Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 4,1. Leipzig, 1797.

Bild:
<< vorherige Seite
Ei, sprach Alcest getröstet zu sich selber:
Die Stadt bestehet ohne Guvernöhr,
Das Reich bestehet ohne Kaiser, selbst
Die Christenheit bestehet ohne Papst:
Die Herren sind uns also überflüßig!

Man sieht überall, daß Schneider jeder
Art von Darstellung gewiß mehr, als sonst einer
in Strasburg, gewachsen war: und eben darum
hätten seine Gegner die Klugheit haben sollen, sei-
nen republikanischen Patriotismus nicht bis zum
vulkanischen Ausbruch zu reizen. An Materie da-
zu, fehlte es ihm, als Philosophen und scharfen
Beobachter, durchaus nicht, und als Redner und
Dichter, an Form noch weniger. Denker fesselte
er durch Gründe, die er durch Action und Decla-
mation eindringend zu beleben wußte; und durch
Satyren oder Erzählungen gewann er den Lacher
und das Volk. Die bitterste, die er je schrieb, ist:
Die Municipalitätswahl zu Abdera.
Er schrieb sie -- und das kann man ihm kaum ver-
zeihen -- auf den gefangnen Dietrich, *) und

*) Dietrich, der die arme Stadt Strasburg, durch sei-
nen gränzlosen Ehrgeiz und durch übelangelegte, aber noch
schlechter ausgeführte Plane, in soviel Unglück gestürzt hatte,
flüchtete endlich von Strasburg, und war am Ende thörigt
genug, von selbst zurück zu kehren. Alles fiel nun über ihn
her, und man zog ihn gefänglich ein. Sein Proceß und seine
Hinrichtung sind bekannt.
Ei, ſprach Alceſt getroͤſtet zu ſich ſelber:
Die Stadt beſtehet ohne Guvernoͤhr,
Das Reich beſtehet ohne Kaiſer, ſelbſt
Die Chriſtenheit beſtehet ohne Papſt:
Die Herren ſind uns alſo uͤberfluͤßig!

Man ſieht uͤberall, daß Schneider jeder
Art von Darſtellung gewiß mehr, als ſonſt einer
in Strasburg, gewachſen war: und eben darum
haͤtten ſeine Gegner die Klugheit haben ſollen, ſei-
nen republikaniſchen Patriotismus nicht bis zum
vulkaniſchen Ausbruch zu reizen. An Materie da-
zu, fehlte es ihm, als Philoſophen und ſcharfen
Beobachter, durchaus nicht, und als Redner und
Dichter, an Form noch weniger. Denker feſſelte
er durch Gruͤnde, die er durch Action und Decla-
mation eindringend zu beleben wußte; und durch
Satyren oder Erzaͤhlungen gewann er den Lacher
und das Volk. Die bitterſte, die er je ſchrieb, iſt:
Die Municipalitaͤtswahl zu Abdera.
Er ſchrieb ſie — und das kann man ihm kaum ver-
zeihen — auf den gefangnen Dietrich, *) und

