funden. Und dennoch scheint es allein diese Idee zu seyn, von welcher man ausgehen muß, wenn je ein System der deutschen Staaten zu Stande kommen, und -- die einzelnen Fürsten sich nicht mehr durch unverständigen Eigennutz selbst zu Grun- de richten sollen. -- In Deutschland bringt die kleinste Veränderung die größten Unordnungen her- vor." Das haben wir in diesem Kriege, leider, gefühlt, ohne aber endlich eben so klug geworden zu seyn als Preußen. Indeß, wenn es uns an Männern fehlte, welche ganz Deutschland in sta- tistischer Rücksicht hätten übersehen, würdigen und einrichten können: wo sollten wir die Staats- männer gefunden haben, welche Frankreichs Macht- und Kraftverhältniß gegen Deutschland genau ab- gewogen, und dadurch Deutschlands Gewinn oder Verlust von daher bestimmt hätten! Wir hatten sie nicht, und darum machten wir, nach unserm dum- men und plumpen Stolz, unsere Rechnung überall ohne den Wirth. Unsere Zeche sieht aber jezt enorm und blutig genug danach aus! -- *)
*) Die Wahrheit dieser Behauptung erhält Bestätigung durch folgende Anekdote. Der Kurfürst von Kölln geht vor einigen Tagen -- wie man in Halle jezt erzählt -- einfach geklei- det, aus einem Thore zu Leipzig, in Begleitung einiger der dortigen Honoratioren. Die Schildwache erkennt ihn nicht, und macht ihm also auch nicht die sonst gewöhnlichen Hon- neurs. Einer aus der Begleitung macht die Wache unbemerkt
funden. Und dennoch ſcheint es allein dieſe Idee zu ſeyn, von welcher man ausgehen muß, wenn je ein Syſtem der deutſchen Staaten zu Stande kommen, und — die einzelnen Fuͤrſten ſich nicht mehr durch unverſtaͤndigen Eigennutz ſelbſt zu Grun- de richten ſollen. — In Deutſchland bringt die kleinſte Veraͤnderung die groͤßten Unordnungen her- vor.“ Das haben wir in dieſem Kriege, leider, gefuͤhlt, ohne aber endlich eben ſo klug geworden zu ſeyn als Preußen. Indeß, wenn es uns an Maͤnnern fehlte, welche ganz Deutſchland in ſta- tiſtiſcher Ruͤckſicht haͤtten uͤberſehen, wuͤrdigen und einrichten koͤnnen: wo ſollten wir die Staats- maͤnner gefunden haben, welche Frankreichs Macht- und Kraftverhaͤltniß gegen Deutſchland genau ab- gewogen, und dadurch Deutſchlands Gewinn oder Verluſt von daher beſtimmt haͤtten! Wir hatten ſie nicht, und darum machten wir, nach unſerm dum- men und plumpen Stolz, unſere Rechnung uͤberall ohne den Wirth. Unſere Zeche ſieht aber jezt enorm und blutig genug danach aus! — *)
*) Die Wahrheit dieſer Behauptung erhaͤlt Beſtaͤtigung durch folgende Anekdote. Der Kurfuͤrſt von Koͤlln geht vor einigen Tagen — wie man in Halle jezt erzaͤhlt — einfach geklei- det, aus einem Thore zu Leipzig, in Begleitung einiger der dortigen Honoratioren. Die Schildwache erkennt ihn nicht, und macht ihm alſo auch nicht die ſonſt gewoͤhnlichen Hon- neurs. Einer aus der Begleitung macht die Wache unbemerkt
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0487"n="475"/>
funden. Und dennoch ſcheint es allein dieſe Idee<lb/>
zu ſeyn, von welcher man ausgehen muß, wenn<lb/>
je ein Syſtem der deutſchen Staaten zu Stande<lb/>
kommen, und — die einzelnen Fuͤrſten ſich nicht<lb/>
