Saufen war, und wenigstens vier Bouteillen recht guten Bechtheimer vertragen konnte, ohne mich zu übernehmen. Als ich vor einigen Jahren wieder in der Pfalz war, glaubte ich noch eben die Fertigkeit im Weintrinken zu haben, die ich vor Zeiten darin gehabt hatte; allein ich irrte mich. Denn ohner- achtet ich kaum halb so viel Wein zu mir genommen hatte, als ich sonst ohne merkliche Veränderung mei- nes Gehirns vertragen konnte, fing ich doch an zu wanken und mußte aufhören. Also auch garstige, un- anständige Fertigkeiten vermindern und verliehren sich durch Mangel an Uebung.
Meine Mutter war die Zeit über ganz unthä- thig gewesen. Sie hatte oft über meine Ausschwei- fungen geseufzt und geweint, mir auch dann und wann gelinde Vorwürfe gemacht; aber ihre Stimme war viel zu schwach, als daß ich auf sie hätte hören sollen. Meine Tante verstand vollends von Men- schenbildung und Lenkung nichts, und war schon zu- frieden, wenn ich nur heiter war und ihr die Zeit verplaudern half. Sie sah nicht ein, daß eigentlich sie den ersten Grund zu meinem moralischen Verder- ben gelegt und dadurch den Keim meines künftigen Glücks wurmstichig gemacht hatte. Ich habe ihr zwar deswegen nie Vorwürfe gemacht, und mache ihr dergleichen noch jezt nicht: sie hat es gut gemeint. Allein ihre wenige Erfahrung, verbunden mit ihrem
Saufen war, und wenigſtens vier Bouteillen recht guten Bechtheimer vertragen konnte, ohne mich zu uͤbernehmen. Als ich vor einigen Jahren wieder in der Pfalz war, glaubte ich noch eben die Fertigkeit im Weintrinken zu haben, die ich vor Zeiten darin gehabt hatte; allein ich irrte mich. Denn ohner- achtet ich kaum halb ſo viel Wein zu mir genommen hatte, als ich ſonſt ohne merkliche Veraͤnderung mei- nes Gehirns vertragen konnte, fing ich doch an zu wanken und mußte aufhoͤren. Alſo auch garſtige, un- anſtaͤndige Fertigkeiten vermindern und verliehren ſich durch Mangel an Uebung.
Meine Mutter war die Zeit uͤber ganz unthaͤ- thig geweſen. Sie hatte oft uͤber meine Ausſchwei- fungen geſeufzt und geweint, mir auch dann und wann gelinde Vorwuͤrfe gemacht; aber ihre Stimme war viel zu ſchwach, als daß ich auf ſie haͤtte hoͤren ſollen. Meine Tante verſtand vollends von Men- ſchenbildung und Lenkung nichts, und war ſchon zu- frieden, wenn ich nur heiter war und ihr die Zeit verplaudern half. Sie ſah nicht ein, daß eigentlich ſie den erſten Grund zu meinem moraliſchen Verder- ben gelegt und dadurch den Keim meines kuͤnftigen Gluͤcks wurmſtichig gemacht hatte. Ich habe ihr zwar deswegen nie Vorwuͤrfe gemacht, und mache ihr dergleichen noch jezt nicht: ſie hat es gut gemeint. Allein ihre wenige Erfahrung, verbunden mit ihrem
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Saufen war, und wenigſtens vier Bouteillen recht
guten Bechtheimer vertragen konnte, ohne mich zu
uͤbernehmen. Als ich vor einigen Jahren wieder in
der Pfalz war, glaubte ich noch eben die Fertigkeit
im Weintrinken zu haben, die ich vor Zeiten darin
gehabt hatte; allein ich irrte mich. Denn ohner-
achtet ich kaum halb ſo viel Wein zu mir genommen
hatte, als ich ſonſt ohne merkliche Veraͤnderung mei-
nes Gehirns vertragen konnte, fing ich doch an zu
wanken und mußte aufhoͤren. Alſo auch garſtige, un-
anſtaͤndige Fertigkeiten vermindern und verliehren ſich
durch Mangel an Uebung.
Meine Mutter war die Zeit uͤber ganz unthaͤ-
thig geweſen. Sie hatte oft uͤber meine Ausſchwei-
fungen geſeufzt und geweint, mir auch dann und
wann gelinde Vorwuͤrfe gemacht; aber ihre Stimme
war viel zu ſchwach, als daß ich auf ſie haͤtte hoͤren
ſollen. Meine Tante verſtand vollends von Men-
ſchenbildung und Lenkung nichts, und war ſchon zu-
frieden, wenn ich nur heiter war und ihr die Zeit
verplaudern half. Sie ſah nicht ein, daß eigentlich
ſie den erſten Grund zu meinem moraliſchen Verder-
ben gelegt und dadurch den Keim meines kuͤnftigen
Gluͤcks wurmſtichig gemacht hatte. Ich habe ihr
zwar deswegen nie Vorwuͤrfe gemacht, und mache
ihr dergleichen noch jezt nicht: ſie hat es gut gemeint.
Allein ihre wenige Erfahrung, verbunden mit ihrem
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Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 2. Halle, 1792, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben02_1792/80>, abgerufen am 21.11.2024.
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