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Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 3. Mannheim, 1837.

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dreißig Fuß hoch, mit einem Erdwalle bedeckt war,
überfielen ihn Zuckungen und Krämpfe, wenn Je-
mand über den Wall schritt. Der Mann quälte
mich sehr; ich fuhr zusammen vor den eignen Be-
wegungen meines Arms oder Beines. Es war recht
schlimm, und daß solch Leben endlos vor mir lag,
ach und liegt, dies mochte wohl das Schlimmste
sein; es scheidet sich schmerzhaft von Leben und
Jugend, und wenn man obenein nicht zu der Ent-
sagung kommt, wenn man nicht scheiden will, so
leidet man sehr, sehr. -- Jch habe damals oft an
das gedankenlos viel gebrauchte Bild des Prome-
theus gedacht, und die Herzenskenntniß der Griechen
bewundert; der gewaltige Mensch ist in erschreckende
Einsamkeit an den Felsen geschmiedet, er, der die
Menschen zusammenband gegen die Götter, ist ein-
sam, starrt in's Unendliche, Leere, und an der Leber
nagt ihm der Geier, gegen den er keine Abwehr,
keine Waffe besitzt; ja wohl, an der Leber nagt
der einsame Kerker, es wühlt und bohrt, und der
stöhnende Seufzer ist eine Erleichterung.



dreißig Fuß hoch, mit einem Erdwalle bedeckt war,
überfielen ihn Zuckungen und Krämpfe, wenn Je-
mand über den Wall ſchritt. Der Mann quälte
mich ſehr; ich fuhr zuſammen vor den eignen Be-
wegungen meines Arms oder Beines. Es war recht
ſchlimm, und daß ſolch Leben endlos vor mir lag,
ach und liegt, dies mochte wohl das Schlimmſte
ſein; es ſcheidet ſich ſchmerzhaft von Leben und
Jugend, und wenn man obenein nicht zu der Ent-
ſagung kommt, wenn man nicht ſcheiden will, ſo
leidet man ſehr, ſehr. — Jch habe damals oft an
das gedankenlos viel gebrauchte Bild des Prome-
theus gedacht, und die Herzenskenntniß der Griechen
bewundert; der gewaltige Menſch iſt in erſchreckende
Einſamkeit an den Felſen geſchmiedet, er, der die
Menſchen zuſammenband gegen die Götter, iſt ein-
ſam, ſtarrt in’s Unendliche, Leere, und an der Leber
nagt ihm der Geier, gegen den er keine Abwehr,
keine Waffe beſitzt; ja wohl, an der Leber nagt
der einſame Kerker, es wühlt und bohrt, und der
ſtöhnende Seufzer iſt eine Erleichterung.



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[116/0124] dreißig Fuß hoch, mit einem Erdwalle bedeckt war, überfielen ihn Zuckungen und Krämpfe, wenn Je- mand über den Wall ſchritt. Der Mann quälte mich ſehr; ich fuhr zuſammen vor den eignen Be- wegungen meines Arms oder Beines. Es war recht ſchlimm, und daß ſolch Leben endlos vor mir lag, ach und liegt, dies mochte wohl das Schlimmſte ſein; es ſcheidet ſich ſchmerzhaft von Leben und Jugend, und wenn man obenein nicht zu der Ent- ſagung kommt, wenn man nicht ſcheiden will, ſo leidet man ſehr, ſehr. — Jch habe damals oft an das gedankenlos viel gebrauchte Bild des Prome- theus gedacht, und die Herzenskenntniß der Griechen bewundert; der gewaltige Menſch iſt in erſchreckende Einſamkeit an den Felſen geſchmiedet, er, der die Menſchen zuſammenband gegen die Götter, iſt ein- ſam, ſtarrt in’s Unendliche, Leere, und an der Leber nagt ihm der Geier, gegen den er keine Abwehr, keine Waffe beſitzt; ja wohl, an der Leber nagt der einſame Kerker, es wühlt und bohrt, und der ſtöhnende Seufzer iſt eine Erleichterung.

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Zitationshilfe: Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 3. Mannheim, 1837, S. 116. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa03_1837/124>, abgerufen am 21.11.2024.