gern kennen lernte. Im Hessenkasselschen hatte ich hierzu vorzüglich Gelegenheit. Ich merkte es gar zu genau, daß ich in ein Land kam, wo ziemlich über- spannte Grundsätze herrschten. Die Bauern waren durchaus arme Leute, und eben damals hatte der verstorbene Landgraf seine Unterthanen nach Amerika verhandelt. Da liefen einem die halbnackten Kin- der nach, baten um ein Allmosen, und klagten, daß ihre Väter nach Amerika geschickt wären, und daß ihre armen verlaßnen Mütter und ihre alten abge- lebten Großväter das Land bauen müßten. Das war ein trauriger Anblick! Dergleichen empört tau- sendmal mehr, als alle sogenannten aufrührerischen Schriften: jenes ergreift und erschüttert das Herz; diese beschäftigen meist blos den Kopf. Aber von diesen will man nichts wissen, um jenes desto unge- stöhrter treiben zu können -- wie wenn es nicht weit aufrührerischer wäre, aufrührerisch zu regieren, als aufrührerisch zu schreiben, zumal, da dieses größ- tentheils eine Folge von jenem ist! Ist das conse- quent? -- Ist es im Ganzen klug, den Thurm- hütern und Nachtwächtern das Lärmenmachen über Brand und Einbruch zu verbieten? Heißt das für das öffentliche Wohl besorgt seyn? -- Einsichtige, väterliche Regenten denken hierbei weit vernünftiger: man überdenke die Regierung Friedrichs des Einzigen! --
gern kennen lernte. Im Heſſenkaſſelſchen hatte ich hierzu vorzuͤglich Gelegenheit. Ich merkte es gar zu genau, daß ich in ein Land kam, wo ziemlich uͤber- ſpannte Grundſaͤtze herrſchten. Die Bauern waren durchaus arme Leute, und eben damals hatte der verſtorbene Landgraf ſeine Unterthanen nach Amerika verhandelt. Da liefen einem die halbnackten Kin- der nach, baten um ein Allmoſen, und klagten, daß ihre Vaͤter nach Amerika geſchickt waͤren, und daß ihre armen verlaßnen Muͤtter und ihre alten abge- lebten Großvaͤter das Land bauen muͤßten. Das war ein trauriger Anblick! Dergleichen empoͤrt tau- ſendmal mehr, als alle ſogenannten aufruͤhreriſchen Schriften: jenes ergreift und erſchuͤttert das Herz; dieſe beſchaͤftigen meiſt blos den Kopf. Aber von dieſen will man nichts wiſſen, um jenes deſto unge- ſtoͤhrter treiben zu koͤnnen — wie wenn es nicht weit aufruͤhreriſcher waͤre, aufruͤhreriſch zu regieren, als aufruͤhreriſch zu ſchreiben, zumal, da dieſes groͤß- tentheils eine Folge von jenem iſt! Iſt das conſe- quent? — Iſt es im Ganzen klug, den Thurm- huͤtern und Nachtwaͤchtern das Laͤrmenmachen uͤber Brand und Einbruch zu verbieten? Heißt das fuͤr das oͤffentliche Wohl beſorgt ſeyn? — Einſichtige, vaͤterliche Regenten denken hierbei weit vernuͤnftiger: man uͤberdenke die Regierung Friedrichs des Einzigen! —
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gern kennen lernte. Im Heſſenkaſſelſchen hatte ich
hierzu vorzuͤglich Gelegenheit. Ich merkte es gar zu
genau, daß ich in ein Land kam, wo ziemlich uͤber-
ſpannte Grundſaͤtze herrſchten. Die Bauern waren
durchaus arme Leute, und eben damals hatte der
verſtorbene Landgraf ſeine Unterthanen nach Amerika
verhandelt. Da liefen einem die halbnackten Kin-
der nach, baten um ein Allmoſen, und klagten, daß
ihre Vaͤter nach Amerika geſchickt waͤren, und daß
ihre armen verlaßnen Muͤtter und ihre alten abge-
lebten Großvaͤter das Land bauen muͤßten. Das
war ein trauriger Anblick! Dergleichen empoͤrt tau-
ſendmal mehr, als alle ſogenannten aufruͤhreriſchen
Schriften: jenes ergreift und erſchuͤttert das Herz;
dieſe beſchaͤftigen meiſt blos den Kopf. Aber von
dieſen will man nichts wiſſen, um jenes deſto unge-
ſtoͤhrter treiben zu koͤnnen — wie wenn es nicht weit
aufruͤhreriſcher waͤre, aufruͤhreriſch zu regieren, als
aufruͤhreriſch zu ſchreiben, zumal, da dieſes groͤß-
tentheils eine Folge von jenem iſt! Iſt das conſe-
quent? — Iſt es im Ganzen klug, den Thurm-
huͤtern und Nachtwaͤchtern das Laͤrmenmachen uͤber
Brand und Einbruch zu verbieten? Heißt das fuͤr
das oͤffentliche Wohl beſorgt ſeyn? — Einſichtige,
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Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 1. Halle, 1792, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben01_1792/202>, abgerufen am 18.10.2024.
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