*) Dietrich, der die arme Stadt Strasburg, durch ſei-
nen gränzloſen Ehrgeiz und durch übelangelegte, aber noch
ſchlechter ausgeführte Plane, in ſoviel Unglück geſtürzt hatte,
flüchtete endlich von Strasburg, und war am Ende thörigt
genug, von ſelbſt zurück zu kehren. Alles fiel nun über ihn
her, und man zog ihn gefänglich ein. Sein Proceß und ſeine
Hinrichtung ſind bekannt.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <lg type="poem">
          <pb facs="#f0227" n="223"/>
          <lg n="8">
            <l>Ei, &#x017F;prach Alce&#x017F;t getro&#x0364;&#x017F;tet zu &#x017F;ich &#x017F;elber:</l><lb/>
            <l>Die Stadt be&#x017F;tehet ohne Guverno&#x0364;hr,</l><lb/>
            <l>Das Reich be&#x017F;tehet ohne Kai&#x017F;er, &#x017F;elb&#x017F;t</l><lb/>
            <l>Die Chri&#x017F;tenheit be&#x017F;tehet ohne Pap&#x017F;t:</l><lb/>
            <l>Die Herren &#x017F;ind uns al&#x017F;o u&#x0364;berflu&#x0364;ßig!</l>
          </lg>
        </lg><lb/>
        <p>Man &#x017F;ieht u&#x0364;berall, daß <hi rendition="#g">Schneider</hi> jeder<lb/>
Art von Dar&#x017F;tellung gewiß mehr, als &#x017F;on&#x017F;t einer<lb/>
in Strasburg, gewach&#x017F;en war: und eben darum<lb/>
ha&#x0364;tten &#x017F;eine Gegner die Klugheit haben &#x017F;ollen, &#x017F;ei-<lb/>
nen republikani&#x017F;chen Patriotismus nicht bis zum<lb/>
vulkani&#x017F;chen Ausbruch zu reizen. An Materie da-<lb/>
zu, fehlte es ihm, als Philo&#x017F;ophen und &#x017F;charfen<lb/>
Beobachter, durchaus nicht, und als Redner und<lb/>
Dichter, an Form noch weniger. Denker fe&#x017F;&#x017F;elte<lb/>
er durch Gru&#x0364;nde, die er durch Action und Decla-<lb/>
mation eindringend zu beleben wußte; und durch<lb/>
Satyren oder Erza&#x0364;hlungen gewann er den Lacher<lb/>
und das Volk. Die bitter&#x017F;te, die er je &#x017F;chrieb, i&#x017F;t:<lb/><hi rendition="#g">Die Municipalita&#x0364;tswahl zu Abdera</hi>.<lb/>
Er &#x017F;chrieb &#x017F;ie &#x2014; und das kann man ihm kaum ver-<lb/>
zeihen &#x2014; auf den gefangnen <hi rendition="#g">Dietrich</hi>, <note place="foot" n="*)"><hi rendition="#g">Dietrich</hi>, der die arme Stadt <hi rendition="#g">Strasburg</hi>, durch &#x017F;ei-<lb/>
nen gränzlo&#x017F;en Ehrgeiz und durch übelangelegte, aber noch<lb/>
&#x017F;chlechter ausgeführte Plane, in &#x017F;oviel Unglück ge&#x017F;türzt hatte,<lb/>
flüchtete endlich von Strasburg, und war am Ende thörigt<lb/>
genug, von &#x017F;elb&#x017F;t zurück zu kehren. Alles fiel nun über ihn<lb/>
her, und man zog ihn gefänglich ein. Sein Proceß und &#x017F;eine<lb/>
Hinrichtung &#x017F;ind bekannt.</note> und<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[223/0227] Ei, ſprach Alceſt getroͤſtet zu ſich ſelber: Die Stadt beſtehet ohne Guvernoͤhr, Das Reich beſtehet ohne Kaiſer, ſelbſt Die Chriſtenheit beſtehet ohne Papſt: Die Herren ſind uns alſo uͤberfluͤßig! Man ſieht uͤberall, daß Schneider jeder Art von Darſtellung gewiß mehr, als ſonſt einer in Strasburg, gewachſen war: und eben darum haͤtten ſeine Gegner die Klugheit haben ſollen, ſei- nen republikaniſchen Patriotismus nicht bis zum vulkaniſchen Ausbruch zu reizen. An Materie da- zu, fehlte es ihm, als Philoſophen und ſcharfen Beobachter, durchaus nicht, und als Redner und Dichter, an Form noch weniger. Denker feſſelte er durch Gruͤnde, die er durch Action und Decla- mation eindringend zu beleben wußte; und durch Satyren oder Erzaͤhlungen gewann er den Lacher und das Volk. Die bitterſte, die er je ſchrieb, iſt: Die Municipalitaͤtswahl zu Abdera. Er ſchrieb ſie — und das kann man ihm kaum ver- zeihen — auf den gefangnen Dietrich, *) und *) Dietrich, der die arme Stadt Strasburg, durch ſei- nen gränzloſen Ehrgeiz und durch übelangelegte, aber noch ſchlechter ausgeführte Plane, in ſoviel Unglück geſtürzt hatte, flüchtete endlich von Strasburg, und war am Ende thörigt genug, von ſelbſt zurück zu kehren. Alles fiel nun über ihn her, und man zog ihn gefänglich ein. Sein Proceß und ſeine Hinrichtung ſind bekannt.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben0401_1797
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben0401_1797/227
Zitationshilfe: Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 4,1. Leipzig, 1797, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben0401_1797/227>, abgerufen am 27.11.2024.