mich dünkt, unwidersprechlich: Daß Religion oder Religiösität erzwingen wollen, gerade das Mittel sey, sie vollends zu untergraben. --
Des Predigers Pflicht wäre es allerdings, dar- auf zu sehen, daß niemand mit Gewalt ihm zuhören dürfte. Um aber dies zu bewirken, müßte der größte Theil dieser Herren das Geschick haben, moralische Wahrheiten so gemeinverständlich, bündig und schön, [ - 2 Zeichen fehlen] hinreissend vorzutragen, wie vor Zeiten De- mosthenes und Cicero politische vortrugen. Wer zwang hier jemanden, diesen zuzuhören? Jeder, auch der gemeinste Mann, drang sich von selbst hin- zu, horchte, begriff und folgte. Der Vortrag hatte Interesse für Alle! War das aber zu der Zeit mög- lich: warum nicht auch noch jezt -- wenn wir näm- lich nur auch noch jezt solche Redner und Rednerfrei- heit hätten, wie man sie damals hatte? Das ist in- deß der Knoten! Hätten jene Fürsten der Redner vorschriftsmäßig unnützes, unbegreifliches Zeug her- faseln müssen: würde der einsichtigere Theil ihrer Mitbürger ihr Zuhörer geworden seyn? Würden die Herren Redner nicht sich und ihr Fach verächtlich ge- macht haben? -- Hätten sie hingegen gemeinnützige Wahrheiten schwülstig oder schwerbegreiflich vorge- tragen: würde der gemeine Mann nicht aus Furcht vor Langerweile weggeblieben seyn? -- Also hübsch den Mittelweg gegangen wie jene, aber ja praktisch,
mich duͤnkt, unwiderſprechlich: Daß Religion oder Religioͤſitaͤt erzwingen wollen, gerade das Mittel ſey, ſie vollends zu untergraben. —
Des Predigers Pflicht waͤre es allerdings, dar- auf zu ſehen, daß niemand mit Gewalt ihm zuhoͤren duͤrfte. Um aber dies zu bewirken, muͤßte der groͤßte Theil dieſer Herren das Geſchick haben, moraliſche Wahrheiten ſo gemeinverſtaͤndlich, buͤndig und ſchoͤn, [ – 2 Zeichen fehlen] hinreiſſend vorzutragen, wie vor Zeiten De- moſthenes und Cicero politiſche vortrugen. Wer zwang hier jemanden, dieſen zuzuhoͤren? Jeder, auch der gemeinſte Mann, drang ſich von ſelbſt hin- zu, horchte, begriff und folgte. Der Vortrag hatte Intereſſe fuͤr Alle! War das aber zu der Zeit moͤg- lich: warum nicht auch noch jezt — wenn wir naͤm- lich nur auch noch jezt ſolche Redner und Rednerfrei- heit haͤtten, wie man ſie damals hatte? Das iſt in- deß der Knoten! Haͤtten jene Fuͤrſten der Redner vorſchriftsmaͤßig unnuͤtzes, unbegreifliches Zeug her- faſeln muͤſſen: wuͤrde der einſichtigere Theil ihrer Mitbuͤrger ihr Zuhoͤrer geworden ſeyn? Wuͤrden die Herren Redner nicht ſich und ihr Fach veraͤchtlich ge- macht haben? — Haͤtten ſie hingegen gemeinnuͤtzige Wahrheiten ſchwuͤlſtig oder ſchwerbegreiflich vorge- tragen: wuͤrde der gemeine Mann nicht aus Furcht vor Langerweile weggeblieben ſeyn? — Alſo huͤbſch den Mittelweg gegangen wie jene, aber ja praktiſch,
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0373"n="369[371]"/>
mich duͤnkt, unwiderſprechlich: Daß Religion oder<lb/>
Religioͤſitaͤt <hirendition="#g">erzwingen</hi> wollen, gerade das Mittel<lb/>ſey, ſie vollends zu untergraben. —</p><lb/><p>Des Predigers Pflicht waͤre es allerdings, dar-<lb/>
