würde ihn niemand wiedererkennen. Dorthin durfte er sich wagen.
Er trat ein und nahm in einer Ecke Platz. Das Zimmer war fast leer. Er bestellte sich etwas zu essen.
"Wünschen Sie gewachsen oder chemisch?" fragte der Wirt.
"Was ist das für ein Unterschied?"
Der Wirt sah den Fremden erstaunt an. Dieser bedauerte seine Frage, da er sah, daß er dadurch auf- fiel, und sagte schnell:
"Geben Sie mir nur, was das Beste ist."
"Das ist Geschmackssache", sagte der Wirt. "Das Gewachsene ist teurer, aber wer nicht für das Neue ist, zieht es doch vor."
"Was essen Sie denn?" fragte der Fremde.
"Jmmer chemisch, ich habe eine große Familie. Und -- es schmeckt auch besser. Aber, wissen Sie, man will es mit keinem verderben -- und das Ge- wachsene gilt für patriotischer. Jch habe sehr patrio- tische Gäste."
"Vor allen Dingen bringen Sie mir etwas, ich habe nicht viel Zeit. Also chemisch."
"Kohlenwurst, Retortenbraten, Mineralbutter, Kunstbrot, alles modern, aus der besten Fabrik, a la Nume."
"Was Sie wollen, nur schnell."
Der Wirt verschwand, und der Fremde griff eifrig nach einer Zeitung, die auf dem Nebentische lag. Es war das "Friedauer Jntelligenzblatt". Mit einer plötzlichen Regung des Ekels wollte er das Blatt wieder
Die Beſiegten.
würde ihn niemand wiedererkennen. Dorthin durfte er ſich wagen.
Er trat ein und nahm in einer Ecke Platz. Das Zimmer war faſt leer. Er beſtellte ſich etwas zu eſſen.
„Wünſchen Sie gewachſen oder chemiſch?‟ fragte der Wirt.
„Was iſt das für ein Unterſchied?‟
Der Wirt ſah den Fremden erſtaunt an. Dieſer bedauerte ſeine Frage, da er ſah, daß er dadurch auf- fiel, und ſagte ſchnell:
„Geben Sie mir nur, was das Beſte iſt.‟
„Das iſt Geſchmacksſache‟, ſagte der Wirt. „Das Gewachſene iſt teurer, aber wer nicht für das Neue iſt, zieht es doch vor.‟
„Was eſſen Sie denn?‟ fragte der Fremde.
„Jmmer chemiſch, ich habe eine große Familie. Und — es ſchmeckt auch beſſer. Aber, wiſſen Sie, man will es mit keinem verderben — und das Ge- wachſene gilt für patriotiſcher. Jch habe ſehr patrio- tiſche Gäſte.‟
„Vor allen Dingen bringen Sie mir etwas, ich habe nicht viel Zeit. Alſo chemiſch.‟
„Kohlenwurſt, Retortenbraten, Mineralbutter, Kunſtbrot, alles modern, aus der beſten Fabrik, à la Nume.‟
„Was Sie wollen, nur ſchnell.‟
Der Wirt verſchwand, und der Fremde griff eifrig nach einer Zeitung, die auf dem Nebentiſche lag. Es war das „Friedauer Jntelligenzblatt‟. Mit einer plötzlichen Regung des Ekels wollte er das Blatt wieder
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Die Beſiegten.
würde ihn niemand wiedererkennen. Dorthin durfte
er ſich wagen.
Er trat ein und nahm in einer Ecke Platz. Das
Zimmer war faſt leer. Er beſtellte ſich etwas zu eſſen.
„Wünſchen Sie gewachſen oder chemiſch?‟ fragte
der Wirt.
„Was iſt das für ein Unterſchied?‟
Der Wirt ſah den Fremden erſtaunt an. Dieſer
bedauerte ſeine Frage, da er ſah, daß er dadurch auf-
fiel, und ſagte ſchnell:
„Geben Sie mir nur, was das Beſte iſt.‟
„Das iſt Geſchmacksſache‟, ſagte der Wirt. „Das
Gewachſene iſt teurer, aber wer nicht für das Neue
iſt, zieht es doch vor.‟
„Was eſſen Sie denn?‟ fragte der Fremde.
„Jmmer chemiſch, ich habe eine große Familie.
Und — es ſchmeckt auch beſſer. Aber, wiſſen Sie,
man will es mit keinem verderben — und das Ge-
wachſene gilt für patriotiſcher. Jch habe ſehr patrio-
tiſche Gäſte.‟
„Vor allen Dingen bringen Sie mir etwas, ich
habe nicht viel Zeit. Alſo chemiſch.‟
„Kohlenwurſt, Retortenbraten, Mineralbutter,
Kunſtbrot, alles modern, aus der beſten Fabrik, à la
Nume.‟
„Was Sie wollen, nur ſchnell.‟
Der Wirt verſchwand, und der Fremde griff eifrig
nach einer Zeitung, die auf dem Nebentiſche lag. Es
war das „Friedauer Jntelligenzblatt‟. Mit einer
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Laßwitz, Kurd: Auf zwei Planeten. Bd. 2. Weimar, 1897, S. 247. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_planeten02_1897/255>, abgerufen am 22.11.2024.
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