Chuschir genannt wird, fügt Pferdemilch und Butter hinzu, der Lama der Jurte giebt den Theesegen, und man genießt heiß, siedend heiß. Der höfliche Mon- gole fordert Dich auf zu trinken, und Du thust wohl daran, denn auch nach warmen Tagen sind die Nächte eiskalt.
Eine innere Welt gab's nicht für mich, vielleicht gebrauchte ich solch ein vegetatives todtes Leben, da- mit Seele und Geist sich von den Schlägen erhole. Jch suchte für nichts einen Zusammenhang, weil mich aller Zusammenhang so arg getäuscht hatte, so habe ich denn auch nur Einzelnes gesehen, denn die Umgebung hat niemals mehr, als wir aufneh- men. -- Wir reis'ten mit solchen Filzjurten, die wir des Nachts aufschlugen, der Weg ging durch Steppen, ich erinnere mich eines trägen, öden Ge- dankens, der damals in mir herumklapperte: die Welt ist lang, sehr lang. Dann kamen Hügel und am Abhange eines solchen plötzlich eine Stadt mit Kirchthürmen und Kuppeln, wie ich sie nie gesehn. Sie gehörten zu einem Fohitempel, und die Stadt hieß Kiachta. Gott ist überall, und die Menschen
Chuſchir genannt wird, fügt Pferdemilch und Butter hinzu, der Lama der Jurte giebt den Theeſegen, und man genießt heiß, ſiedend heiß. Der höfliche Mon- gole fordert Dich auf zu trinken, und Du thuſt wohl daran, denn auch nach warmen Tagen ſind die Nächte eiskalt.
Eine innere Welt gab’s nicht für mich, vielleicht gebrauchte ich ſolch ein vegetatives todtes Leben, da- mit Seele und Geiſt ſich von den Schlägen erhole. Jch ſuchte für nichts einen Zuſammenhang, weil mich aller Zuſammenhang ſo arg getäuſcht hatte, ſo habe ich denn auch nur Einzelnes geſehen, denn die Umgebung hat niemals mehr, als wir aufneh- men. — Wir reiſ’ten mit ſolchen Filzjurten, die wir des Nachts aufſchlugen, der Weg ging durch Steppen, ich erinnere mich eines trägen, öden Ge- dankens, der damals in mir herumklapperte: die Welt iſt lang, ſehr lang. Dann kamen Hügel und am Abhange eines ſolchen plötzlich eine Stadt mit Kirchthürmen und Kuppeln, wie ich ſie nie geſehn. Sie gehörten zu einem Fohitempel, und die Stadt hieß Kiachta. Gott iſt überall, und die Menſchen
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0108"n="100"/>
Chuſchir genannt wird, fügt Pferdemilch und Butter<lb/>
hinzu, der Lama der Jurte giebt den Theeſegen, und<lb/>
man genießt heiß, ſiedend heiß. Der höfliche Mon-<lb/>
gole fordert Dich auf zu trinken, und Du thuſt<lb/>
wohl daran, denn auch nach warmen Tagen ſind<lb/>
die Nächte eiskalt.</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><p>Eine innere Welt gab’s nicht für mich, vielleicht<lb/>
gebrauchte ich ſolch ein vegetatives todtes Leben, da-<lb/>
mit Seele und Geiſt ſich von den Schlägen erhole.<lb/>
Jch ſuchte für nichts einen Zuſammenhang, weil<lb/>
mich aller Zuſammenhang ſo arg getäuſcht hatte, ſo<lb/>
habe ich denn auch nur Einzelnes geſehen, denn<lb/>
die Umgebung hat niemals mehr, als wir aufneh-<lb/>
men. — Wir reiſ’ten mit ſolchen Filzjurten, die<lb/>
wir des Nachts aufſchlugen, der Weg ging durch<lb/>
Steppen, ich erinnere mich eines trägen, öden Ge-<lb/>
dankens, der damals in mir herumklapperte: die<lb/>
Welt iſt lang, ſehr lang. Dann kamen Hügel und<lb/>
am Abhange eines ſolchen plötzlich eine Stadt mit<lb/>
Kirchthürmen und Kuppeln, wie ich ſie nie geſehn.<lb/>
Sie gehörten zu einem Fohitempel, und die Stadt<lb/>
hieß Kiachta. Gott iſt überall, und die Menſchen<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[100/0108]
Chuſchir genannt wird, fügt Pferdemilch und Butter
hinzu, der Lama der Jurte giebt den Theeſegen, und
man genießt heiß, ſiedend heiß. Der höfliche Mon-
gole fordert Dich auf zu trinken, und Du thuſt
wohl daran, denn auch nach warmen Tagen ſind
die Nächte eiskalt.
Eine innere Welt gab’s nicht für mich, vielleicht
gebrauchte ich ſolch ein vegetatives todtes Leben, da-
mit Seele und Geiſt ſich von den Schlägen erhole.
Jch ſuchte für nichts einen Zuſammenhang, weil
mich aller Zuſammenhang ſo arg getäuſcht hatte, ſo
habe ich denn auch nur Einzelnes geſehen, denn
die Umgebung hat niemals mehr, als wir aufneh-
men. — Wir reiſ’ten mit ſolchen Filzjurten, die
wir des Nachts aufſchlugen, der Weg ging durch
Steppen, ich erinnere mich eines trägen, öden Ge-
dankens, der damals in mir herumklapperte: die
Welt iſt lang, ſehr lang. Dann kamen Hügel und
am Abhange eines ſolchen plötzlich eine Stadt mit
Kirchthürmen und Kuppeln, wie ich ſie nie geſehn.
Sie gehörten zu einem Fohitempel, und die Stadt
hieß Kiachta. Gott iſt überall, und die Menſchen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 3. Mannheim, 1837, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa03_1837/108>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.