Laßwitz, Kurd: Auf zwei Planeten. Bd. 2. Weimar, 1897.Vierunddreißigstes Kapitel. neten, eine Gefangene, krank und einsam weilen mußte,wo er der einzige war, der sie verstehen konnte -- warum mußte er jetzt --? Aber was warf sie ihm denn vor? Warum war sie selbst nicht besser? Warum sagte sie ihm denn nicht, hier, frei von allen Menschen- satzungen, daß sie nicht ohne ihn sein wolle, daß sie ihn nicht entbehren wolle, nicht könne? Warum? Weil sie ihn ja doch nicht lieben -- wollte! Und warum konnte sie sich nicht von ihm losreißen, da sie doch ihren Mann liebte, da sie ausgezogen war, ihn zu suchen in den Öden der Polarnacht, und da sie zu ihm zurück wollte durch die Leere des Welt- raums? Und wenn Torm nicht mehr war? Wenn sie zurückkam nach Friedau und er verschollen war, ein Opfer der Forschung, wie so viele vor ihm? Wenn sie dann verlassen war, hier wie dort? Sie ließ die Feder sinken und legte den Kopf in ihre Hände. Ach, daß es kein Zeichen von ihm gab, keine Nach- richt! Und daß sie hier sitzen mußte, nicht mehr tausende, sondern Millionen von Meilen von ihm ge- trennt, und angewiesen auf den Freund, der um ihretwillen gegangen war, allein mit ihm -- gerade alles, was sie hatte vermeiden wollen! Gerade in diese Gefahr hatte sie sich gestürzt, der sie zu ent- fliehen gedachte. Und sie sah sie vor sich, leibhaftig, jeden Tag in den großen treuen Augen, die sie teil- nehmend ansahen -- ach, darum quälte sie ihn ja, quälte sie sich -- -- Aber wäre es in Friedau besser gewesen, wenn Vierunddreißigſtes Kapitel. neten, eine Gefangene, krank und einſam weilen mußte,wo er der einzige war, der ſie verſtehen konnte — warum mußte er jetzt —? Aber was warf ſie ihm denn vor? Warum war ſie ſelbſt nicht beſſer? Warum ſagte ſie ihm denn nicht, hier, frei von allen Menſchen- ſatzungen, daß ſie nicht ohne ihn ſein wolle, daß ſie ihn nicht entbehren wolle, nicht könne? Warum? Weil ſie ihn ja doch nicht lieben — wollte! Und warum konnte ſie ſich nicht von ihm losreißen, da ſie doch ihren Mann liebte, da ſie ausgezogen war, ihn zu ſuchen in den Öden der Polarnacht, und da ſie zu ihm zurück wollte durch die Leere des Welt- raums? Und wenn Torm nicht mehr war? Wenn ſie zurückkam nach Friedau und er verſchollen war, ein Opfer der Forſchung, wie ſo viele vor ihm? Wenn ſie dann verlaſſen war, hier wie dort? Sie ließ die Feder ſinken und legte den Kopf in ihre Hände. Ach, daß es kein Zeichen von ihm gab, keine Nach- richt! Und daß ſie hier ſitzen mußte, nicht mehr tauſende, ſondern Millionen von Meilen von ihm ge- trennt, und angewieſen auf den Freund, der um ihretwillen gegangen war, allein mit ihm — gerade alles, was ſie hatte vermeiden wollen! Gerade in dieſe Gefahr hatte ſie ſich geſtürzt, der ſie zu ent- fliehen gedachte. Und ſie ſah ſie vor ſich, leibhaftig, jeden Tag in den großen treuen Augen, die ſie teil- nehmend anſahen — ach, darum quälte ſie ihn ja, quälte ſie ſich — — Aber wäre es in Friedau beſſer geweſen, wenn <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0132" n="124"/><fw place="top" type="header">Vierunddreißigſtes Kapitel.