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Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 1. Halle, 1792.

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meine Seele gekommen. Ich überzeugte mich gleich-
sam mit mathematischer Gewißheiß: daß Geheim-
nisse nicht einmal der Gegenstand des Glaubens seyn
können: daß sie als unbegreifliche Dinge, den Wil-
len nicht bestimmen, und folglich die Moralität
nicht befördern helfen: daß sie vielmehr eine Mis-
stimmung in dem Gebrauch unsrer Vorstellungskraft
hervorbringen, den gesunden Menschenverstand noth-
züchtigen, und den Weg zum Wahn und Aberglau-
ben bahnen: daß eben darum Jesus und die Apo-
stel dergleichen auch nicht gelehrt haben; sondern blos
natürliche Religion, hier und da geschmückt mit Bil-
dern aus der ältern orientalischen Bildersprache,
woraus hernach die finstere hierarchische christliche
Kirchenparthei solche Raritäten, wie die Geheimnisse
sind, gebildet, und zu Glaubensartikeln erhoben hat:
daß die moralische Religion, wie die Einsicht der
Menschen, eines stäten Fortschrittes und folglich der
Verbesserung fähig sey: daß es also gar nicht nöthig,
ja pflichtwidrig sey, bei den Lehren des neuen Te-
staments und den kirchlichen Bestimmungen darüber
stehen zu bleiben: daß eben dies Buch nur localen
und temporellen Werth gehabt habe, und der Ethik
des Aristoteles, den Pflichtbüchern des Cicero, und
andern moralischen Schriften der sogenannten Heiden
nachstehen müsse. -- Das war so das Resultat von
meiner Lectüre der Tindalischen Schrift. Ich habe

meine Seele gekommen. Ich uͤberzeugte mich gleich-
ſam mit mathematiſcher Gewißheiß: daß Geheim-
niſſe nicht einmal der Gegenſtand des Glaubens ſeyn
koͤnnen: daß ſie als unbegreifliche Dinge, den Wil-
len nicht beſtimmen, und folglich die Moralitaͤt
nicht befoͤrdern helfen: daß ſie vielmehr eine Mis-
ſtimmung in dem Gebrauch unſrer Vorſtellungskraft
hervorbringen, den geſunden Menſchenverſtand noth-
zuͤchtigen, und den Weg zum Wahn und Aberglau-
ben bahnen: daß eben darum Jeſus und die Apo-
ſtel dergleichen auch nicht gelehrt haben; ſondern blos
natuͤrliche Religion, hier und da geſchmuͤckt mit Bil-
dern aus der aͤltern orientaliſchen Bilderſprache,
woraus hernach die finſtere hierarchiſche chriſtliche
Kirchenparthei ſolche Raritaͤten, wie die Geheimniſſe
ſind, gebildet, und zu Glaubensartikeln erhoben hat:
daß die moraliſche Religion, wie die Einſicht der
Menſchen, eines ſtaͤten Fortſchrittes und folglich der
Verbeſſerung faͤhig ſey: daß es alſo gar nicht noͤthig,
ja pflichtwidrig ſey, bei den Lehren des neuen Te-
ſtaments und den kirchlichen Beſtimmungen daruͤber
ſtehen zu bleiben: daß eben dies Buch nur localen
und temporellen Werth gehabt habe, und der Ethik
des Ariſtoteles, den Pflichtbuͤchern des Cicero, und
andern moraliſchen Schriften der ſogenannten Heiden
nachſtehen muͤſſe. — Das war ſo das Reſultat von
meiner Lectuͤre der Tindaliſchen Schrift. Ich habe

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[204/0218] meine Seele gekommen. Ich uͤberzeugte mich gleich- ſam mit mathematiſcher Gewißheiß: daß Geheim- niſſe nicht einmal der Gegenſtand des Glaubens ſeyn koͤnnen: daß ſie als unbegreifliche Dinge, den Wil- len nicht beſtimmen, und folglich die Moralitaͤt nicht befoͤrdern helfen: daß ſie vielmehr eine Mis- ſtimmung in dem Gebrauch unſrer Vorſtellungskraft hervorbringen, den geſunden Menſchenverſtand noth- zuͤchtigen, und den Weg zum Wahn und Aberglau- ben bahnen: daß eben darum Jeſus und die Apo- ſtel dergleichen auch nicht gelehrt haben; ſondern blos natuͤrliche Religion, hier und da geſchmuͤckt mit Bil- dern aus der aͤltern orientaliſchen Bilderſprache, woraus hernach die finſtere hierarchiſche chriſtliche Kirchenparthei ſolche Raritaͤten, wie die Geheimniſſe ſind, gebildet, und zu Glaubensartikeln erhoben hat: daß die moraliſche Religion, wie die Einſicht der Menſchen, eines ſtaͤten Fortſchrittes und folglich der Verbeſſerung faͤhig ſey: daß es alſo gar nicht noͤthig, ja pflichtwidrig ſey, bei den Lehren des neuen Te- ſtaments und den kirchlichen Beſtimmungen daruͤber ſtehen zu bleiben: daß eben dies Buch nur localen und temporellen Werth gehabt habe, und der Ethik des Ariſtoteles, den Pflichtbuͤchern des Cicero, und andern moraliſchen Schriften der ſogenannten Heiden nachſtehen muͤſſe. — Das war ſo das Reſultat von meiner Lectuͤre der Tindaliſchen Schrift. Ich habe

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Zitationshilfe: Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 1. Halle, 1792, S. 204. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben01_1792/218>, abgerufen am 22.05.2024.