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Laßwitz, Kurd: Seifenblasen. Hamburg, 1890.

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Aus dem Tagebuche einer Ameise.
Langsam verrinnt die Zeit, schwer werden wir durchein-
andergeschüttelt, aber frische Luft dringt durch das
Schlangenauge -- Waldluft! Die Erschütterungen hören
endlich auf -- alles ruhig. Jch wage mich als Kund-
schafter hinaus -- wir sind am Weiher! Lydia sitzt
ruhig da -- vielleicht können wir entfliehen -- ich
winke den Genossen. Da nahen Schritte, es ist jener
Mensch! Lydia erblickt ihn, sie springt auf und schreitet
eilig nach der anderen Seite, sie flieht ihn und er
wendet sich mit finsterm Blicke zum Gehen.

Da -- ein Schrei -- Lydia schleudert das Arm-
band von sich -- der unvorsichtige Rlf hat die Genossen
herausgeführt, sie wollten entfliehen, aber bei der ersten
Berührung ihres Armes bemerkt Lydia, daß sie aus
dem Armband hervorquellen -- das goldne Gefängnis
mit der ganzen Expedition liegt im Grase. Jch sehe
noch Lydia wie versteinert stehen und auf ihren Arm
starren, ich sehe den Menschen umkehren und sich ihr
nähern, er fragt, ob sie verletzt sei, er ergreift ihre
Hand, er blickt auf ihren Arm, er drückt ihn an seine
Lippen -- nun endlich scheint sie sich zu besinnen, daß
sie fliehen wollte -- -- Die Genossen sind schon auf
der Wanderung nach dem Stock, ich allein hafte in
Lydias Gewande, ich kann mich nicht entschließen, zu
fliehen, bis ich gehört habe --

"Vertrau' mir," sagte er. "Jch bin dein, werde
dein fürs Leben. Jch habe es durchgesetzt mich von
allen Schranken zu lösen. Ein bescheidenes Loos, aber
ein freies. Was ist mir die Welt ohne Dich? Du

Aus dem Tagebuche einer Ameiſe.
Langſam verrinnt die Zeit, ſchwer werden wir durchein-
andergeſchüttelt, aber friſche Luft dringt durch das
Schlangenauge — Waldluft! Die Erſchütterungen hören
endlich auf — alles ruhig. Jch wage mich als Kund-
ſchafter hinaus — wir ſind am Weiher! Lydia ſitzt
ruhig da — vielleicht können wir entfliehen — ich
winke den Genoſſen. Da nahen Schritte, es iſt jener
Menſch! Lydia erblickt ihn, ſie ſpringt auf und ſchreitet
eilig nach der anderen Seite, ſie flieht ihn und er
wendet ſich mit finſterm Blicke zum Gehen.

Da — ein Schrei — Lydia ſchleudert das Arm-
band von ſich — der unvorſichtige Rlf hat die Genoſſen
herausgeführt, ſie wollten entfliehen, aber bei der erſten
Berührung ihres Armes bemerkt Lydia, daß ſie aus
dem Armband hervorquellen — das goldne Gefängnis
mit der ganzen Expedition liegt im Graſe. Jch ſehe
noch Lydia wie verſteinert ſtehen und auf ihren Arm
ſtarren, ich ſehe den Menſchen umkehren und ſich ihr
nähern, er fragt, ob ſie verletzt ſei, er ergreift ihre
Hand, er blickt auf ihren Arm, er drückt ihn an ſeine
Lippen — nun endlich ſcheint ſie ſich zu beſinnen, daß
ſie fliehen wollte — — Die Genoſſen ſind ſchon auf
der Wanderung nach dem Stock, ich allein hafte in
Lydias Gewande, ich kann mich nicht entſchließen, zu
fliehen, bis ich gehört habe —

„Vertrau’ mir,“ ſagte er. „Jch bin dein, werde
dein fürs Leben. Jch habe es durchgeſetzt mich von
allen Schranken zu löſen. Ein beſcheidenes Loos, aber
ein freies. Was iſt mir die Welt ohne Dich? Du

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[112/0118] Aus dem Tagebuche einer Ameiſe. Langſam verrinnt die Zeit, ſchwer werden wir durchein- andergeſchüttelt, aber friſche Luft dringt durch das Schlangenauge — Waldluft! Die Erſchütterungen hören endlich auf — alles ruhig. Jch wage mich als Kund- ſchafter hinaus — wir ſind am Weiher! Lydia ſitzt ruhig da — vielleicht können wir entfliehen — ich winke den Genoſſen. Da nahen Schritte, es iſt jener Menſch! Lydia erblickt ihn, ſie ſpringt auf und ſchreitet eilig nach der anderen Seite, ſie flieht ihn und er wendet ſich mit finſterm Blicke zum Gehen. Da — ein Schrei — Lydia ſchleudert das Arm- band von ſich — der unvorſichtige Rlf hat die Genoſſen herausgeführt, ſie wollten entfliehen, aber bei der erſten Berührung ihres Armes bemerkt Lydia, daß ſie aus dem Armband hervorquellen — das goldne Gefängnis mit der ganzen Expedition liegt im Graſe. Jch ſehe noch Lydia wie verſteinert ſtehen und auf ihren Arm ſtarren, ich ſehe den Menſchen umkehren und ſich ihr nähern, er fragt, ob ſie verletzt ſei, er ergreift ihre Hand, er blickt auf ihren Arm, er drückt ihn an ſeine Lippen — nun endlich ſcheint ſie ſich zu beſinnen, daß ſie fliehen wollte — — Die Genoſſen ſind ſchon auf der Wanderung nach dem Stock, ich allein hafte in Lydias Gewande, ich kann mich nicht entſchließen, zu fliehen, bis ich gehört habe — „Vertrau’ mir,“ ſagte er. „Jch bin dein, werde dein fürs Leben. Jch habe es durchgeſetzt mich von allen Schranken zu löſen. Ein beſcheidenes Loos, aber ein freies. Was iſt mir die Welt ohne Dich? Du

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Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Seifenblasen. Hamburg, 1890, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_seife_1890/118>, abgerufen am 04.12.2024.