zend begann ich, denn die Stimme rostet in diesem Mangel aller Uebung völlig. "Ruhe da!" schrie die Wache unter dem Fenster, die Wache auf dem Korridor -- ich hielt mich für verloren. Aber wahr- scheinlich hatten mich just die Wachen gerettet, der Zorn wachte auf und er fand leicht seinen Stoff, so wurde der Heißhunger nach Gedanken für den gefährlichen Augenblick beschwichtigt. -- Jhr wißt es gar nicht da draußen, was Jhr habt, wenn Jhr Euch über Mangel oder Langeweile beschwert; Eure Thür ist offen, Eure Fenster sind's ebenfalls, Jhr seht Menschen, Jhr seht Thiere, wenn Eure Ge- danken gähnen, was wißt Jhr von Leid! Wenn Euer Leben stocken will, denkt an das schreckliche Nichts eines Gefängnisses!
Hat denn nicht der menschliche Geist Kraft genug in sich, ohne Anknüpfung und äußere Mittel zu bestehen? Jst der meine so besonders schwach? Ein riesenmäßiges Gedächtniß wenigstens mag nöthig sein; allerdings producirt mein Geist unablässig, aber weil das Geschaffene auf keine Weise nach außen hin Erscheinung und Gestalt empfangen kann, verwirrt
zend begann ich, denn die Stimme roſtet in dieſem Mangel aller Uebung völlig. „Ruhe da!“ ſchrie die Wache unter dem Fenſter, die Wache auf dem Korridor — ich hielt mich für verloren. Aber wahr- ſcheinlich hatten mich juſt die Wachen gerettet, der Zorn wachte auf und er fand leicht ſeinen Stoff, ſo wurde der Heißhunger nach Gedanken für den gefährlichen Augenblick beſchwichtigt. — Jhr wißt es gar nicht da draußen, was Jhr habt, wenn Jhr Euch über Mangel oder Langeweile beſchwert; Eure Thür iſt offen, Eure Fenſter ſind’s ebenfalls, Jhr ſeht Menſchen, Jhr ſeht Thiere, wenn Eure Ge- danken gähnen, was wißt Jhr von Leid! Wenn Euer Leben ſtocken will, denkt an das ſchreckliche Nichts eines Gefängniſſes!
Hat denn nicht der menſchliche Geiſt Kraft genug in ſich, ohne Anknüpfung und äußere Mittel zu beſtehen? Jſt der meine ſo beſonders ſchwach? Ein rieſenmäßiges Gedächtniß wenigſtens mag nöthig ſein; allerdings producirt mein Geiſt unabläſſig, aber weil das Geſchaffene auf keine Weiſe nach außen hin Erſcheinung und Geſtalt empfangen kann, verwirrt
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0128"n="120"/>
zend begann ich, denn die Stimme roſtet in dieſem<lb/>
Mangel aller Uebung völlig. „Ruhe da!“ſchrie<lb/>
die Wache unter dem Fenſter, die Wache auf dem<lb/>
Korridor — ich hielt mich für verloren. Aber wahr-<lb/>ſcheinlich hatten mich juſt die Wachen gerettet, der<lb/>
Zorn wachte auf und er fand leicht ſeinen Stoff,<lb/>ſo wurde der Heißhunger nach Gedanken für den<lb/>
gefährlichen Augenblick beſchwichtigt. — Jhr wißt<lb/>
es gar nicht da draußen, was Jhr habt, wenn Jhr<lb/>
Euch über Mangel oder Langeweile beſchwert; Eure<lb/>
Thür iſt offen, Eure Fenſter ſind’s ebenfalls, Jhr<lb/>ſeht Menſchen, Jhr ſeht Thiere, wenn Eure Ge-<lb/>
danken gähnen, was wißt Jhr von Leid! Wenn<lb/>
Euer Leben ſtocken will, denkt an das ſchreckliche<lb/>
Nichts eines Gefängniſſes!</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><p>Hat denn nicht der menſchliche Geiſt Kraft genug<lb/>
in ſich, ohne Anknüpfung und äußere Mittel zu<lb/>
beſtehen? Jſt der meine ſo beſonders ſchwach? Ein<lb/>
rieſenmäßiges Gedächtniß wenigſtens mag nöthig ſein;<lb/>
allerdings producirt mein Geiſt unabläſſig, aber weil<lb/>
das Geſchaffene auf keine Weiſe nach außen hin<lb/>
Erſcheinung und Geſtalt empfangen kann, verwirrt<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[120/0128]
zend begann ich, denn die Stimme roſtet in dieſem
Mangel aller Uebung völlig. „Ruhe da!“ ſchrie
die Wache unter dem Fenſter, die Wache auf dem
Korridor — ich hielt mich für verloren. Aber wahr-
ſcheinlich hatten mich juſt die Wachen gerettet, der
Zorn wachte auf und er fand leicht ſeinen Stoff,
ſo wurde der Heißhunger nach Gedanken für den
gefährlichen Augenblick beſchwichtigt. — Jhr wißt
es gar nicht da draußen, was Jhr habt, wenn Jhr
Euch über Mangel oder Langeweile beſchwert; Eure
Thür iſt offen, Eure Fenſter ſind’s ebenfalls, Jhr
ſeht Menſchen, Jhr ſeht Thiere, wenn Eure Ge-
danken gähnen, was wißt Jhr von Leid! Wenn
Euer Leben ſtocken will, denkt an das ſchreckliche
Nichts eines Gefängniſſes!
Hat denn nicht der menſchliche Geiſt Kraft genug
in ſich, ohne Anknüpfung und äußere Mittel zu
beſtehen? Jſt der meine ſo beſonders ſchwach? Ein
rieſenmäßiges Gedächtniß wenigſtens mag nöthig ſein;
allerdings producirt mein Geiſt unabläſſig, aber weil
das Geſchaffene auf keine Weiſe nach außen hin
Erſcheinung und Geſtalt empfangen kann, verwirrt
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Laube, Heinrich: Das junge Europa. Bd. 3. Mannheim, 1837, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laube_europa03_1837/128>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.