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Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 2, 1. Mannheim, 1837.

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mit jener anspruchslosen Einfachheit mächtiger Künst-
ler die Geschichte Polens zu erzählen, die Stimme
schien leise und schwach, und da die Erzählung mit
den fernsten Jahrhunderten aushob, so fürchtete man,
es werde ihr für den eigentlichen Zweck, für die
Verhältnisse des Augenblicks keine Kraft übrig blei-
ben. Aber dieser Glaube war sehr irrthümlich. Die
Stimme wurde stärker, wie ein Baum, der immer
höher wächst, und so wie dieser immer breiter um
sich greift mit seinen Zweigen, so schien auch diese
Stimme immer tiefer in die Herzen der fernsten
Zuhörer zu greifen. Es war eine Stille im Saale,
daß man den Fall einer Nadel gehört hätte; auf
allen Gesichtern war die höchste Spannung zu lesen.
Die Bauern neben Valerius schienen kaum zu ath-
men, und so erreichte die Rede ihren Höhepunkt
bis zum Ausbruch der neuesten Revolution, die
noch mit den lebendigsten, blutvollsten Worten dar-
gestellt wurde. Da hörte sie plötzlich auf, der Red-
ner machte eine Pause. Der Eindruck war über
jenen hinaus, wo der Beifall der Zuhörer losbrechen
kann, diese waren selbst über den Raum hinaus-

mit jener anſpruchsloſen Einfachheit mächtiger Künſt-
ler die Geſchichte Polens zu erzählen, die Stimme
ſchien leiſe und ſchwach, und da die Erzählung mit
den fernſten Jahrhunderten aushob, ſo fürchtete man,
es werde ihr für den eigentlichen Zweck, für die
Verhältniſſe des Augenblicks keine Kraft übrig blei-
ben. Aber dieſer Glaube war ſehr irrthümlich. Die
Stimme wurde ſtärker, wie ein Baum, der immer
höher wächſt, und ſo wie dieſer immer breiter um
ſich greift mit ſeinen Zweigen, ſo ſchien auch dieſe
Stimme immer tiefer in die Herzen der fernſten
Zuhörer zu greifen. Es war eine Stille im Saale,
daß man den Fall einer Nadel gehört hätte; auf
allen Geſichtern war die höchſte Spannung zu leſen.
Die Bauern neben Valerius ſchienen kaum zu ath-
men, und ſo erreichte die Rede ihren Höhepunkt
bis zum Ausbruch der neueſten Revolution, die
noch mit den lebendigſten, blutvollſten Worten dar-
geſtellt wurde. Da hörte ſie plötzlich auf, der Red-
ner machte eine Pauſe. Der Eindruck war über
jenen hinaus, wo der Beifall der Zuhörer losbrechen
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[138/0148] mit jener anſpruchsloſen Einfachheit mächtiger Künſt- ler die Geſchichte Polens zu erzählen, die Stimme ſchien leiſe und ſchwach, und da die Erzählung mit den fernſten Jahrhunderten aushob, ſo fürchtete man, es werde ihr für den eigentlichen Zweck, für die Verhältniſſe des Augenblicks keine Kraft übrig blei- ben. Aber dieſer Glaube war ſehr irrthümlich. Die Stimme wurde ſtärker, wie ein Baum, der immer höher wächſt, und ſo wie dieſer immer breiter um ſich greift mit ſeinen Zweigen, ſo ſchien auch dieſe Stimme immer tiefer in die Herzen der fernſten Zuhörer zu greifen. Es war eine Stille im Saale, daß man den Fall einer Nadel gehört hätte; auf allen Geſichtern war die höchſte Spannung zu leſen. Die Bauern neben Valerius ſchienen kaum zu ath- men, und ſo erreichte die Rede ihren Höhepunkt bis zum Ausbruch der neueſten Revolution, die noch mit den lebendigſten, blutvollſten Worten dar- geſtellt wurde. Da hörte ſie plötzlich auf, der Red- ner machte eine Pauſe. Der Eindruck war über jenen hinaus, wo der Beifall der Zuhörer losbrechen kann, dieſe waren ſelbſt über den Raum hinaus-

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Zitationshilfe: Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 2, 1. Mannheim, 1837, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa0201_1837/148>, abgerufen am 04.12.2024.