auf zu ſehen, daß niemand mit Gewalt ihm zuhoͤren<lb/>
duͤrfte. Um aber dies zu bewirken, muͤßte der groͤßte<lb/>
Theil dieſer Herren das Geſchick haben, moraliſche<lb/>
Wahrheiten ſo gemeinverſtaͤndlich, buͤndig und ſchoͤn,<lb/><gapunit="chars"quantity="2"/> hinreiſſend vorzutragen, wie vor Zeiten <hirendition="#g">De</hi>-<lb/><hirendition="#g">moſthenes</hi> und <hirendition="#g">Cicero</hi> politiſche vortrugen. Wer<lb/>
zwang hier jemanden, dieſen zuzuhoͤren? Jeder,<lb/>
auch der gemeinſte Mann, drang ſich von ſelbſt hin-<lb/>
zu, horchte, begriff und folgte. Der Vortrag hatte<lb/>
Intereſſe fuͤr Alle! War das aber zu der Zeit moͤg-<lb/>
lich: warum nicht auch noch jezt — wenn wir naͤm-<lb/>
lich nur auch noch jezt ſolche Redner und Rednerfrei-<lb/>
heit haͤtten, wie man ſie damals hatte? Das iſt in-<lb/>
deß der Knoten! Haͤtten jene Fuͤrſten der Redner<lb/>
vorſchriftsmaͤßig unnuͤtzes, unbegreifliches Zeug her-<lb/>
faſeln muͤſſen: wuͤrde der einſichtigere Theil ihrer<lb/>
Mitbuͤrger ihr Zuhoͤrer geworden ſeyn? Wuͤrden die<lb/>
Herren Redner nicht ſich und ihr Fach veraͤchtlich ge-<lb/>
macht haben? — Haͤtten ſie hingegen gemeinnuͤtzige<lb/>
Wahrheiten ſchwuͤlſtig oder ſchwerbegreiflich vorge-<lb/>
tragen: wuͤrde der gemeine Mann nicht aus Furcht<lb/>
vor Langerweile weggeblieben ſeyn? — Alſo huͤbſch<lb/>
den Mittelweg gegangen wie jene, aber ja praktiſch,<lb/></p></div></body></text></TEI>
[369[371]/0373]
mich duͤnkt, unwiderſprechlich: Daß Religion oder
Religioͤſitaͤt erzwingen wollen, gerade das Mittel
ſey, ſie vollends zu untergraben. —
Des Predigers Pflicht waͤre es allerdings, dar-
auf zu ſehen, daß niemand mit Gewalt ihm zuhoͤren
duͤrfte. Um aber dies zu bewirken, muͤßte der groͤßte
Theil dieſer Herren das Geſchick haben, moraliſche
Wahrheiten ſo gemeinverſtaͤndlich, buͤndig und ſchoͤn,
__ hinreiſſend vorzutragen, wie vor Zeiten De-
moſthenes und Cicero politiſche vortrugen. Wer
zwang hier jemanden, dieſen zuzuhoͤren? Jeder,
auch der gemeinſte Mann, drang ſich von ſelbſt hin-
zu, horchte, begriff und folgte. Der Vortrag hatte
Intereſſe fuͤr Alle! War das aber zu der Zeit moͤg-
lich: warum nicht auch noch jezt — wenn wir naͤm-
lich nur auch noch jezt ſolche Redner und Rednerfrei-
heit haͤtten, wie man ſie damals hatte? Das iſt in-
deß der Knoten! Haͤtten jene Fuͤrſten der Redner
vorſchriftsmaͤßig unnuͤtzes, unbegreifliches Zeug her-
faſeln muͤſſen: wuͤrde der einſichtigere Theil ihrer
Mitbuͤrger ihr Zuhoͤrer geworden ſeyn? Wuͤrden die
Herren Redner nicht ſich und ihr Fach veraͤchtlich ge-
macht haben? — Haͤtten ſie hingegen gemeinnuͤtzige
Wahrheiten ſchwuͤlſtig oder ſchwerbegreiflich vorge-
tragen: wuͤrde der gemeine Mann nicht aus Furcht
vor Langerweile weggeblieben ſeyn? — Alſo huͤbſch
den Mittelweg gegangen wie jene, aber ja praktiſch,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 2. Halle, 1792, S. 369[371]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben02_1792/373>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.