Atomistik unzugänglich war: die Vereinigung der von der sinnlichen Wahrnehmbarkeit durch Abstraktion gelösten rein rationalen Elemente zum sinnlichen Körper. Sie ist das genaue Gegenstück zur Atomistik, nicht so, daß beide sich gegenseitig ausschlössen, sondern so, daß, wenn es einem höheren Standpunkt gelänge, sie zu vereinigen, alsdann den Forderungen einer wissenschaftlichen Theorie der Materie eine breite Basis gegeben wäre. Die Atomistik — es ist immer die antike, materialistisch-transcendente gemeint — hatte die Sinnenwelt ebenfalls in rationale Elemente aufgelöst. Die Atome waren abstrakte Gedanken, wie sie denn auch # und # hießen und bei Platon zu ebenen Dreieken geworden sind; aber sie enthielten noch räumliche Gestalt und mechanische Bewegung; sie waren getrennt durch den Begriff des Leeren, und somit konnte ihre Vereinigung nicht mehr durchgeführt werden, ohne ihren Begriff aufzuheben. Der Mechanismus der Atome konnte aus seinen abstrakten Raum- elementen zu keiner Synthesis gelangen, in welcher das Leben der sinnlichen Welt sich wiederfand. Denn die Atome waren zwar Gedankendinge, aber sie gehorchten nicht der einigenden Macht des denkenden Geistes, sie waren sich selbst und ihrer Mechanik überlassen. Und diese selbst besaß kein Prinzip zur Begründung der Wechselwirkung.
Auch Erigena, seinen neuplatonischen Vorbildern nach- gehend, analysiert die sinnliche Welt und schreitet mit der Abstraktion bis zu unsinnlichen, rein rationalen Elementen vor.
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Atomistik und Realismus.
wahrnehmbaren Körper. Man darf diese Synthesis des Den-
kens natürlich nicht im Sinne der transcendentalen Apperception
nehmen, sondern nur in dem Sinne der logischen Unterordnung
des Merkmals unter den Begriff und der Art unter die Gattung,
welche als Realitäten gelten. Aber trotzdem ist es für die
Theorie der Materie ein wichtiger und grundlegender Gedanke,
daß durch die Verbindung, wie sie das Denken gewährt, die
sinnlichen Körper als solche Bestand haben.
Die Elemente dieser Theorie der Materie sind somit durch-
aus rational; sie bestehen nur als Begriffe im Denken. Auch
die sinnlichen Eigenschaften haben Einzelexistenz, aber nicht
als räumliche Körper, daher nicht als wahrnehmbare Objekte.
Man sieht, daß diese Ansicht diejenige Seite der Welterklärung
darbietet, welche der antiken Atomistik unzugänglich war: die
Vereinigung der von der sinnlichen Wahrnehmbarkeit durch
Abstraktion gelösten rein rationalen Elemente zum sinnlichen
Körper. Sie ist das genaue Gegenstück zur Atomistik, nicht
so, daß beide sich gegenseitig ausschlössen, sondern so, daß,
wenn es einem höheren Standpunkt gelänge, sie zu vereinigen,
alsdann den Forderungen einer wissenschaftlichen Theorie der
Materie eine breite Basis gegeben wäre. Die Atomistik — es
ist immer die antike, materialistisch-transcendente gemeint —
hatte die Sinnenwelt ebenfalls in rationale Elemente aufgelöst.
Die Atome waren abstrakte Gedanken, wie sie denn auch
# und # hießen und bei Platon zu ebenen Dreieken
geworden sind; aber sie enthielten noch räumliche Gestalt und
mechanische Bewegung; sie waren getrennt durch den Begriff
des Leeren, und somit konnte ihre Vereinigung nicht mehr
durchgeführt werden, ohne ihren Begriff aufzuheben. Der
Mechanismus der Atome konnte aus seinen abstrakten Raum-
elementen zu keiner Synthesis gelangen, in welcher das Leben
der sinnlichen Welt sich wiederfand. Denn die Atome waren
zwar Gedankendinge, aber sie gehorchten nicht der einigenden
Macht des denkenden Geistes, sie waren sich selbst und ihrer
Mechanik überlassen. Und diese selbst besaß kein Prinzip zur
Begründung der Wechselwirkung.
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Laßwitz, Kurd: Geschichte der Atomistik. Bd. 1. Hamburg, 1890, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_atom01_1890/71>, abgerufen am 21.11.2024.
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