dreißig Fuß hoch, mit einem Erdwalle bedeckt war, überfielen ihn Zuckungen und Krämpfe, wenn Je- mand über den Wall schritt. Der Mann quälte mich sehr; ich fuhr zusammen vor den eignen Be- wegungen meines Arms oder Beines. Es war recht schlimm, und daß solch Leben endlos vor mir lag, ach und liegt, dies mochte wohl das Schlimmste sein; es scheidet sich schmerzhaft von Leben und Jugend, und wenn man obenein nicht zu der Ent- sagung kommt, wenn man nicht scheiden will, so leidet man sehr, sehr. -- Jch habe damals oft an das gedankenlos viel gebrauchte Bild des Prome- theus gedacht, und die Herzenskenntniß der Griechen bewundert; der gewaltige Mensch ist in erschreckende Einsamkeit an den Felsen geschmiedet, er, der die Menschen zusammenband gegen die Götter, ist ein- sam, starrt in's Unendliche, Leere, und an der Leber nagt ihm der Geier, gegen den er keine Abwehr, keine Waffe besitzt; ja wohl, an der Leber nagt der einsame Kerker, es wühlt und bohrt, und der stöhnende Seufzer ist eine Erleichterung.
dreißig Fuß hoch, mit einem Erdwalle bedeckt war, überfielen ihn Zuckungen und Krämpfe, wenn Je- mand über den Wall ſchritt. Der Mann quälte mich ſehr; ich fuhr zuſammen vor den eignen Be- wegungen meines Arms oder Beines. Es war recht ſchlimm, und daß ſolch Leben endlos vor mir lag, ach und liegt, dies mochte wohl das Schlimmſte ſein; es ſcheidet ſich ſchmerzhaft von Leben und Jugend, und wenn man obenein nicht zu der Ent- ſagung kommt, wenn man nicht ſcheiden will, ſo leidet man ſehr, ſehr. — Jch habe damals oft an das gedankenlos viel gebrauchte Bild des Prome- theus gedacht, und die Herzenskenntniß der Griechen bewundert; der gewaltige Menſch iſt in erſchreckende Einſamkeit an den Felſen geſchmiedet, er, der die Menſchen zuſammenband gegen die Götter, iſt ein- ſam, ſtarrt in’s Unendliche, Leere, und an der Leber nagt ihm der Geier, gegen den er keine Abwehr, keine Waffe beſitzt; ja wohl, an der Leber nagt der einſame Kerker, es wühlt und bohrt, und der ſtöhnende Seufzer iſt eine Erleichterung.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0124"n="116"/>
dreißig Fuß hoch, mit einem Erdwalle bedeckt war,<lb/>
überfielen ihn Zuckungen und Krämpfe, wenn Je-<lb/>
mand über den Wall ſchritt. Der Mann quälte<lb/>
mich ſehr; ich fuhr zuſammen vor den eignen Be-<lb/>
wegungen meines Arms oder Beines. Es war recht<lb/>ſchlimm, und daß ſolch Leben endlos vor mir lag,<lb/>
ach und liegt, dies mochte wohl das Schlimmſte<lb/>ſein; es ſcheidet ſich ſchmerzhaft von Leben und<lb/>
Jugend, und wenn man obenein nicht zu der Ent-<lb/>ſagung kommt, wenn man nicht ſcheiden will, ſo<lb/>
leidet man ſehr, ſehr. — Jch habe damals oft an<lb/>
das gedankenlos viel gebrauchte Bild des Prome-<lb/>
theus gedacht, und die Herzenskenntniß der Griechen<lb/>
bewundert; der gewaltige Menſch iſt in erſchreckende<lb/>
Einſamkeit an den Felſen geſchmiedet, er, der die<lb/>
Menſchen zuſammenband gegen die Götter, iſt ein-<lb/>ſam, ſtarrt in’s Unendliche, Leere, und an der Leber<lb/>
nagt ihm der Geier, gegen den er keine Abwehr,<lb/>
keine Waffe beſitzt; ja wohl, an der Leber nagt<lb/>
der einſame Kerker, es wühlt und bohrt, und der<lb/>ſtöhnende Seufzer iſt eine Erleichterung.</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/></div></div></body></text></TEI>
[116/0124]
dreißig Fuß hoch, mit einem Erdwalle bedeckt war,
überfielen ihn Zuckungen und Krämpfe, wenn Je-
mand über den Wall ſchritt. Der Mann quälte
mich ſehr; ich fuhr zuſammen vor den eignen Be-
wegungen meines Arms oder Beines. Es war recht
ſchlimm, und daß ſolch Leben endlos vor mir lag,
ach und liegt, dies mochte wohl das Schlimmſte
ſein; es ſcheidet ſich ſchmerzhaft von Leben und
Jugend, und wenn man obenein nicht zu der Ent-
ſagung kommt, wenn man nicht ſcheiden will, ſo
leidet man ſehr, ſehr. — Jch habe damals oft an
das gedankenlos viel gebrauchte Bild des Prome-
theus gedacht, und die Herzenskenntniß der Griechen
bewundert; der gewaltige Menſch iſt in erſchreckende
Einſamkeit an den Felſen geſchmiedet, er, der die
Menſchen zuſammenband gegen die Götter, iſt ein-
ſam, ſtarrt in’s Unendliche, Leere, und an der Leber
nagt ihm der Geier, gegen den er keine Abwehr,
keine Waffe beſitzt; ja wohl, an der Leber nagt
der einſame Kerker, es wühlt und bohrt, und der
ſtöhnende Seufzer iſt eine Erleichterung.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 3. Mannheim, 1837, S. 116. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa03_1837/124>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.