aus dem heraus zu kommen ihm verteufelt schwer fallen wird."
"Darauf könnte ich sehr viel erwidern", sagte Grunthe. "Zum Beispiel, daß wir noch gar nicht wissen, wo der Nordpol eigentlich liegt."
"Schon wahr", unterbrach ihn Torm, "aber eben darum müssen wir den Moment feiern, in welchem wir sicher sind, ihn zum erstenmale in unserm Gesichts- felde zu haben. Das werden Sie zugeben?"
"Hm, ja", sagte Grunthe, und ein leichtes Schmun- zeln glitt über seine Züge. "Jch nehme an, wir wären am Pole. So kann ich mit Jhnen anstoßen, oder auch nicht, ganz wie ich will, ohne mit irgend welchen Prinzipien in Widerspruch zu geraten."
"Wieso?" fragte Saltner.
"Der Pol ist ein Unstetigkeitspunkt. Prinzipien sind Grundsätze, die unter der Voraussetzung gelten, daß die Bedingungen bestehen, für welche sie auf- gestellt sind, vor allem die Stetigkeit der Raum- und Zeitbestimmungen. Am Pole sind alle Bedingungen aufgehoben. Hier giebt es keine Himmelsrichtungen mehr, jede Richtung kann als Nord, Süd, Ost oder West bezeichnet werden. Hier giebt es auch keine Tageszeit; alle Zeiten, Nacht, Morgen, Mittag und Abend sind gleichzeitig vorhanden. Hier gelten also auch alle Grundsätze zusammen oder gar keine. Es ist der vollständige Jndifferenzpunkt aller Bestimmungen erreicht, das Jdeal der Parteilosigkeit."
"Bravo", rief Saltner, der inzwischen die Trink- becher von Aluminium mit dem perlenden Wein gefüllt
Am Nordpol.
aus dem heraus zu kommen ihm verteufelt ſchwer fallen wird.‟
„Darauf könnte ich ſehr viel erwidern‟, ſagte Grunthe. „Zum Beiſpiel, daß wir noch gar nicht wiſſen, wo der Nordpol eigentlich liegt.‟
„Schon wahr‟, unterbrach ihn Torm, „aber eben darum müſſen wir den Moment feiern, in welchem wir ſicher ſind, ihn zum erſtenmale in unſerm Geſichts- felde zu haben. Das werden Sie zugeben?‟
„Hm, ja‟, ſagte Grunthe, und ein leichtes Schmun- zeln glitt über ſeine Züge. „Jch nehme an, wir wären am Pole. So kann ich mit Jhnen anſtoßen, oder auch nicht, ganz wie ich will, ohne mit irgend welchen Prinzipien in Widerſpruch zu geraten.‟
„Wieſo?‟ fragte Saltner.
„Der Pol iſt ein Unſtetigkeitspunkt. Prinzipien ſind Grundſätze, die unter der Vorausſetzung gelten, daß die Bedingungen beſtehen, für welche ſie auf- geſtellt ſind, vor allem die Stetigkeit der Raum- und Zeitbeſtimmungen. Am Pole ſind alle Bedingungen aufgehoben. Hier giebt es keine Himmelsrichtungen mehr, jede Richtung kann als Nord, Süd, Oſt oder Weſt bezeichnet werden. Hier giebt es auch keine Tageszeit; alle Zeiten, Nacht, Morgen, Mittag und Abend ſind gleichzeitig vorhanden. Hier gelten alſo auch alle Grundſätze zuſammen oder gar keine. Es iſt der vollſtändige Jndifferenzpunkt aller Beſtimmungen erreicht, das Jdeal der Parteiloſigkeit.‟
„Bravo‟, rief Saltner, der inzwiſchen die Trink- becher von Aluminium mit dem perlenden Wein gefüllt
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Am Nordpol.
aus dem heraus zu kommen ihm verteufelt ſchwer
fallen wird.‟
„Darauf könnte ich ſehr viel erwidern‟, ſagte
Grunthe. „Zum Beiſpiel, daß wir noch gar nicht
wiſſen, wo der Nordpol eigentlich liegt.‟
„Schon wahr‟, unterbrach ihn Torm, „aber eben
darum müſſen wir den Moment feiern, in welchem
wir ſicher ſind, ihn zum erſtenmale in unſerm Geſichts-
felde zu haben. Das werden Sie zugeben?‟
„Hm, ja‟, ſagte Grunthe, und ein leichtes Schmun-
zeln glitt über ſeine Züge. „Jch nehme an, wir
wären am Pole. So kann ich mit Jhnen anſtoßen,
oder auch nicht, ganz wie ich will, ohne mit irgend
welchen Prinzipien in Widerſpruch zu geraten.‟
„Wieſo?‟ fragte Saltner.
„Der Pol iſt ein Unſtetigkeitspunkt. Prinzipien
ſind Grundſätze, die unter der Vorausſetzung gelten,
daß die Bedingungen beſtehen, für welche ſie auf-
geſtellt ſind, vor allem die Stetigkeit der Raum- und
Zeitbeſtimmungen. Am Pole ſind alle Bedingungen
aufgehoben. Hier giebt es keine Himmelsrichtungen
mehr, jede Richtung kann als Nord, Süd, Oſt oder
Weſt bezeichnet werden. Hier giebt es auch keine
Tageszeit; alle Zeiten, Nacht, Morgen, Mittag und
Abend ſind gleichzeitig vorhanden. Hier gelten alſo
auch alle Grundſätze zuſammen oder gar keine. Es
iſt der vollſtändige Jndifferenzpunkt aller Beſtimmungen
erreicht, das Jdeal der Parteiloſigkeit.‟
„Bravo‟, rief Saltner, der inzwiſchen die Trink-
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Laßwitz, Kurd: Auf zwei Planeten. Bd. 1. Weimar, 1897, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_planeten01_1897/23>, abgerufen am 03.12.2024.
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