Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 1, 1. Leipzig, 1833.

Bild:
<< vorherige Seite

Ich glaube nämlich an eine dereinstige Universalrepublik
so fest wie an meine Fähigkeit, ein Glas an den Mund
zu führen. Es wird und muß sich eine neue Zeit bil¬
den, wir leben freilich in keiner, sondern in dem Zwi¬
schenraume auf der Brücke zweier Zeiten. Individuali¬
täten, plastische Figuren, mit einem Worte, Helden
verschwinden und an die Stelle der Helden tritt die
Meinung. Wir bereiten den Stoff zu einer neuen
Aera der Poesie, welcher der voreilende Jean Paul
theilweise schon angehört. In dieser neuen Weise kön¬
nen wir noch nicht schreiten, weil sie erst die Hälfte
ihres Körpers aus dem Mutterleibe der kreisenden Welt¬
geschichte hervorstreckt; die alte Weise kann uns aber
nicht mehr genügen, eben weil die Ahnung der neuen
schon in uns vorhanden ist. Daher finden wir von
allen Arten der Poesie die meiste Befriedigung in der
Musik, weil sie der Ausdruck halbbewußter Gefühle ist.
-- Nenne dies "Fieberphantasie eines tauben Musikers."


Dieser Schuft von Diener aus der Gesandtschaft
hat eine Spürnase wie ein Jagdhund, und mich wirk¬
lich ausgeschnüffelt -- keuchend kam er eben auf mei¬

Ich glaube nämlich an eine dereinſtige Univerſalrepublik
ſo feſt wie an meine Fähigkeit, ein Glas an den Mund
zu führen. Es wird und muß ſich eine neue Zeit bil¬
den, wir leben freilich in keiner, ſondern in dem Zwi¬
ſchenraume auf der Brücke zweier Zeiten. Individuali¬
täten, plaſtiſche Figuren, mit einem Worte, Helden
verſchwinden und an die Stelle der Helden tritt die
Meinung. Wir bereiten den Stoff zu einer neuen
Aera der Poeſie, welcher der voreilende Jean Paul
theilweiſe ſchon angehört. In dieſer neuen Weiſe kön¬
nen wir noch nicht ſchreiten, weil ſie erſt die Hälfte
ihres Körpers aus dem Mutterleibe der kreiſenden Welt¬
geſchichte hervorſtreckt; die alte Weiſe kann uns aber
nicht mehr genügen, eben weil die Ahnung der neuen
ſchon in uns vorhanden iſt. Daher finden wir von
allen Arten der Poeſie die meiſte Befriedigung in der
Muſik, weil ſie der Ausdruck halbbewußter Gefühle iſt.
— Nenne dies „Fieberphantaſie eines tauben Muſikers.“


Dieſer Schuft von Diener aus der Geſandtſchaft
hat eine Spürnaſe wie ein Jagdhund, und mich wirk¬
lich ausgeſchnüffelt — keuchend kam er eben auf mei¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0120" n="110"/>
Ich glaube nämlich an eine derein&#x017F;tige Univer&#x017F;alrepublik<lb/>
&#x017F;o fe&#x017F;t wie an meine Fähigkeit, ein Glas an den Mund<lb/>
zu führen. Es wird und muß &#x017F;ich eine neue Zeit bil¬<lb/>
den, wir leben freilich in keiner, &#x017F;ondern in dem Zwi¬<lb/>
&#x017F;chenraume auf der Brücke zweier Zeiten. Individuali¬<lb/>
täten, pla&#x017F;ti&#x017F;che Figuren, mit einem Worte, <hi rendition="#g">Helden</hi><lb/>
ver&#x017F;chwinden und an die Stelle der Helden tritt die<lb/><hi rendition="#g">Meinung</hi>. Wir bereiten den Stoff zu einer neuen<lb/>
Aera der Poe&#x017F;ie, welcher der voreilende Jean Paul<lb/>
theilwei&#x017F;e &#x017F;chon angehört. In die&#x017F;er neuen Wei&#x017F;e kön¬<lb/>
nen wir noch nicht &#x017F;chreiten, weil &#x017F;ie er&#x017F;t die Hälfte<lb/>
ihres Körpers aus dem Mutterleibe der krei&#x017F;enden Welt¬<lb/>
ge&#x017F;chichte hervor&#x017F;treckt; die alte Wei&#x017F;e kann uns aber<lb/>
nicht mehr genügen, eben weil die Ahnung der neuen<lb/>
&#x017F;chon in uns vorhanden i&#x017F;t. Daher finden wir von<lb/>
allen Arten der Poe&#x017F;ie die mei&#x017F;te Befriedigung in der<lb/>
Mu&#x017F;ik, weil &#x017F;ie der Ausdruck halbbewußter Gefühle i&#x017F;t.<lb/>
&#x2014; Nenne dies &#x201E;Fieberphanta&#x017F;ie eines tauben Mu&#x017F;ikers.&#x201C;</p><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <p>Die&#x017F;er Schuft von Diener aus der Ge&#x017F;andt&#x017F;chaft<lb/>
hat eine Spürna&#x017F;e wie ein Jagdhund, und mich wirk¬<lb/>
lich ausge&#x017F;chnüffelt &#x2014; keuchend kam er eben auf mei¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[110/0120] Ich glaube nämlich an eine dereinſtige Univerſalrepublik ſo feſt wie an meine Fähigkeit, ein Glas an den Mund zu führen. Es wird und muß ſich eine neue Zeit bil¬ den, wir leben freilich in keiner, ſondern in dem Zwi¬ ſchenraume auf der Brücke zweier Zeiten. Individuali¬ täten, plaſtiſche Figuren, mit einem Worte, Helden verſchwinden und an die Stelle der Helden tritt die Meinung. Wir bereiten den Stoff zu einer neuen Aera der Poeſie, welcher der voreilende Jean Paul theilweiſe ſchon angehört. In dieſer neuen Weiſe kön¬ nen wir noch nicht ſchreiten, weil ſie erſt die Hälfte ihres Körpers aus dem Mutterleibe der kreiſenden Welt¬ geſchichte hervorſtreckt; die alte Weiſe kann uns aber nicht mehr genügen, eben weil die Ahnung der neuen ſchon in uns vorhanden iſt. Daher finden wir von allen Arten der Poeſie die meiſte Befriedigung in der Muſik, weil ſie der Ausdruck halbbewußter Gefühle iſt. — Nenne dies „Fieberphantaſie eines tauben Muſikers.“ Dieſer Schuft von Diener aus der Geſandtſchaft hat eine Spürnaſe wie ein Jagdhund, und mich wirk¬ lich ausgeſchnüffelt — keuchend kam er eben auf mei¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0101_1833
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0101_1833/120
Zitationshilfe: Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 1, 1. Leipzig, 1833, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0101_1833/120>, abgerufen am 23.11.2024.