Laßwitz, Kurd: Seifenblasen. Hamburg, 1890.Aus dem Tagebuche einer Ameise. Jch begab mich so oft wie möglich an die Stelle, Nach dem Wege späh' ich am Weiher drüben, Ob du kommst, Geliebte, herabzuwandeln -- Ach, zu tief herniedergebeugte Zweige Hemmen den Blick mir! Aus dem Tagebuche einer Ameiſe. Jch begab mich ſo oft wie möglich an die Stelle, Nach dem Wege ſpäh’ ich am Weiher drüben, Ob du kommſt, Geliebte, herabzuwandeln — Ach, zu tief herniedergebeugte Zweige Hemmen den Blick mir! <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0104" n="98"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Aus dem Tagebuche einer Ameiſe.</hi> </fw><lb/> <p>Jch begab mich ſo oft wie möglich an die Stelle,<lb/> an welcher wir die Menſchen beobachtet und das Gedicht<lb/> erobert hatten. Faſt jeden Tag ſah ich den Menſchen<lb/> dort auf einem Baumſtamm ſitzen und über das Waſſer<lb/> des kleinen Teiches hinweg in die Ferne ſchauen, ohne<lb/> daß ich irgend einen Gegenſtand entdecken konnte, welcher<lb/> der Aufmerkſamkeit eines Menſchen mir wert ſchien.<lb/> Endlich — es war an der zweiten Beuteſonne, faſt der<lb/> ganze Stock war auf dem Kriegspfade und ich ſaß<lb/> wieder über dem Menſchen an dem alten Platze —<lb/> endlich bemerkte ich auf dem Menſchenwege am andern<lb/> Ufer des Waſſers jenes Weibchen, aber nicht allein,<lb/> ſondern in Geſellſchaft eines älteren, wie ich an dem<lb/> langſamen Gange bemerkte. Der Menſch ſprang auf,<lb/> aber ſogleich ſetzte er ſich erſchrocken wieder hin und<lb/> verbarg ſich hinter dem Laubwerk. Lange blieb er ſo, den<lb/> Kopf in die Hand geſtützt, traurig ſitzen. Sonſt war<lb/> er ſo ſchnell und freudig dem Weibchen — ein Mädchen<lb/> nennen es die Menſchen — entgegengegangen, und jetzt<lb/> verſteckte er ſich? Es war mir unerklärlich. Er zog<lb/> ſeine Schreibtafel hervor. Jch näherte mich unbemerkt,<lb/> und da ich jetzt die nötige Übung im Übertaſten der<lb/> Menſchenſchrift beſitze, gelang es mir, was er ſehr<lb/> langſam und in Pauſen niederſchrieb, zu verſtehen. Es<lb/> lautete:</p><lb/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>Nach dem Wege ſpäh’ ich am Weiher drüben,</l><lb/> <l>Ob du kommſt, Geliebte, herabzuwandeln —</l><lb/> <l>Ach, zu tief herniedergebeugte Zweige</l><lb/> <l>Hemmen den Blick mir!</l> </lg><lb/> </lg> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [98/0104]
Aus dem Tagebuche einer Ameiſe.
Jch begab mich ſo oft wie möglich an die Stelle,
an welcher wir die Menſchen beobachtet und das Gedicht
erobert hatten. Faſt jeden Tag ſah ich den Menſchen
dort auf einem Baumſtamm ſitzen und über das Waſſer
des kleinen Teiches hinweg in die Ferne ſchauen, ohne
daß ich irgend einen Gegenſtand entdecken konnte, welcher
der Aufmerkſamkeit eines Menſchen mir wert ſchien.
Endlich — es war an der zweiten Beuteſonne, faſt der
ganze Stock war auf dem Kriegspfade und ich ſaß
wieder über dem Menſchen an dem alten Platze —
endlich bemerkte ich auf dem Menſchenwege am andern
Ufer des Waſſers jenes Weibchen, aber nicht allein,
ſondern in Geſellſchaft eines älteren, wie ich an dem
langſamen Gange bemerkte. Der Menſch ſprang auf,
aber ſogleich ſetzte er ſich erſchrocken wieder hin und
verbarg ſich hinter dem Laubwerk. Lange blieb er ſo, den
Kopf in die Hand geſtützt, traurig ſitzen. Sonſt war
er ſo ſchnell und freudig dem Weibchen — ein Mädchen
nennen es die Menſchen — entgegengegangen, und jetzt
verſteckte er ſich? Es war mir unerklärlich. Er zog
ſeine Schreibtafel hervor. Jch näherte mich unbemerkt,
und da ich jetzt die nötige Übung im Übertaſten der
Menſchenſchrift beſitze, gelang es mir, was er ſehr
langſam und in Pauſen niederſchrieb, zu verſtehen. Es
lautete:
Nach dem Wege ſpäh’ ich am Weiher drüben,
Ob du kommſt, Geliebte, herabzuwandeln —
Ach, zu tief herniedergebeugte Zweige
Hemmen den Blick mir!
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