Ein bewegter Tag. Die Arbeiter waren damit be- schäftigt, unsern diesjährigen Erstlingen beim Auskriechen behilflich zu sein. Während sie ihnen die Puppenhülsen aufbissen und abzogen, saß ich wieder über meinem Ssrr, dem großen Erforscher der Menschen, den ich mehr und mehr verehren lerne. Hat er uns doch eine neue Welt eröffnet, einen Blick in den ungeahnten Reichtum der Natur an merkwürdigen Gestalten, und in jeder zeigt sich die Weisheit der unendlichen Uremse. Der Mensch, dieses riesige, täppische Tier, wie gefährlich wäre er unseren Staaten, wenn er bei seiner zweifellosen Jn- telligenz zugleich die idealen Triebe der Ameise besäße! So aber begnügt er sich mit der Anbetung seiner blanken Götzen und sein ganzes Streben ist darauf gerichtet, möglichst viele derselben anzuhäufen. Und dies nicht etwa für die Gemeinschaft, sondern ein jeder sorgt nur für sich; eben hier zeigt sich die Weisheit des Schöpfers, daß er die Kräfte dieser gefährlichen Riesen zersplittert und sie zu einem Kampfe des einzelnen gegen den ein- zelnen antreibt. Wie dankbar müssen wir sein, daß wir als Ameisen ausgekrochen sind!
Mit derartigen Gedanken war ich beschäftigt, als wir plötzlich eine gewaltige Erschütterung des ganzen Baus verspürten. An einer Stelle drang das Tages- licht ein. Die Arbeiter stürzten sich auf die Larven und Puppen, um sie in Sicherheit zu bringen, während wir Führer zur Abwehr des Angriffs hinauseilten. Wir bemerkten, daß ein Mensch mit einem Baume -- sie
Aus dem Tagebuche einer Ameiſe.
Puppenſonne 11.
Ein bewegter Tag. Die Arbeiter waren damit be- ſchäftigt, unſern diesjährigen Erſtlingen beim Auskriechen behilflich zu ſein. Während ſie ihnen die Puppenhülſen aufbiſſen und abzogen, ſaß ich wieder über meinem Sſrr, dem großen Erforſcher der Menſchen, den ich mehr und mehr verehren lerne. Hat er uns doch eine neue Welt eröffnet, einen Blick in den ungeahnten Reichtum der Natur an merkwürdigen Geſtalten, und in jeder zeigt ſich die Weisheit der unendlichen Uremſe. Der Menſch, dieſes rieſige, täppiſche Tier, wie gefährlich wäre er unſeren Staaten, wenn er bei ſeiner zweifelloſen Jn- telligenz zugleich die idealen Triebe der Ameiſe beſäße! So aber begnügt er ſich mit der Anbetung ſeiner blanken Götzen und ſein ganzes Streben iſt darauf gerichtet, möglichſt viele derſelben anzuhäufen. Und dies nicht etwa für die Gemeinſchaft, ſondern ein jeder ſorgt nur für ſich; eben hier zeigt ſich die Weisheit des Schöpfers, daß er die Kräfte dieſer gefährlichen Rieſen zerſplittert und ſie zu einem Kampfe des einzelnen gegen den ein- zelnen antreibt. Wie dankbar müſſen wir ſein, daß wir als Ameiſen ausgekrochen ſind!
Mit derartigen Gedanken war ich beſchäftigt, als wir plötzlich eine gewaltige Erſchütterung des ganzen Baus verſpürten. An einer Stelle drang das Tages- licht ein. Die Arbeiter ſtürzten ſich auf die Larven und Puppen, um ſie in Sicherheit zu bringen, während wir Führer zur Abwehr des Angriffs hinauseilten. Wir bemerkten, daß ein Menſch mit einem Baume — ſie
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Aus dem Tagebuche einer Ameiſe.
Puppenſonne 11.
Ein bewegter Tag. Die Arbeiter waren damit be-
ſchäftigt, unſern diesjährigen Erſtlingen beim Auskriechen
behilflich zu ſein. Während ſie ihnen die Puppenhülſen
aufbiſſen und abzogen, ſaß ich wieder über meinem Sſrr,
dem großen Erforſcher der Menſchen, den ich mehr und
mehr verehren lerne. Hat er uns doch eine neue Welt
eröffnet, einen Blick in den ungeahnten Reichtum der
Natur an merkwürdigen Geſtalten, und in jeder zeigt
ſich die Weisheit der unendlichen Uremſe. Der Menſch,
dieſes rieſige, täppiſche Tier, wie gefährlich wäre er
unſeren Staaten, wenn er bei ſeiner zweifelloſen Jn-
telligenz zugleich die idealen Triebe der Ameiſe beſäße!
So aber begnügt er ſich mit der Anbetung ſeiner blanken
Götzen und ſein ganzes Streben iſt darauf gerichtet,
möglichſt viele derſelben anzuhäufen. Und dies nicht
etwa für die Gemeinſchaft, ſondern ein jeder ſorgt nur
für ſich; eben hier zeigt ſich die Weisheit des Schöpfers,
daß er die Kräfte dieſer gefährlichen Rieſen zerſplittert
und ſie zu einem Kampfe des einzelnen gegen den ein-
zelnen antreibt. Wie dankbar müſſen wir ſein, daß
wir als Ameiſen ausgekrochen ſind!
Mit derartigen Gedanken war ich beſchäftigt, als
wir plötzlich eine gewaltige Erſchütterung des ganzen
Baus verſpürten. An einer Stelle drang das Tages-
licht ein. Die Arbeiter ſtürzten ſich auf die Larven und
Puppen, um ſie in Sicherheit zu bringen, während wir
Führer zur Abwehr des Angriffs hinauseilten. Wir
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Laßwitz, Kurd: Seifenblasen. Hamburg, 1890, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lasswitz_seife_1890/93>, abgerufen am 16.02.2025.
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