Laßwitz, Kurd: Seifenblasen. Hamburg, 1890.Apoikis. in welchen auch unser Boot eingefahren war, windet sichweiterhin rückwärts und bildet das versteckte Binnen- meer, an dessen blühenden Ufern die Stadt Apoikis gegründet wurde. Das Land im Jnnern der Jnsel, sobald man die hohen Kalkspatmauern, die sie umgeben, überstiegen hatte, erwies sich als außerordentlich frucht- bar, das Klima milde und angenehm. Eine Bevölkerung von 7000 bis 8000 Seelen findet hier reichliche Nah- rung, bei sehr geringer Arbeit. Eine größere Zahl von Einwohnern aber hat Apoikis niemals erreicht. Denn, wie mein Gastfreund sagte, das Glück eines Volkes be- steht nicht in der möglichst großen Menge von einzelnen Centren des Bewußtseins, sondern in der intensiven und gleichmäßigen Konzentration des Bewußtseins in jedem einzelnen Jndividuum. Als ich ihn fragte, ob denn Apoikis nie an Übervölkerung leiden könne, da lächelte er und sprach: "Das kann ich Dir schwer erklären. Wenn Du die ganze Entwicklung unseres Kulturzustandes kenntest und die Tiefe unserer sittlichen Weltauffassung zu begreifen vermöchtest, dann würdest du einsehen, daß Deine Frage zu jenen unberechtigten gehört, wie z. B.: warum die Welt existiert, ob die Seele im Gehirn sitzt, ob die Tugend blau oder grün ist." -- "Erzähle nur unsere Geschichte weiter," warf Frau Lissara ein. -- "Als wir hierher kamen," fuhr Philandros fort, "Schüler des Sokrates und Freunde des Platon, mit den Versen des Sophokles auf den Lippen und vor den Augen die Erinnernng an die Bilder des Phidias, im Herzen die Lehren des weisesten der Menschen, als wir Laßwitz, Seifenblasen. 4
Apoikis. in welchen auch unſer Boot eingefahren war, windet ſichweiterhin rückwärts und bildet das verſteckte Binnen- meer, an deſſen blühenden Ufern die Stadt Apoikis gegründet wurde. Das Land im Jnnern der Jnſel, ſobald man die hohen Kalkſpatmauern, die ſie umgeben, überſtiegen hatte, erwies ſich als außerordentlich frucht- bar, das Klima milde und angenehm. Eine Bevölkerung von 7000 bis 8000 Seelen findet hier reichliche Nah- rung, bei ſehr geringer Arbeit. Eine größere Zahl von Einwohnern aber hat Apoikis niemals erreicht. Denn, wie mein Gaſtfreund ſagte, das Glück eines Volkes be- ſteht nicht in der möglichſt großen Menge von einzelnen Centren des Bewußtſeins, ſondern in der intenſiven und gleichmäßigen Konzentration des Bewußtſeins in jedem einzelnen Jndividuum. Als ich ihn fragte, ob denn Apoikis nie an Übervölkerung leiden könne, da lächelte er und ſprach: „Das kann ich Dir ſchwer erklären. Wenn Du die ganze Entwicklung unſeres Kulturzuſtandes kennteſt und die Tiefe unſerer ſittlichen Weltauffaſſung zu begreifen vermöchteſt, dann würdeſt du einſehen, daß Deine Frage zu jenen unberechtigten gehört, wie z. B.: warum die Welt exiſtiert, ob die Seele im Gehirn ſitzt, ob die Tugend blau oder grün iſt.“ — „Erzähle nur unſere Geſchichte weiter,“ warf Frau Liſſara ein. — „Als wir hierher kamen,“ fuhr Philandros fort, „Schüler des Sokrates und Freunde des Platon, mit den Verſen des Sophokles auf den Lippen und vor den Augen die Erinnernng an die Bilder des Phidias, im Herzen die Lehren des weiſeſten der Menſchen, als wir Laßwitz, Seifenblaſen. 4
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Apoikis.
in welchen auch unſer Boot eingefahren war, windet ſich
weiterhin rückwärts und bildet das verſteckte Binnen-
meer, an deſſen blühenden Ufern die Stadt Apoikis
gegründet wurde. Das Land im Jnnern der Jnſel,
ſobald man die hohen Kalkſpatmauern, die ſie umgeben,
überſtiegen hatte, erwies ſich als außerordentlich frucht-
bar, das Klima milde und angenehm. Eine Bevölkerung
von 7000 bis 8000 Seelen findet hier reichliche Nah-
rung, bei ſehr geringer Arbeit. Eine größere Zahl von
Einwohnern aber hat Apoikis niemals erreicht. Denn,
wie mein Gaſtfreund ſagte, das Glück eines Volkes be-
ſteht nicht in der möglichſt großen Menge von einzelnen
Centren des Bewußtſeins, ſondern in der intenſiven und
gleichmäßigen Konzentration des Bewußtſeins in jedem
einzelnen Jndividuum. Als ich ihn fragte, ob denn
Apoikis nie an Übervölkerung leiden könne, da lächelte
er und ſprach: „Das kann ich Dir ſchwer erklären.
Wenn Du die ganze Entwicklung unſeres Kulturzuſtandes
kennteſt und die Tiefe unſerer ſittlichen Weltauffaſſung
zu begreifen vermöchteſt, dann würdeſt du einſehen, daß
Deine Frage zu jenen unberechtigten gehört, wie z. B.:
warum die Welt exiſtiert, ob die Seele im Gehirn ſitzt,
ob die Tugend blau oder grün iſt.“ — „Erzähle
nur unſere Geſchichte weiter,“ warf Frau Liſſara ein.
— „Als wir hierher kamen,“ fuhr Philandros fort,
„Schüler des Sokrates und Freunde des Platon, mit
den Verſen des Sophokles auf den Lippen und vor den
Augen die Erinnernng an die Bilder des Phidias, im
Herzen die Lehren des weiſeſten der Menſchen, als wir
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