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Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 3. Mannheim, 1837.

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Gedanken, keine Kollision gehabt, keine Wache, kein
Schließer achtete auf ihn! -- Die Zeit war von
peinigender Unruhe, wo ich auf den neuen Gefäng-
nißzustand, auf das neue Verfahren wartete, sie
war ganz überflüssig, förderte gar nicht zum Ende,
war ein unnützes Jnterregnum, und doch ein Ge-
fängniß. Sie dauerte wohl eine Woche, ich lechzte
nach der Veränderung, nach dem neuen Gefängnisse,
das Unbekannte schmeichelt mit tausend Möglichkeiten;
auch für die Flucht hoffte ich neuen, besseren An-
halt; so kam der letzte Abend und mit ihm ein
schweres Gewitter. So lange ich gefangen war,
hatte die Sonne geschienen, und dadurch war meine
Unruhe, meine Pein nur befördert worden: je locken-
der die Welt aussieht, desto schwerer ist das Ge-
fängniß. Jetzt, unter dem gießenden Regen, den
krachenden Donnerschlägen, den zuckenden Blitzen
mußte Jedermann im Zimmer bleiben, ich hatte
wieder eine gleiche Gemeinschaft mit der Welt, das
war beruhigend. Und welch ein Genuß für meinen
Privataberglauben war das Unwetter! Solche un-
gewöhnliche Erscheinung mußte einen großen Wechsel
in meinem Leben ankündigen; wer im Unglück nicht

Gedanken, keine Kolliſion gehabt, keine Wache, kein
Schließer achtete auf ihn! — Die Zeit war von
peinigender Unruhe, wo ich auf den neuen Gefäng-
nißzuſtand, auf das neue Verfahren wartete, ſie
war ganz überflüſſig, förderte gar nicht zum Ende,
war ein unnützes Jnterregnum, und doch ein Ge-
fängniß. Sie dauerte wohl eine Woche, ich lechzte
nach der Veränderung, nach dem neuen Gefängniſſe,
das Unbekannte ſchmeichelt mit tauſend Möglichkeiten;
auch für die Flucht hoffte ich neuen, beſſeren An-
halt; ſo kam der letzte Abend und mit ihm ein
ſchweres Gewitter. So lange ich gefangen war,
hatte die Sonne geſchienen, und dadurch war meine
Unruhe, meine Pein nur befördert worden: je locken-
der die Welt ausſieht, deſto ſchwerer iſt das Ge-
fängniß. Jetzt, unter dem gießenden Regen, den
krachenden Donnerſchlägen, den zuckenden Blitzen
mußte Jedermann im Zimmer bleiben, ich hatte
wieder eine gleiche Gemeinſchaft mit der Welt, das
war beruhigend. Und welch ein Genuß für meinen
Privataberglauben war das Unwetter! Solche un-
gewöhnliche Erſcheinung mußte einen großen Wechſel
in meinem Leben ankündigen; wer im Unglück nicht

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[110/0118] Gedanken, keine Kolliſion gehabt, keine Wache, kein Schließer achtete auf ihn! — Die Zeit war von peinigender Unruhe, wo ich auf den neuen Gefäng- nißzuſtand, auf das neue Verfahren wartete, ſie war ganz überflüſſig, förderte gar nicht zum Ende, war ein unnützes Jnterregnum, und doch ein Ge- fängniß. Sie dauerte wohl eine Woche, ich lechzte nach der Veränderung, nach dem neuen Gefängniſſe, das Unbekannte ſchmeichelt mit tauſend Möglichkeiten; auch für die Flucht hoffte ich neuen, beſſeren An- halt; ſo kam der letzte Abend und mit ihm ein ſchweres Gewitter. So lange ich gefangen war, hatte die Sonne geſchienen, und dadurch war meine Unruhe, meine Pein nur befördert worden: je locken- der die Welt ausſieht, deſto ſchwerer iſt das Ge- fängniß. Jetzt, unter dem gießenden Regen, den krachenden Donnerſchlägen, den zuckenden Blitzen mußte Jedermann im Zimmer bleiben, ich hatte wieder eine gleiche Gemeinſchaft mit der Welt, das war beruhigend. Und welch ein Genuß für meinen Privataberglauben war das Unwetter! Solche un- gewöhnliche Erſcheinung mußte einen großen Wechſel in meinem Leben ankündigen; wer im Unglück nicht

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Zitationshilfe: Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 3. Mannheim, 1837, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa03_1837/118>, abgerufen am 24.11.2024.