Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laßwitz, Kurd: Seifenblasen. Hamburg, 1890.

Bild:
<< vorherige Seite

Tröpfchen.
jetzt sind wir an der Reihe, und nun wollen wir uns
breit machen.

Da kam der Wind und schüttelte die Gräser, und
die ganze Gesellschaft stob umher. Die einen fielen auf
den Boden und zerflossen, die andern in die Sonne und
wurden aufgesogen, und sie hatten auch keine Geschichte.

Einer aber, gerade dort, wo der Bach den Winkel
macht und unter den großen Blättern des Huflattigs
verschwindet, hatte sich festgeklammert und blieb sitzen.
Ein Käfer kroch vorbei und stieß ihn mit einem Beine
an, da gab's eine kleine Schwingung im Tropfen, er
wurde platt und dann wieder rund, und so merkte er,
daß er etwas wäre. Es dünkte ihm, als könne er zu-
sammenhalten und etwas erleben. Aber hier unter den
dichten Blättern vermochte er nichts zu sehen, und wie
der Wind wieder über die Halde zog, ließ er den Stengel
fahren und sprang hinein in den Bach. Schnell ging's
dahin, in's Dunkel hinein, durch's Tannendickicht. Wohlig
war ihm zu Mute, als er in der volleren Flut dahin-
schoß, er wußte nur nicht recht, ob er selber es sei, was
dort plätscherte. Aber jedesmal, wenn das Wasser auf
einen Stein schlug und wieder in Tropfen zersplitterte,
und er seine Gestalt zurückerhielt, da ward's ihm gar
seltsam, bang und verlassen, als würd' er hinausgedrängt
in's Weite, in's Unbekannte. Und es kam eine Angst
über ihn, was er da draußen wohl solle. Warum nicht
immer am Grashalm hängen und sich mit ihm im
Winde neigen? Gab's denn überhaupt etwas dort hinter
dem Walde?

Tröpfchen.
jetzt ſind wir an der Reihe, und nun wollen wir uns
breit machen.

Da kam der Wind und ſchüttelte die Gräſer, und
die ganze Geſellſchaft ſtob umher. Die einen fielen auf
den Boden und zerfloſſen, die andern in die Sonne und
wurden aufgeſogen, und ſie hatten auch keine Geſchichte.

Einer aber, gerade dort, wo der Bach den Winkel
macht und unter den großen Blättern des Huflattigs
verſchwindet, hatte ſich feſtgeklammert und blieb ſitzen.
Ein Käfer kroch vorbei und ſtieß ihn mit einem Beine
an, da gab’s eine kleine Schwingung im Tropfen, er
wurde platt und dann wieder rund, und ſo merkte er,
daß er etwas wäre. Es dünkte ihm, als könne er zu-
ſammenhalten und etwas erleben. Aber hier unter den
dichten Blättern vermochte er nichts zu ſehen, und wie
der Wind wieder über die Halde zog, ließ er den Stengel
fahren und ſprang hinein in den Bach. Schnell ging’s
dahin, in’s Dunkel hinein, durch’s Tannendickicht. Wohlig
war ihm zu Mute, als er in der volleren Flut dahin-
ſchoß, er wußte nur nicht recht, ob er ſelber es ſei, was
dort plätſcherte. Aber jedesmal, wenn das Waſſer auf
einen Stein ſchlug und wieder in Tropfen zerſplitterte,
und er ſeine Geſtalt zurückerhielt, da ward’s ihm gar
ſeltſam, bang und verlaſſen, als würd’ er hinausgedrängt
in’s Weite, in’s Unbekannte. Und es kam eine Angſt
über ihn, was er da draußen wohl ſolle. Warum nicht
immer am Grashalm hängen und ſich mit ihm im
Winde neigen? Gab’s denn überhaupt etwas dort hinter
dem Walde?

