bewegen. So gelangte sie an den angebrachten Steg und ließ sich am Rande der Gletscherspalte nieder.
An die eine der hinübergelegten Stangen sich hal- tend beugte sie vorsichtig den Kopf über den Abgrund. Dunkelgrün dämmerte die Tiefe, aus der das Rauschen des Schmelzwassers dumpf herauftönte. Genau unter ihr streckte sich ein zackiger Grat ihr entgegen, der die Schlucht der Länge nach durchzog. Ein großer Felsblock war hinabgestürzt und auf dem Grat fest- gehalten worden. Er bildete eine Art Brücke da unten in der Tiefe. Daneben zeigte ein frischer Spalt seine kristallklaren Eiswände. La konnte sich an dem ungewohnten Schauspiele nicht satt sehen. Schwindel kannte sie nicht. Sie war gewohnt, den Weltraum in seiner Unendlichkeit unter ihren Füßen zu erblicken, wenn das Raumschiff die Leere des Sternenhimmels durcheilte. Aber sie kannte auch nicht die Gefahren dieses mürben, abbröckelnden Elements, auf dessen überhängender Kante sie ruhte. Um besser hinabzublicken, zog sie sich an der Stange weiter und stemmte ihre Füße gegen einen Vorsprung des Randes. Der Vorsprung brach. Zerstiebend stürzte er in die Tiefe. Jhr Fuß verlor die Stütze. Sie wollte sich wieder hinaufschwingen, aber die Last war zu schwer für ihre Kräfte. Der unförmliche Helm hinderte sie, ihren Oberkörper frei an dem Stege zu bewegen, an welchen sie sich geklammert hielt. Sie rief um Hilfe, doch die Stimme drang nur schwach unter dem Helme hervor. Eine erneute Anstrengung brachte ihren Kör- per höher, aber nun glitt die Stange aus ihrer Lage,
Zehntes Kapitel.
bewegen. So gelangte ſie an den angebrachten Steg und ließ ſich am Rande der Gletſcherſpalte nieder.
An die eine der hinübergelegten Stangen ſich hal- tend beugte ſie vorſichtig den Kopf über den Abgrund. Dunkelgrün dämmerte die Tiefe, aus der das Rauſchen des Schmelzwaſſers dumpf herauftönte. Genau unter ihr ſtreckte ſich ein zackiger Grat ihr entgegen, der die Schlucht der Länge nach durchzog. Ein großer Felsblock war hinabgeſtürzt und auf dem Grat feſt- gehalten worden. Er bildete eine Art Brücke da unten in der Tiefe. Daneben zeigte ein friſcher Spalt ſeine kriſtallklaren Eiswände. La konnte ſich an dem ungewohnten Schauſpiele nicht ſatt ſehen. Schwindel kannte ſie nicht. Sie war gewohnt, den Weltraum in ſeiner Unendlichkeit unter ihren Füßen zu erblicken, wenn das Raumſchiff die Leere des Sternenhimmels durcheilte. Aber ſie kannte auch nicht die Gefahren dieſes mürben, abbröckelnden Elements, auf deſſen überhängender Kante ſie ruhte. Um beſſer hinabzublicken, zog ſie ſich an der Stange weiter und ſtemmte ihre Füße gegen einen Vorſprung des Randes. Der Vorſprung brach. Zerſtiebend ſtürzte er in die Tiefe. Jhr Fuß verlor die Stütze. Sie wollte ſich wieder hinaufſchwingen, aber die Laſt war zu ſchwer für ihre Kräfte. Der unförmliche Helm hinderte ſie, ihren Oberkörper frei an dem Stege zu bewegen, an welchen ſie ſich geklammert hielt. Sie rief um Hilfe, doch die Stimme drang nur ſchwach unter dem Helme hervor. Eine erneute Anſtrengung brachte ihren Kör- per höher, aber nun glitt die Stange aus ihrer Lage,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0154"n="146"/><fwplace="top"type="header">Zehntes Kapitel.</fw><lb/>
bewegen. So gelangte ſie an den angebrachten Steg<lb/>
und ließ ſich am Rande der Gletſcherſpalte nieder.</p><lb/><p>An die eine der hinübergelegten Stangen ſich hal-<lb/>
