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Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 3. Leipzig, 1796.

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welche, zur Zeit der französischen Domination,
derselben das Wort gesprochen hatten. Aber was
half das denen, die einmal schon eingezogen und
in Verh[ - 3 Zeichen fehlen] waren! Diese mußten ihr elendes Leben
im Ker[ - 2 Zeichen fehlen] hinziehen, Schuldige und Unschuldige,
sogar Weber mit Kindern. Aus allen Gegenden
zusammengeschleppt, aufeinander gehäuft, und
wie Todte der Vergessenheit übergeben, schrieen
sie endlich, nach vier Monaten, um das erste
Gebot der Gerechtigkeit für Gefangene -- um Un-
tersuchung und Verhör. Ihre Gesundheit war durch
die elende Arrestantenkost, durch den Mangel an
Bewegung, die Plagen des Ungeziefers, und
durch die noch zehnmal härtern Qualen des Kum-
mers um Weib und Kinder und zerrüttete Nah-
rung langsam zernagt: und nun die ansteckenden
Seuchen bey der durch die zusammengesperrte Menge
vergifteten Luft! -- Ihr Zustand war mehr als
schrecklich, aber der Gedanke an den Zustand ihrer
verwaisten Familien, welche in der Verzweiflung
die Hände wund rangen und vergebens nach ihren
Nährern seufzten, war noch schrecklicher. Und
doch nach vier Monaten noch immer kein Verhör!
"Die Gerechtigkeit, schrieen sie, ist die erste Stütze
des Staats. Gerechtigkeit gehört nicht allein dem
Schuldigen zur Strafe, sie gehört vorzüglich dem
Unschuldigen zum Schutze. Aber ohne Untersu-

welche, zur Zeit der franzoͤſiſchen Domination,
derſelben das Wort geſprochen hatten. Aber was
half das denen, die einmal ſchon eingezogen und
in Verh[ – 3 Zeichen fehlen] waren! Dieſe mußten ihr elendes Leben
im Ker[ – 2 Zeichen fehlen] hinziehen, Schuldige und Unſchuldige,
ſogar Weber mit Kindern. Aus allen Gegenden
zuſammengeſchleppt, aufeinander gehaͤuft, und
wie Todte der Vergeſſenheit uͤbergeben, ſchrieen
ſie endlich, nach vier Monaten, um das erſte
Gebot der Gerechtigkeit fuͤr Gefangene — um Un-
terſuchung und Verhoͤr. Ihre Geſundheit war durch
die elende Arreſtantenkoſt, durch den Mangel an
Bewegung, die Plagen des Ungeziefers, und
durch die noch zehnmal haͤrtern Qualen des Kum-
mers um Weib und Kinder und zerruͤttete Nah-
rung langſam zernagt: und nun die anſteckenden
Seuchen bey der durch die zuſammengeſperrte Menge
vergifteten Luft! — Ihr Zuſtand war mehr als
ſchrecklich, aber der Gedanke an den Zuſtand ihrer
verwaisten Familien, welche in der Verzweiflung
die Haͤnde wund rangen und vergebens nach ihren
Naͤhrern ſeufzten, war noch ſchrecklicher. Und
doch nach vier Monaten noch immer kein Verhoͤr!
„Die Gerechtigkeit, ſchrieen ſie, iſt die erſte Stuͤtze
des Staats. Gerechtigkeit gehoͤrt nicht allein dem
Schuldigen zur Strafe, ſie gehoͤrt vorzuͤglich dem
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[472/0484] welche, zur Zeit der franzoͤſiſchen Domination, derſelben das Wort geſprochen hatten. Aber was half das denen, die einmal ſchon eingezogen und in Verh___ waren! Dieſe mußten ihr elendes Leben im Ker__ hinziehen, Schuldige und Unſchuldige, ſogar Weber mit Kindern. Aus allen Gegenden zuſammengeſchleppt, aufeinander gehaͤuft, und wie Todte der Vergeſſenheit uͤbergeben, ſchrieen ſie endlich, nach vier Monaten, um das erſte Gebot der Gerechtigkeit fuͤr Gefangene — um Un- terſuchung und Verhoͤr. Ihre Geſundheit war durch die elende Arreſtantenkoſt, durch den Mangel an Bewegung, die Plagen des Ungeziefers, und durch die noch zehnmal haͤrtern Qualen des Kum- mers um Weib und Kinder und zerruͤttete Nah- rung langſam zernagt: und nun die anſteckenden Seuchen bey der durch die zuſammengeſperrte Menge vergifteten Luft! — Ihr Zuſtand war mehr als ſchrecklich, aber der Gedanke an den Zuſtand ihrer verwaisten Familien, welche in der Verzweiflung die Haͤnde wund rangen und vergebens nach ihren Naͤhrern ſeufzten, war noch ſchrecklicher. Und doch nach vier Monaten noch immer kein Verhoͤr! „Die Gerechtigkeit, ſchrieen ſie, iſt die erſte Stuͤtze des Staats. Gerechtigkeit gehoͤrt nicht allein dem Schuldigen zur Strafe, ſie gehoͤrt vorzuͤglich dem Unſchuldigen zum Schutze. Aber ohne Unterſu-

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Zitationshilfe: Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 3. Leipzig, 1796, S. 472. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben03_1796/484>, abgerufen am 13.06.2024.