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Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 1, 2. Leipzig, 1833.

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kann nichts die Hypochondrie so befördern als diese Theo¬
rieen; das mit tausend Zungen zu predigende und zu
preisende Gute, was Christus gebracht und durch seinen
Tod besiegelt hat, ist durch die Handwerker entstellt wor¬
den. Sein Opfer, wodurch er einen unschätzbaren Schatz
von Wahrheiten beglaubigt und der Welt ans Herz gelegt
hat, dieses Opfer ist zu einer erdrückenden Kreuz- und
Wundertheorie verdreht worden. Man muß sich schä¬
men, wenn man einen Zeisig lustig zwitschern hört -- die
ganze Erde ist durch die schwarzblütigen Leute zu einem
Sarge eingesegnet worden; Sonne, Mond und Sterne
sind Todtenfackeln, der Himmel ist ein großes schwarzes
Leichentuch, die Menschen sind lauter Todte oder Todes¬
reife und tragen alle Leid. Es schickt sich nicht zu la¬
chen, wenn man an Gott denkt -- o Du fröhlicher
Gott, der so viel Freude ausgegossen. Das nennen sie
Christenthum. Großer Christus, was würdest du zur
Ausgeburt deiner menschenfreundlichen Gedanken sagen!
Was richten die Menschen für Unglück an. Die Pfaf¬
fen sind die blutigen Cordeliers der Franzosen, welche
das schönste innere Leben nicht einmal wie jene kurz und
schnell guillotiniren, sondern langsam vergiften durch
Angst und Furcht. Mit der Muttermilch wird der trübe

kann nichts die Hypochondrie ſo befördern als dieſe Theo¬
rieen; das mit tauſend Zungen zu predigende und zu
preiſende Gute, was Chriſtus gebracht und durch ſeinen
Tod beſiegelt hat, iſt durch die Handwerker entſtellt wor¬
den. Sein Opfer, wodurch er einen unſchätzbaren Schatz
von Wahrheiten beglaubigt und der Welt ans Herz gelegt
hat, dieſes Opfer iſt zu einer erdrückenden Kreuz- und
Wundertheorie verdreht worden. Man muß ſich ſchä¬
men, wenn man einen Zeiſig luſtig zwitſchern hört — die
ganze Erde iſt durch die ſchwarzblütigen Leute zu einem
Sarge eingeſegnet worden; Sonne, Mond und Sterne
ſind Todtenfackeln, der Himmel iſt ein großes ſchwarzes
Leichentuch, die Menſchen ſind lauter Todte oder Todes¬
reife und tragen alle Leid. Es ſchickt ſich nicht zu la¬
chen, wenn man an Gott denkt — o Du fröhlicher
Gott, der ſo viel Freude ausgegoſſen. Das nennen ſie
Chriſtenthum. Großer Chriſtus, was würdeſt du zur
Ausgeburt deiner menſchenfreundlichen Gedanken ſagen!
Was richten die Menſchen für Unglück an. Die Pfaf¬
fen ſind die blutigen Cordeliers der Franzoſen, welche
das ſchönſte innere Leben nicht einmal wie jene kurz und
ſchnell guillotiniren, ſondern langſam vergiften durch
Angſt und Furcht. Mit der Muttermilch wird der trübe

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[125/0137] kann nichts die Hypochondrie ſo befördern als dieſe Theo¬ rieen; das mit tauſend Zungen zu predigende und zu preiſende Gute, was Chriſtus gebracht und durch ſeinen Tod beſiegelt hat, iſt durch die Handwerker entſtellt wor¬ den. Sein Opfer, wodurch er einen unſchätzbaren Schatz von Wahrheiten beglaubigt und der Welt ans Herz gelegt hat, dieſes Opfer iſt zu einer erdrückenden Kreuz- und Wundertheorie verdreht worden. Man muß ſich ſchä¬ men, wenn man einen Zeiſig luſtig zwitſchern hört — die ganze Erde iſt durch die ſchwarzblütigen Leute zu einem Sarge eingeſegnet worden; Sonne, Mond und Sterne ſind Todtenfackeln, der Himmel iſt ein großes ſchwarzes Leichentuch, die Menſchen ſind lauter Todte oder Todes¬ reife und tragen alle Leid. Es ſchickt ſich nicht zu la¬ chen, wenn man an Gott denkt — o Du fröhlicher Gott, der ſo viel Freude ausgegoſſen. Das nennen ſie Chriſtenthum. Großer Chriſtus, was würdeſt du zur Ausgeburt deiner menſchenfreundlichen Gedanken ſagen! Was richten die Menſchen für Unglück an. Die Pfaf¬ fen ſind die blutigen Cordeliers der Franzoſen, welche das ſchönſte innere Leben nicht einmal wie jene kurz und ſchnell guillotiniren, ſondern langſam vergiften durch Angſt und Furcht. Mit der Muttermilch wird der trübe

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Zitationshilfe: Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 1, 2. Leipzig, 1833, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0102_1833/137>, abgerufen am 17.05.2024.