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Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 1, 2. Leipzig, 1833.

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kenne, aber auch unerkannt voraussetzen darf und muß --
ich weiß nicht, welche Kraft die Blüthe aufsprengt, aber
ich weiß, daß eine Kraft dazu nöthig ist -- ich sehe
Alles nach solcher Ordnung sich entwickeln, und wenn
ich die Gesetze auch nicht wie das Landrecht in Para¬
graphen getheilt habe, so habe ich doch einen Begriff
vom Gesetzesgange. -- Darum nun, weil ich die Gott¬
heit überall in gewissen bestimmten Kreisen und Ge¬
setzen in der Natur wirken sehe, statuire ich kein plötz¬
liches unvorbereitetes gewaltsames Herausschreiten wie
die Erscheinung eines leiblichen Sohnes Gottes, der
auf Erden überall, wo er hinkäme, die gewöhnlichen
Gesetze vermöge seiner Ueberirdischkeit aufhöbe. Wie
willst Du denn dem Moslem etc. dasselbe Recht strei¬
tig machen?"

"Es ist wirklich ein tiefer schwerer Jammer, wenn
man viele der besten Köpfe auf den theologischen und
halbtheologischen Lehrstühlen sitzen sieht und bedenkt,
daß sie sich ihr ganzes Leben hindurch mit des Kaisers
Bart beschäftigen. Sie leben in einer Camera ob¬
scura
und wehe dem, der daran rütteln oder hinein¬
leuchten wollte. Es ist ein großes Reich, umschlossen
wie von der chinesischen Mauer von Terminologien

kenne, aber auch unerkannt vorausſetzen darf und muß —
ich weiß nicht, welche Kraft die Blüthe aufſprengt, aber
ich weiß, daß eine Kraft dazu nöthig iſt — ich ſehe
Alles nach ſolcher Ordnung ſich entwickeln, und wenn
ich die Geſetze auch nicht wie das Landrecht in Para¬
graphen getheilt habe, ſo habe ich doch einen Begriff
vom Geſetzesgange. — Darum nun, weil ich die Gott¬
heit überall in gewiſſen beſtimmten Kreiſen und Ge¬
ſetzen in der Natur wirken ſehe, ſtatuire ich kein plötz¬
liches unvorbereitetes gewaltſames Herausſchreiten wie
die Erſcheinung eines leiblichen Sohnes Gottes, der
auf Erden überall, wo er hinkäme, die gewöhnlichen
Geſetze vermöge ſeiner Ueberirdiſchkeit aufhöbe. Wie
willſt Du denn dem Moslem ꝛc. daſſelbe Recht ſtrei¬
tig machen?“

„Es iſt wirklich ein tiefer ſchwerer Jammer, wenn
man viele der beſten Köpfe auf den theologiſchen und
halbtheologiſchen Lehrſtühlen ſitzen ſieht und bedenkt,
daß ſie ſich ihr ganzes Leben hindurch mit des Kaiſers
Bart beſchäftigen. Sie leben in einer Camera ob¬
scura
und wehe dem, der daran rütteln oder hinein¬
leuchten wollte. Es iſt ein großes Reich, umſchloſſen
wie von der chineſiſchen Mauer von Terminologien

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[135/0147] kenne, aber auch unerkannt vorausſetzen darf und muß — ich weiß nicht, welche Kraft die Blüthe aufſprengt, aber ich weiß, daß eine Kraft dazu nöthig iſt — ich ſehe Alles nach ſolcher Ordnung ſich entwickeln, und wenn ich die Geſetze auch nicht wie das Landrecht in Para¬ graphen getheilt habe, ſo habe ich doch einen Begriff vom Geſetzesgange. — Darum nun, weil ich die Gott¬ heit überall in gewiſſen beſtimmten Kreiſen und Ge¬ ſetzen in der Natur wirken ſehe, ſtatuire ich kein plötz¬ liches unvorbereitetes gewaltſames Herausſchreiten wie die Erſcheinung eines leiblichen Sohnes Gottes, der auf Erden überall, wo er hinkäme, die gewöhnlichen Geſetze vermöge ſeiner Ueberirdiſchkeit aufhöbe. Wie willſt Du denn dem Moslem ꝛc. daſſelbe Recht ſtrei¬ tig machen?“ „Es iſt wirklich ein tiefer ſchwerer Jammer, wenn man viele der beſten Köpfe auf den theologiſchen und halbtheologiſchen Lehrſtühlen ſitzen ſieht und bedenkt, daß ſie ſich ihr ganzes Leben hindurch mit des Kaiſers Bart beſchäftigen. Sie leben in einer Camera ob¬ scura und wehe dem, der daran rütteln oder hinein¬ leuchten wollte. Es iſt ein großes Reich, umſchloſſen wie von der chineſiſchen Mauer von Terminologien

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Zitationshilfe: Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 1, 2. Leipzig, 1833, S. 135. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0102_1833/147>, abgerufen am 17.05.2024.