storbene gelehrte Professor Z*** zu Berlin, hatte ihn vortreflich unterrichtet. Er las die besten Aus- gaben der klassischen Schriftsteller mit der größten Emsigkeit. Er machte viele Noten über das, was er las; und die Noten waren immer sehr treffend, besser als die, welche große Philologen über die alten Schriftsteller hinzugiessen gewohnt sind. Aber ich will ja der Gelehrsamkeit meines redlichen Z*** keine Lobrede halten! die vermuthet doch niemand in einem Kapitel, das so eine Ueberschrift trägt, wie das meinige! Z*** war ein Ohnesorg und zog sich nicht eher an, als bis er ausgehen wollte, und er ging nur alle drei oder vier Tage einmal aus. Er saß da ohne Beinkleider in der warmen Stube, und zeigte sich nicht selten in puris naturalibus. Wenn nun Ein Narre ist, so machen gleich ihrer zehn die Thorheit nach, und so ging es auch hier: die Ge- wohnheit, sich nicht anzuziehen, riß im ganzen Sem- lerischen Hause ein -- mich ausgenommen: denn an dieser Säuerei fand ich trotz meiner zotologischen Ideen doch keinen Geschmack. Semler selbst erfuhr es, und ermahnte mich, diesem Unwesen Einhalt zu thun, und das Rauhe heraus zu kehren. Ich thats zum Theil; aber die Hosen wurden noch nicht ange- zogen. Da schrieb uns Semler in lateinischer Spra- che: er wundre sich sehr, wie Leute, quorum alii bonas litteras discere se dicerent, quidam et
ſtorbene gelehrte Profeſſor Z*** zu Berlin, hatte ihn vortreflich unterrichtet. Er las die beſten Aus- gaben der klaſſiſchen Schriftſteller mit der groͤßten Emſigkeit. Er machte viele Noten uͤber das, was er las; und die Noten waren immer ſehr treffend, beſſer als die, welche große Philologen uͤber die alten Schriftſteller hinzugieſſen gewohnt ſind. Aber ich will ja der Gelehrſamkeit meines redlichen Z*** keine Lobrede halten! die vermuthet doch niemand in einem Kapitel, das ſo eine Ueberſchrift traͤgt, wie das meinige! Z*** war ein Ohneſorg und zog ſich nicht eher an, als bis er ausgehen wollte, und er ging nur alle drei oder vier Tage einmal aus. Er ſaß da ohne Beinkleider in der warmen Stube, und zeigte ſich nicht ſelten in puris naturalibus. Wenn nun Ein Narre iſt, ſo machen gleich ihrer zehn die Thorheit nach, und ſo ging es auch hier: die Ge- wohnheit, ſich nicht anzuziehen, riß im ganzen Sem- leriſchen Hauſe ein — mich ausgenommen: denn an dieſer Saͤuerei fand ich trotz meiner zotologiſchen Ideen doch keinen Geſchmack. Semler ſelbſt erfuhr es, und ermahnte mich, dieſem Unweſen Einhalt zu thun, und das Rauhe heraus zu kehren. Ich thats zum Theil; aber die Hoſen wurden noch nicht ange- zogen. Da ſchrieb uns Semler in lateiniſcher Spra- che: er wundre ſich ſehr, wie Leute, quorum alii bonas litteras diſcere ſe dicerent, quidam et
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ſtorbene gelehrte Profeſſor Z*** zu Berlin, hatte
ihn vortreflich unterrichtet. Er las die beſten Aus-
gaben der klaſſiſchen Schriftſteller mit der groͤßten
Emſigkeit. Er machte viele Noten uͤber das, was
er las; und die Noten waren immer ſehr treffend,
beſſer als die, welche große Philologen uͤber die alten
Schriftſteller hinzugieſſen gewohnt ſind. Aber ich
will ja der Gelehrſamkeit meines redlichen Z***
keine Lobrede halten! die vermuthet doch niemand
in einem Kapitel, das ſo eine Ueberſchrift traͤgt, wie
das meinige! Z*** war ein Ohneſorg und zog ſich
nicht eher an, als bis er ausgehen wollte, und er
ging nur alle drei oder vier Tage einmal aus. Er
ſaß da ohne Beinkleider in der warmen Stube, und
zeigte ſich nicht ſelten in puris naturalibus. Wenn
nun Ein Narre iſt, ſo machen gleich ihrer zehn die
Thorheit nach, und ſo ging es auch hier: die Ge-
wohnheit, ſich nicht anzuziehen, riß im ganzen Sem-
leriſchen Hauſe ein — mich ausgenommen: denn an
dieſer Saͤuerei fand ich trotz meiner zotologiſchen
Ideen doch keinen Geſchmack. Semler ſelbſt erfuhr
es, und ermahnte mich, dieſem Unweſen Einhalt zu
thun, und das Rauhe heraus zu kehren. Ich thats
zum Theil; aber die Hoſen wurden noch nicht ange-
zogen. Da ſchrieb uns Semler in lateiniſcher Spra-
che: er wundre ſich ſehr, wie Leute, quorum alii
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Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 2. Halle, 1792, S. 189. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben02_1792/191>, abgerufen am 21.11.2024.
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