mehr durch unverſtaͤndigen Eigennutz ſelbſt zu Grun-<lb/>
de richten ſollen. — In Deutſchland bringt die<lb/>
kleinſte Veraͤnderung die groͤßten Unordnungen her-<lb/>
vor.“ Das haben wir in dieſem Kriege, leider,<lb/>
gefuͤhlt, ohne aber endlich eben ſo klug geworden<lb/>
zu ſeyn als Preußen. Indeß, wenn es uns an<lb/>
Maͤnnern fehlte, welche ganz Deutſchland in ſta-<lb/>
tiſtiſcher Ruͤckſicht haͤtten uͤberſehen, wuͤrdigen und<lb/>
einrichten koͤnnen: wo ſollten wir <hirendition="#g">die</hi> Staats-<lb/>
maͤnner gefunden haben, welche Frankreichs Macht-<lb/>
und Kraftverhaͤltniß gegen Deutſchland genau ab-<lb/>
gewogen, und dadurch Deutſchlands Gewinn oder<lb/>
Verluſt von daher beſtimmt haͤtten! Wir hatten ſie<lb/>
nicht, und darum machten wir, nach unſerm dum-<lb/>
men und plumpen Stolz, unſere Rechnung uͤberall<lb/>
ohne den Wirth. Unſere Zeche ſieht aber jezt enorm<lb/>
und blutig genug danach aus! —<notexml:id="note-0487"next="#note-0488"place="foot"n="*)">Die Wahrheit dieſer Behauptung erhaͤlt Beſtaͤtigung durch<lb/>
folgende Anekdote. Der Kurfuͤrſt von Koͤlln geht vor einigen<lb/>
Tagen — wie man in Halle jezt erzaͤhlt — einfach geklei-<lb/>
det, aus einem Thore zu Leipzig, in Begleitung einiger der<lb/>
dortigen Honoratioren. Die Schildwache erkennt ihn nicht,<lb/>
und macht ihm alſo auch nicht die ſonſt gewoͤhnlichen Hon-<lb/>
neurs. Einer aus der Begleitung macht die Wache unbemerkt</note></p><lb/></div></body></text></TEI>
[475/0487]
funden. Und dennoch ſcheint es allein dieſe Idee
zu ſeyn, von welcher man ausgehen muß, wenn
je ein Syſtem der deutſchen Staaten zu Stande
kommen, und — die einzelnen Fuͤrſten ſich nicht
mehr durch unverſtaͤndigen Eigennutz ſelbſt zu Grun-
de richten ſollen. — In Deutſchland bringt die
kleinſte Veraͤnderung die groͤßten Unordnungen her-
vor.“ Das haben wir in dieſem Kriege, leider,
gefuͤhlt, ohne aber endlich eben ſo klug geworden
zu ſeyn als Preußen. Indeß, wenn es uns an
Maͤnnern fehlte, welche ganz Deutſchland in ſta-
tiſtiſcher Ruͤckſicht haͤtten uͤberſehen, wuͤrdigen und
einrichten koͤnnen: wo ſollten wir die Staats-
maͤnner gefunden haben, welche Frankreichs Macht-
und Kraftverhaͤltniß gegen Deutſchland genau ab-
gewogen, und dadurch Deutſchlands Gewinn oder
Verluſt von daher beſtimmt haͤtten! Wir hatten ſie
nicht, und darum machten wir, nach unſerm dum-
men und plumpen Stolz, unſere Rechnung uͤberall
ohne den Wirth. Unſere Zeche ſieht aber jezt enorm
und blutig genug danach aus! — *)
*) Die Wahrheit dieſer Behauptung erhaͤlt Beſtaͤtigung durch
folgende Anekdote. Der Kurfuͤrſt von Koͤlln geht vor einigen
Tagen — wie man in Halle jezt erzaͤhlt — einfach geklei-
det, aus einem Thore zu Leipzig, in Begleitung einiger der
dortigen Honoratioren. Die Schildwache erkennt ihn nicht,
und macht ihm alſo auch nicht die ſonſt gewoͤhnlichen Hon-
neurs. Einer aus der Begleitung macht die Wache unbemerkt
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 3. Leipzig, 1796, S. 475. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben03_1796/487>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.