tend beugte ſie vorſichtig den Kopf über den Abgrund.<lb/>
Dunkelgrün dämmerte die Tiefe, aus der das Rauſchen<lb/>
des Schmelzwaſſers dumpf herauftönte. Genau unter<lb/>
ihr ſtreckte ſich ein zackiger Grat ihr entgegen, der<lb/>
die Schlucht der Länge nach durchzog. Ein großer<lb/>
Felsblock war hinabgeſtürzt und auf dem Grat feſt-<lb/>
gehalten worden. Er bildete eine Art Brücke da<lb/>
unten in der Tiefe. Daneben zeigte ein friſcher<lb/>
Spalt ſeine kriſtallklaren Eiswände. La konnte ſich<lb/>
an dem ungewohnten Schauſpiele nicht ſatt ſehen.<lb/>
Schwindel kannte ſie nicht. Sie war gewohnt, den<lb/>
Weltraum in ſeiner Unendlichkeit unter ihren Füßen<lb/>
zu erblicken, wenn das Raumſchiff die Leere des<lb/>
Sternenhimmels durcheilte. Aber ſie kannte auch nicht<lb/>
die Gefahren dieſes mürben, abbröckelnden Elements,<lb/>
auf deſſen überhängender Kante ſie ruhte. Um beſſer<lb/>
hinabzublicken, zog ſie ſich an der Stange weiter und<lb/>ſtemmte ihre Füße gegen einen Vorſprung des Randes.<lb/>
Der Vorſprung brach. Zerſtiebend ſtürzte er in die<lb/>
Tiefe. Jhr Fuß verlor die Stütze. Sie wollte ſich<lb/>
wieder hinaufſchwingen, aber die Laſt war zu ſchwer<lb/>
für ihre Kräfte. Der unförmliche Helm hinderte ſie,<lb/>
ihren Oberkörper frei an dem Stege zu bewegen, an<lb/>
welchen ſie ſich geklammert hielt. Sie rief um Hilfe,<lb/>
doch die Stimme drang nur ſchwach unter dem Helme<lb/>
hervor. Eine erneute Anſtrengung brachte ihren Kör-<lb/>
per höher, aber nun glitt die Stange aus ihrer Lage,<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[146/0154]
Zehntes Kapitel.
bewegen. So gelangte ſie an den angebrachten Steg
und ließ ſich am Rande der Gletſcherſpalte nieder.
An die eine der hinübergelegten Stangen ſich hal-
tend beugte ſie vorſichtig den Kopf über den Abgrund.
Dunkelgrün dämmerte die Tiefe, aus der das Rauſchen
des Schmelzwaſſers dumpf herauftönte. Genau unter
ihr ſtreckte ſich ein zackiger Grat ihr entgegen, der
die Schlucht der Länge nach durchzog. Ein großer
Felsblock war hinabgeſtürzt und auf dem Grat feſt-
gehalten worden. Er bildete eine Art Brücke da
unten in der Tiefe. Daneben zeigte ein friſcher
Spalt ſeine kriſtallklaren Eiswände. La konnte ſich
an dem ungewohnten Schauſpiele nicht ſatt ſehen.
Schwindel kannte ſie nicht. Sie war gewohnt, den
Weltraum in ſeiner Unendlichkeit unter ihren Füßen
zu erblicken, wenn das Raumſchiff die Leere des
Sternenhimmels durcheilte. Aber ſie kannte auch nicht
die Gefahren dieſes mürben, abbröckelnden Elements,
auf deſſen überhängender Kante ſie ruhte. Um beſſer
hinabzublicken, zog ſie ſich an der Stange weiter und
ſtemmte ihre Füße gegen einen Vorſprung des Randes.
Der Vorſprung brach. Zerſtiebend ſtürzte er in die
Tiefe. Jhr Fuß verlor die Stütze. Sie wollte ſich
wieder hinaufſchwingen, aber die Laſt war zu ſchwer
für ihre Kräfte. Der unförmliche Helm hinderte ſie,
ihren Oberkörper frei an dem Stege zu bewegen, an
welchen ſie ſich geklammert hielt. Sie rief um Hilfe,
doch die Stimme drang nur ſchwach unter dem Helme
hervor. Eine erneute Anſtrengung brachte ihren Kör-
per höher, aber nun glitt die Stange aus ihrer Lage,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Laßwitz, Kurd: Auf zwei Planeten. Bd. 1. Weimar, 1897, S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_planeten01_1897/154>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.