Laßwitz, Kurd: Seifenblasen. Hamburg, 1890.Apoikis. Fleischstücke, legte sie in eine Schale und goß eineFlüssigkeit darüber, die er Diapetton nannte, und die Berührung mit derselben vollbrachte in einer halben Minute die Wirkung eines trefflichen Bratofens. Vor mir stand ein garniertes Filet, dessen Genuß mir nicht nur vorzüglich mundete, sondern auch meine Seele in eine erhöhte Stimmung versetzte, mich von jeder Müdig- keit befreite und mir die Lust erweckte, einige der schwierigsten philosophischen Probleme zu lösen, wie man etwa bei uns zum Nachtisch Nüsse knackt. Frau Lissara fragte mich, was die europäischen Damen für Ansichten über die Jdentität des ethischen und logischen Noume- nons hätten, und ob meine Frau die Transcendenz oder die Jmmanenz des Gefühles vorzöge; und sie schlug die Hände über dem Kopfe zusammen, als ich ihr sagte, daß bei uns weder Ethik noch Logik in der Mädchenerziehung eine Rolle spielten. "Auch nicht im Leben?" fragte sie. Jhr Gatte ersparte mir die Ver- legenheit der Antwort, indem er sich bereit erklärte, mir einige Aufhellung über die Verhältnisse von Apoikis zu geben. Was ich von seinen Ausführungen verstand, kann ich Jhnen nur ganz kurz skizzieren, so weit es über- haupt im Rahmen unserer Begriffe möglich ist. Nach der Hinrichtung des Sokrates (399 vor Christi Apoikis. Fleiſchſtücke, legte ſie in eine Schale und goß eineFlüſſigkeit darüber, die er Diapetton nannte, und die Berührung mit derſelben vollbrachte in einer halben Minute die Wirkung eines trefflichen Bratofens. Vor mir ſtand ein garniertes Filet, deſſen Genuß mir nicht nur vorzüglich mundete, ſondern auch meine Seele in eine erhöhte Stimmung verſetzte, mich von jeder Müdig- keit befreite und mir die Luſt erweckte, einige der ſchwierigſten philoſophiſchen Probleme zu löſen, wie man etwa bei uns zum Nachtiſch Nüſſe knackt. Frau Liſſara fragte mich, was die europäiſchen Damen für Anſichten über die Jdentität des ethiſchen und logiſchen Noume- nons hätten, und ob meine Frau die Tranſcendenz oder die Jmmanenz des Gefühles vorzöge; und ſie ſchlug die Hände über dem Kopfe zuſammen, als ich ihr ſagte, daß bei uns weder Ethik noch Logik in der Mädchenerziehung eine Rolle ſpielten. „Auch nicht im Leben?“ fragte ſie. Jhr Gatte erſparte mir die Ver- legenheit der Antwort, indem er ſich bereit erklärte, mir einige Aufhellung über die Verhältniſſe von Apoikis zu geben. Was ich von ſeinen Ausführungen verſtand, kann ich Jhnen nur ganz kurz ſkizzieren, ſo weit es über- haupt im Rahmen unſerer Begriffe möglich iſt. Nach der Hinrichtung des Sokrates (399 vor Chriſti <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0053" n="47"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Apoikis.</hi></fw><lb/> Fleiſchſtücke, legte ſie in eine Schale und goß eine<lb/> Flüſſigkeit darüber, die er Diapetton nannte, und die<lb/> Berührung mit derſelben vollbrachte in einer halben<lb/> Minute die Wirkung eines trefflichen Bratofens. Vor<lb/> mir ſtand ein garniertes Filet, deſſen Genuß mir nicht<lb/> nur vorzüglich mundete, ſondern auch meine Seele in<lb/> eine erhöhte Stimmung verſetzte, mich von jeder Müdig-<lb/> keit befreite und mir die Luſt erweckte, einige der<lb/> ſchwierigſten philoſophiſchen Probleme zu löſen, wie man<lb/> etwa bei uns zum Nachtiſch Nüſſe knackt. Frau Liſſara<lb/> fragte mich, was die europäiſchen Damen für Anſichten<lb/> über die Jdentität des ethiſchen und logiſchen Noume-<lb/> nons hätten, und ob meine Frau die Tranſcendenz<lb/> oder die Jmmanenz des Gefühles vorzöge; und ſie<lb/> ſchlug die Hände über dem Kopfe zuſammen, als ich<lb/> ihr ſagte, daß bei uns weder Ethik noch Logik in der<lb/> Mädchenerziehung eine Rolle ſpielten. „Auch nicht im<lb/> Leben?“ fragte ſie. Jhr Gatte erſparte mir die Ver-<lb/> legenheit der Antwort, indem er ſich bereit erklärte, mir<lb/> einige Aufhellung über die Verhältniſſe von Apoikis zu<lb/> geben. Was ich von ſeinen Ausführungen verſtand,<lb/> kann ich Jhnen nur ganz kurz ſkizzieren, ſo weit es über-<lb/> haupt im Rahmen unſerer Begriffe möglich iſt.</p><lb/> <p>Nach der Hinrichtung des Sokrates (399 vor Chriſti<lb/> Geburt) verließ bekanntlich eine Anzahl ſeiner perſönlichen<lb/> Freunde, Geſinnungsgenoſſen und Schüler Athen. Gleich<lb/> ihrem Meiſter erkannten ſie, daß, nachdem der naive Glaube<lb/> an die Unerſchütterlichkeit der Volksſitte einmal geſtört<lb/> war, nicht das Zurückgehen auf das Alte, ſondern nur<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [47/0053]
Apoikis.
Fleiſchſtücke, legte ſie in eine Schale und goß eine
Flüſſigkeit darüber, die er Diapetton nannte, und die
Berührung mit derſelben vollbrachte in einer halben
Minute die Wirkung eines trefflichen Bratofens. Vor
mir ſtand ein garniertes Filet, deſſen Genuß mir nicht
nur vorzüglich mundete, ſondern auch meine Seele in
eine erhöhte Stimmung verſetzte, mich von jeder Müdig-
keit befreite und mir die Luſt erweckte, einige der
ſchwierigſten philoſophiſchen Probleme zu löſen, wie man
etwa bei uns zum Nachtiſch Nüſſe knackt. Frau Liſſara
fragte mich, was die europäiſchen Damen für Anſichten
über die Jdentität des ethiſchen und logiſchen Noume-
nons hätten, und ob meine Frau die Tranſcendenz
oder die Jmmanenz des Gefühles vorzöge; und ſie
ſchlug die Hände über dem Kopfe zuſammen, als ich
ihr ſagte, daß bei uns weder Ethik noch Logik in der
Mädchenerziehung eine Rolle ſpielten. „Auch nicht im
Leben?“ fragte ſie. Jhr Gatte erſparte mir die Ver-
legenheit der Antwort, indem er ſich bereit erklärte, mir
einige Aufhellung über die Verhältniſſe von Apoikis zu
geben. Was ich von ſeinen Ausführungen verſtand,
kann ich Jhnen nur ganz kurz ſkizzieren, ſo weit es über-
haupt im Rahmen unſerer Begriffe möglich iſt.
Nach der Hinrichtung des Sokrates (399 vor Chriſti
Geburt) verließ bekanntlich eine Anzahl ſeiner perſönlichen
Freunde, Geſinnungsgenoſſen und Schüler Athen. Gleich
ihrem Meiſter erkannten ſie, daß, nachdem der naive Glaube
an die Unerſchütterlichkeit der Volksſitte einmal geſtört
war, nicht das Zurückgehen auf das Alte, ſondern nur
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