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0216" n="210"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Tröpfchen.</hi></fw><lb/>
jetzt &#x017F;ind wir an der Reihe, und nun wollen wir uns<lb/>
breit machen.</p><lb/>
        <p>Da kam der Wind und &#x017F;chüttelte die Grä&#x017F;er, und<lb/>
die ganze Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft &#x017F;tob umher. Die einen fielen auf<lb/>
den Boden und zerflo&#x017F;&#x017F;en, die andern in die Sonne und<lb/>
wurden aufge&#x017F;ogen, und &#x017F;ie hatten auch keine Ge&#x017F;chichte.</p><lb/>
        <p>Einer aber, gerade dort, wo der Bach den Winkel<lb/>
macht und unter den großen Blättern des Huflattigs<lb/>
ver&#x017F;chwindet, hatte &#x017F;ich fe&#x017F;tgeklammert und blieb &#x017F;itzen.<lb/>
Ein Käfer kroch vorbei und &#x017F;tieß ihn mit einem Beine<lb/>
an, da gab&#x2019;s eine kleine Schwingung im Tropfen, er<lb/>
wurde platt und dann wieder rund, und &#x017F;o merkte er,<lb/>
daß er etwas wäre. Es dünkte ihm, als könne er zu-<lb/>
&#x017F;ammenhalten und etwas erleben. Aber hier unter den<lb/>
dichten Blättern vermochte er nichts zu &#x017F;ehen, und wie<lb/>
der Wind wieder über die Halde zog, ließ er den Stengel<lb/>
fahren und &#x017F;prang hinein in den Bach. Schnell ging&#x2019;s<lb/>
dahin, in&#x2019;s Dunkel hinein, durch&#x2019;s Tannendickicht. Wohlig<lb/>
war ihm zu Mute, als er in der volleren Flut dahin-<lb/>
&#x017F;choß, er wußte nur nicht recht, ob er &#x017F;elber es &#x017F;ei, was<lb/>
dort plät&#x017F;cherte. Aber jedesmal, wenn das Wa&#x017F;&#x017F;er auf<lb/>
einen Stein &#x017F;chlug und wieder in Tropfen zer&#x017F;plitterte,<lb/>
und er &#x017F;eine Ge&#x017F;talt zurückerhielt, da ward&#x2019;s ihm gar<lb/>
&#x017F;elt&#x017F;am, bang und verla&#x017F;&#x017F;en, als würd&#x2019; er hinausgedrängt<lb/>
in&#x2019;s Weite, in&#x2019;s Unbekannte. Und es kam eine Ang&#x017F;t<lb/>
über ihn, was er da draußen wohl &#x017F;olle. Warum nicht<lb/>
immer am Grashalm hängen und &#x017F;ich mit ihm im<lb/>
Winde neigen? Gab&#x2019;s denn überhaupt etwas dort hinter<lb/>
dem Walde?</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[210/0216] Tröpfchen. jetzt ſind wir an der Reihe, und nun wollen wir uns breit machen. Da kam der Wind und ſchüttelte die Gräſer, und die ganze Geſellſchaft ſtob umher. Die einen fielen auf den Boden und zerfloſſen, die andern in die Sonne und wurden aufgeſogen, und ſie hatten auch keine Geſchichte. Einer aber, gerade dort, wo der Bach den Winkel macht und unter den großen Blättern des Huflattigs verſchwindet, hatte ſich feſtgeklammert und blieb ſitzen. Ein Käfer kroch vorbei und ſtieß ihn mit einem Beine an, da gab’s eine kleine Schwingung im Tropfen, er wurde platt und dann wieder rund, und ſo merkte er, daß er etwas wäre. Es dünkte ihm, als könne er zu- ſammenhalten und etwas erleben. Aber hier unter den dichten Blättern vermochte er nichts zu ſehen, und wie der Wind wieder über die Halde zog, ließ er den Stengel fahren und ſprang hinein in den Bach. Schnell ging’s dahin, in’s Dunkel hinein, durch’s Tannendickicht. Wohlig war ihm zu Mute, als er in der volleren Flut dahin- ſchoß, er wußte nur nicht recht, ob er ſelber es ſei, was dort plätſcherte. Aber jedesmal, wenn das Waſſer auf einen Stein ſchlug und wieder in Tropfen zerſplitterte, und er ſeine Geſtalt zurückerhielt, da ward’s ihm gar ſeltſam, bang und verlaſſen, als würd’ er hinausgedrängt in’s Weite, in’s Unbekannte. Und es kam eine Angſt über ihn, was er da draußen wohl ſolle. Warum nicht immer am Grashalm hängen und ſich mit ihm im Winde neigen? Gab’s denn überhaupt etwas dort hinter dem Walde?

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_seife_1890
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_seife_1890/216
Zitationshilfe: Laßwitz, Kurd: Seifenblasen. Hamburg, 1890, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_seife_1890/216>, abgerufen am 26.05.2024.