Laßwitz, Kurd: Seifenblasen. Hamburg, 1890.Aus dem Tagebuche einer Ameise. soll ein Volksspiel sein, wobei die Veranstalter Beloh-nungen erhalten. Sonst aber ist alles unklar. Erstens: "Liebe Frau!" Was ist "liebe" und was ist "Frau"? Ein Weibchen ohne Flügel? Dann aber ist sie doch Mutter und Königin, wie kann sich ein Männchen er- dreisten, sie als seine liebe Frau anzureden? Und Steuer -- was ist Steuer? Es muß doch wohl ein Übel sein, da der Mensch es vermeiden will. Nach der Erklärung unserer Gelehrten soll aber die Steuer bei den Menschen ein Hauptlebenszweck sein -- wie also kann es ein Übel heißen? Was mich indessen am aller- meisten stutzig macht, ist der Ausdruck: "Sage es niemand." Wie kann man etwas, was ist, nicht sagen wollen? Etwas, was nicht ist, kann doch überhaupt nicht gesagt werden, und was ist, kann durch die Rede nicht anders gemacht werden. Oder sollte es bei den Menschen möglich sein, daß etwas, was für einige ist, für andere nicht sein könnte? Das scheint mir ein unlös- barer Widerspruch. Flügelsonne 15. Mit einigen Führern und 56 Arbeitern auf der Aus dem Tagebuche einer Ameiſe. ſoll ein Volksſpiel ſein, wobei die Veranſtalter Beloh-nungen erhalten. Sonſt aber iſt alles unklar. Erſtens: „Liebe Frau!“ Was iſt „liebe“ und was iſt „Frau“? Ein Weibchen ohne Flügel? Dann aber iſt ſie doch Mutter und Königin, wie kann ſich ein Männchen er- dreiſten, ſie als ſeine liebe Frau anzureden? Und Steuer — was iſt Steuer? Es muß doch wohl ein Übel ſein, da der Menſch es vermeiden will. Nach der Erklärung unſerer Gelehrten ſoll aber die Steuer bei den Menſchen ein Hauptlebenszweck ſein — wie alſo kann es ein Übel heißen? Was mich indeſſen am aller- meiſten ſtutzig macht, iſt der Ausdruck: „Sage es niemand.“ Wie kann man etwas, was iſt, nicht ſagen wollen? Etwas, was nicht iſt, kann doch überhaupt nicht geſagt werden, und was iſt, kann durch die Rede nicht anders gemacht werden. Oder ſollte es bei den Menſchen möglich ſein, daß etwas, was für einige iſt, für andere nicht ſein könnte? Das ſcheint mir ein unlös- barer Widerſpruch. Flügelſonne 15. Mit einigen Führern und 56 Arbeitern auf der <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0099" n="93"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Aus dem Tagebuche einer Ameiſe.</hi></fw><lb/> ſoll ein Volksſpiel ſein, wobei die Veranſtalter Beloh-<lb/> nungen erhalten. Sonſt aber iſt alles unklar. Erſtens:<lb/> „Liebe Frau!“ Was iſt „liebe“ und was iſt „Frau“?<lb/> Ein Weibchen ohne Flügel? Dann aber iſt ſie doch<lb/> Mutter und Königin, wie kann ſich ein Männchen er-<lb/> dreiſten, ſie als ſeine liebe Frau anzureden? Und<lb/> Steuer — was iſt Steuer? Es muß doch wohl ein<lb/> Übel ſein, da der Menſch es vermeiden will. Nach der<lb/> Erklärung unſerer Gelehrten ſoll aber die Steuer bei<lb/> den Menſchen ein Hauptlebenszweck ſein — wie alſo<lb/> kann es ein Übel heißen? Was mich indeſſen am aller-<lb/> meiſten ſtutzig macht, iſt der Ausdruck: „Sage es<lb/> niemand.“ Wie kann man etwas, was iſt, nicht ſagen<lb/> wollen? Etwas, was nicht iſt, kann doch überhaupt nicht<lb/> geſagt werden, und was iſt, kann durch die Rede nicht<lb/> anders gemacht werden. Oder ſollte es bei den Menſchen<lb/> möglich ſein, daß etwas, was für einige iſt, für<lb/> andere nicht ſein könnte? Das ſcheint mir ein unlös-<lb/> barer Widerſpruch.</p> </div><lb/> <div n="3"> <head> <hi rendition="#b">Flügelſonne 15.</hi> </head><lb/> <p>Mit einigen Führern und 56 Arbeitern auf der<lb/> Jagd. Da ſahen wir denſelben Menſchen, der uns<lb/> einmal angegriffen hatte, aber diesmal war noch ein<lb/> Weibchen bei ihm. Sie ſchienen ſich ſehr angelegentlich<lb/> zu unterhalten. Mehrmals näherte er ſeinen Fühler<lb/> dem ihrigen, den ſie aber immer wieder zurückzog. Jch<lb/> bewaffnete mich mit einem Krch’ſchen Sehrohr und<lb/> einem Hlmz’ſchen Schalltaſter und wagte mich bis auf<lb/> das aar des Weibchens. Es ſchien mir von derſelben<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [93/0099]
Aus dem Tagebuche einer Ameiſe.
ſoll ein Volksſpiel ſein, wobei die Veranſtalter Beloh-
nungen erhalten. Sonſt aber iſt alles unklar. Erſtens:
„Liebe Frau!“ Was iſt „liebe“ und was iſt „Frau“?
Ein Weibchen ohne Flügel? Dann aber iſt ſie doch
Mutter und Königin, wie kann ſich ein Männchen er-
dreiſten, ſie als ſeine liebe Frau anzureden? Und
Steuer — was iſt Steuer? Es muß doch wohl ein
Übel ſein, da der Menſch es vermeiden will. Nach der
Erklärung unſerer Gelehrten ſoll aber die Steuer bei
den Menſchen ein Hauptlebenszweck ſein — wie alſo
kann es ein Übel heißen? Was mich indeſſen am aller-
meiſten ſtutzig macht, iſt der Ausdruck: „Sage es
niemand.“ Wie kann man etwas, was iſt, nicht ſagen
wollen? Etwas, was nicht iſt, kann doch überhaupt nicht
geſagt werden, und was iſt, kann durch die Rede nicht
anders gemacht werden. Oder ſollte es bei den Menſchen
möglich ſein, daß etwas, was für einige iſt, für
andere nicht ſein könnte? Das ſcheint mir ein unlös-
barer Widerſpruch.
Flügelſonne 15.
Mit einigen Führern und 56 Arbeitern auf der
Jagd. Da ſahen wir denſelben Menſchen, der uns
einmal angegriffen hatte, aber diesmal war noch ein
Weibchen bei ihm. Sie ſchienen ſich ſehr angelegentlich
zu unterhalten. Mehrmals näherte er ſeinen Fühler
dem ihrigen, den ſie aber immer wieder zurückzog. Jch
bewaffnete mich mit einem Krch’ſchen Sehrohr und
einem Hlmz’ſchen Schalltaſter und wagte mich bis auf
das aar des Weibchens. Es ſchien mir von derſelben
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