</fw><lb/> neten, eine Gefangene, krank und einſam weilen mußte,<lb/> wo er der einzige war, der ſie verſtehen konnte —<lb/> warum mußte er jetzt —? Aber was warf ſie ihm<lb/> denn vor? Warum war ſie ſelbſt nicht beſſer? Warum<lb/> ſagte ſie ihm denn nicht, hier, frei von allen Menſchen-<lb/> ſatzungen, daß ſie nicht ohne ihn ſein wolle, daß ſie<lb/> ihn nicht entbehren wolle, nicht könne? Warum?<lb/> Weil ſie ihn ja doch nicht lieben — wollte! Und<lb/> warum konnte ſie ſich nicht von ihm losreißen, da ſie<lb/> doch ihren Mann liebte, da ſie ausgezogen war, ihn<lb/> zu ſuchen in den Öden der Polarnacht, und da<lb/> ſie zu ihm zurück wollte durch die Leere des Welt-<lb/> raums? Und wenn Torm nicht mehr war? Wenn<lb/> ſie zurückkam nach Friedau und er verſchollen war,<lb/> ein Opfer der Forſchung, wie ſo viele vor ihm?<lb/> Wenn ſie dann verlaſſen war, hier wie dort? Sie ließ<lb/> die Feder ſinken und legte den Kopf in ihre Hände.<lb/> Ach, daß es kein Zeichen von ihm gab, keine Nach-<lb/> richt! Und daß ſie hier ſitzen mußte, nicht mehr<lb/> tauſende, ſondern Millionen von Meilen von ihm ge-<lb/> trennt, und angewieſen auf den Freund, der um<lb/> ihretwillen gegangen war, allein mit ihm — gerade<lb/> alles, was ſie hatte vermeiden wollen! Gerade in<lb/> dieſe Gefahr hatte ſie ſich geſtürzt, der ſie zu ent-<lb/> fliehen gedachte. Und ſie ſah ſie vor ſich, leibhaftig,<lb/> jeden Tag in den großen treuen Augen, die ſie teil-<lb/> nehmend anſahen — ach, darum quälte ſie ihn ja,<lb/> quälte ſie ſich — —</p><lb/> <p>Aber wäre es in Friedau beſſer geweſen, wenn<lb/> ſie nun doch von ihrem Manne nichts erfahren konnte?<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [124/0132]
Vierunddreißigſtes Kapitel.
neten, eine Gefangene, krank und einſam weilen mußte,
wo er der einzige war, der ſie verſtehen konnte —
warum mußte er jetzt —? Aber was warf ſie ihm
denn vor? Warum war ſie ſelbſt nicht beſſer? Warum
ſagte ſie ihm denn nicht, hier, frei von allen Menſchen-
ſatzungen, daß ſie nicht ohne ihn ſein wolle, daß ſie
ihn nicht entbehren wolle, nicht könne? Warum?
Weil ſie ihn ja doch nicht lieben — wollte! Und
warum konnte ſie ſich nicht von ihm losreißen, da ſie
doch ihren Mann liebte, da ſie ausgezogen war, ihn
zu ſuchen in den Öden der Polarnacht, und da
ſie zu ihm zurück wollte durch die Leere des Welt-
raums? Und wenn Torm nicht mehr war? Wenn
ſie zurückkam nach Friedau und er verſchollen war,
ein Opfer der Forſchung, wie ſo viele vor ihm?
Wenn ſie dann verlaſſen war, hier wie dort? Sie ließ
die Feder ſinken und legte den Kopf in ihre Hände.
Ach, daß es kein Zeichen von ihm gab, keine Nach-
richt! Und daß ſie hier ſitzen mußte, nicht mehr
tauſende, ſondern Millionen von Meilen von ihm ge-
trennt, und angewieſen auf den Freund, der um
ihretwillen gegangen war, allein mit ihm — gerade
alles, was ſie hatte vermeiden wollen! Gerade in
dieſe Gefahr hatte ſie ſich geſtürzt, der ſie zu ent-
fliehen gedachte. Und ſie ſah ſie vor ſich, leibhaftig,
jeden Tag in den großen treuen Augen, die ſie teil-
nehmend anſahen — ach, darum quälte ſie ihn ja,
quälte ſie ſich — —
Aber wäre es in Friedau beſſer geweſen, wenn
ſie nun doch von ihrem Manne nichts erfahren konnte?
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