"Zage nicht", sagte sie. "Es ist leicht, ein freier Nume sein, wo wir herrschen über die Natur und mächtig leben wie die Götter. Aber hier, in der Gewalt der sinnlosen Mächte, die uns fremd sind und ungewohnt, müssen wir den Mut des Willens erweisen. Sieh, dieser Mensch hat uns seinen Platz eingeräumt, uns, die er vielleicht haßt, und er steht draußen im Sturm und blickt furchtlos in das tobende Wetter. Was der Mensch kann, muß auch ich können, oder ich bin nicht wert der Erde. Und das will ich sehen!"
Sie erhob sich und trat an die Brüstung des offenen Fensters, unter welcher der Fels ins Thal abfiel, so daß gerade nur noch die Wipfel der hohen Tannen bis herauf reichten. Wind und Regen schlugen von der Seite herein, La kümmerte sich nicht darum. Die Schulter an die Pfosten des Fensters gelehnt stand sie hochaufgerichtet, den Elementen trotzend, in ihren Lisschleier gehüllt, dessen Zipfel der Sturm zer- zauste. Jhre großen Augen richteten sich gegen den Himmel, als wollte sie den Wetterstrahl herausfordern. Und wie zürnend über die Verwegenheit der Nume öffnete sich die Wolke, und die feurigen Schlangen züngelten nach dem Thalgrund, und gleichzeitig dröhnte ein Donnerschlag, der die Luft erzittern machte.
Geblendet und betäubt hatten alle einen Moment die Augen geschlossen.
"La, La", rief dann Se, "was fällt Dir ein, was soll das heißen?"
Zweiundfünfzigſtes Kapitel.
La nahm ihre Hände zwiſchen die Jhrigen.
„Zage nicht‟, ſagte ſie. „Es iſt leicht, ein freier Nume ſein, wo wir herrſchen über die Natur und mächtig leben wie die Götter. Aber hier, in der Gewalt der ſinnloſen Mächte, die uns fremd ſind und ungewohnt, müſſen wir den Mut des Willens erweiſen. Sieh, dieſer Menſch hat uns ſeinen Platz eingeräumt, uns, die er vielleicht haßt, und er ſteht draußen im Sturm und blickt furchtlos in das tobende Wetter. Was der Menſch kann, muß auch ich können, oder ich bin nicht wert der Erde. Und das will ich ſehen!‟
Sie erhob ſich und trat an die Brüſtung des offenen Fenſters, unter welcher der Fels ins Thal abfiel, ſo daß gerade nur noch die Wipfel der hohen Tannen bis herauf reichten. Wind und Regen ſchlugen von der Seite herein, La kümmerte ſich nicht darum. Die Schulter an die Pfoſten des Fenſters gelehnt ſtand ſie hochaufgerichtet, den Elementen trotzend, in ihren Lisſchleier gehüllt, deſſen Zipfel der Sturm zer- zauſte. Jhre großen Augen richteten ſich gegen den Himmel, als wollte ſie den Wetterſtrahl herausfordern. Und wie zürnend über die Verwegenheit der Nume öffnete ſich die Wolke, und die feurigen Schlangen züngelten nach dem Thalgrund, und gleichzeitig dröhnte ein Donnerſchlag, der die Luft erzittern machte.
Geblendet und betäubt hatten alle einen Moment die Augen geſchloſſen.
„La, La‟, rief dann Se, „was fällt Dir ein, was ſoll das heißen?‟
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Zweiundfünfzigſtes Kapitel.
La nahm ihre Hände zwiſchen die Jhrigen.
„Zage nicht‟, ſagte ſie. „Es iſt leicht, ein freier
Nume ſein, wo wir herrſchen über die Natur und
mächtig leben wie die Götter. Aber hier, in der
Gewalt der ſinnloſen Mächte, die uns fremd ſind
und ungewohnt, müſſen wir den Mut des Willens
erweiſen. Sieh, dieſer Menſch hat uns ſeinen Platz
eingeräumt, uns, die er vielleicht haßt, und er ſteht
draußen im Sturm und blickt furchtlos in das tobende
Wetter. Was der Menſch kann, muß auch ich können,
oder ich bin nicht wert der Erde. Und das will ich
ſehen!‟
Sie erhob ſich und trat an die Brüſtung des
offenen Fenſters, unter welcher der Fels ins Thal
abfiel, ſo daß gerade nur noch die Wipfel der hohen
Tannen bis herauf reichten. Wind und Regen ſchlugen
von der Seite herein, La kümmerte ſich nicht darum.
Die Schulter an die Pfoſten des Fenſters gelehnt
ſtand ſie hochaufgerichtet, den Elementen trotzend, in
ihren Lisſchleier gehüllt, deſſen Zipfel der Sturm zer-
zauſte. Jhre großen Augen richteten ſich gegen den
Himmel, als wollte ſie den Wetterſtrahl herausfordern.
Und wie zürnend über die Verwegenheit der Nume
öffnete ſich die Wolke, und die feurigen Schlangen
züngelten nach dem Thalgrund, und gleichzeitig dröhnte
ein Donnerſchlag, der die Luft erzittern machte.
Geblendet und betäubt hatten alle einen Moment
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„La, La‟, rief dann Se, „was fällt Dir ein, was
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Laßwitz, Kurd: Auf zwei Planeten. Bd. 2. Weimar, 1897, S. 404. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_planeten02_1897/412>, abgerufen am 22.11.2024.
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