Da ich eben auch keine Lust hatte, meinen eignen Glauben, den Lamm-Mamsellen zu Gefallen, zum Scheine weiter zu widerlegen: so ließ ich alles ge- hen, wie es ging, und hörte den theils gröbern, theils feinern Sarkasmen Manches dieser Spötter nicht ohne Theilnahme und ganz gelassen zu: Denn die Verspottung der heiligen Fratzen halte ich schon lange für eine Art von Genugthuung -- dafür, daß man die Denk- und Preß[f]r[e]yheit ursprünglich und hauptsächlich um ihrentwillen beschränkt und verfolgt hat.
Ueberhaupt merkte ich nicht nur hier, sondern fast in allen Städten Frankreichs, in welchen ich gewesen bin, ein Ideen-Commerz, das mich oft in Erstaunen sezte. Die mehrsten hatte man, wie die Meisten, die ich darüber befragte, mich versi- cherten, schon vor der Revolution in Geheim für sich g[es]ammelt, und dieß um so gieriger, je stren- ger man die Bücher verboth, worin sie vorkamen. Und so ist es auch hier wahr, daß jedes Bücher- verboth mehr schadet, als nützet. Läßt man je- des Buch seinen Weg ungehindert wandern: so wird der geringste Theil des Publikums es seiner Aufmerksamkeit kaum werth halten; im umgekehr- ten Falle -- der größte. Ueberdieß, enthält ein Buch Irrthümer, auch gefährliche, und cirkulirt es frey und frank: so kommen diese desto eher und
Da ich eben auch keine Luſt hatte, meinen eignen Glauben, den Lamm-Mamſellen zu Gefallen, zum Scheine weiter zu widerlegen: ſo ließ ich alles ge- hen, wie es ging, und hoͤrte den theils groͤbern, theils feinern Sarkasmen Manches dieſer Spoͤtter nicht ohne Theilnahme und ganz gelaſſen zu: Denn die Verſpottung der heiligen Fratzen halte ich ſchon lange fuͤr eine Art von Genugthuung — dafuͤr, daß man die Denk- und Preß[f]r[e]yheit urſpruͤnglich und hauptſaͤchlich um ihrentwillen beſchraͤnkt und verfolgt hat.
Ueberhaupt merkte ich nicht nur hier, ſondern faſt in allen Staͤdten Frankreichs, in welchen ich geweſen bin, ein Ideen-Commerz, das mich oft in Erſtaunen ſezte. Die mehrſten hatte man, wie die Meiſten, die ich daruͤber befragte, mich verſi- cherten, ſchon vor der Revolution in Geheim fuͤr ſich g[eſ]ammelt, und dieß um ſo gieriger, je ſtren- ger man die Buͤcher verboth, worin ſie vorkamen. Und ſo iſt es auch hier wahr, daß jedes Buͤcher- verboth mehr ſchadet, als nuͤtzet. Laͤßt man je- des Buch ſeinen Weg ungehindert wandern: ſo wird der geringſte Theil des Publikums es ſeiner Aufmerkſamkeit kaum werth halten; im umgekehr- ten Falle — der groͤßte. Ueberdieß, enthaͤlt ein Buch Irrthuͤmer, auch gefaͤhrliche, und cirkulirt es frey und frank: ſo kommen dieſe deſto eher und
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0061"n="57"/>
Da ich eben auch keine Luſt hatte, meinen eignen<lb/>
Glauben, den Lamm-Mamſellen zu Gefallen, zum<lb/>
Scheine weiter zu widerlegen: ſo ließ ich alles ge-<lb/>
hen, wie es ging, und hoͤrte den theils groͤbern,<lb/>
theils feinern Sarkasmen Manches dieſer Spoͤtter<lb/>
nicht ohne Theilnahme und ganz gelaſſen zu: Denn<lb/>
die Verſpottung der heiligen Fratzen halte ich ſchon<lb/>
lange fuͤr eine Art von Genugthuung — dafuͤr,<lb/>
daß man die Denk- und Preß<supplied>f</supplied>r<supplied>e</supplied>yheit urſpruͤnglich<lb/>
und hauptſaͤchlich um ihrentwillen beſchraͤnkt und<lb/>
verfolgt hat.</p><lb/><p>Ueberhaupt merkte ich nicht nur hier, ſondern<lb/>
faſt in allen Staͤdten Frankreichs, in welchen ich<lb/>
geweſen bin, ein Ideen-Commerz, das mich oft<lb/>
in Erſtaunen ſezte. Die mehrſten hatte man, wie<lb/>
die Meiſten, die ich daruͤber befragte, mich verſi-<lb/>
cherten, ſchon vor der Revolution in Geheim fuͤr<lb/>ſich g<supplied>eſ</supplied>ammelt, und dieß um ſo gieriger, je ſtren-<lb/>
ger man die Buͤcher verboth, worin ſie vorkamen.<lb/>
Und ſo iſt es auch hier wahr, daß jedes Buͤcher-<lb/>
verboth mehr ſchadet, als nuͤtzet. Laͤßt man je-<lb/>
des Buch ſeinen Weg ungehindert wandern: ſo<lb/>
wird der geringſte Theil des Publikums es ſeiner<lb/>
Aufmerkſamkeit kaum werth halten; im umgekehr-<lb/>
ten Falle — der groͤßte. Ueberdieß, enthaͤlt ein<lb/>
Buch Irrthuͤmer, auch gefaͤhrliche, und cirkulirt<lb/>
es frey und frank: ſo kommen dieſe deſto eher und<lb/></p></div></body></text></TEI>
[57/0061]
Da ich eben auch keine Luſt hatte, meinen eignen
Glauben, den Lamm-Mamſellen zu Gefallen, zum
Scheine weiter zu widerlegen: ſo ließ ich alles ge-
hen, wie es ging, und hoͤrte den theils groͤbern,
theils feinern Sarkasmen Manches dieſer Spoͤtter
nicht ohne Theilnahme und ganz gelaſſen zu: Denn
die Verſpottung der heiligen Fratzen halte ich ſchon
lange fuͤr eine Art von Genugthuung — dafuͤr,
daß man die Denk- und Preßfreyheit urſpruͤnglich
und hauptſaͤchlich um ihrentwillen beſchraͤnkt und
verfolgt hat.
Ueberhaupt merkte ich nicht nur hier, ſondern
faſt in allen Staͤdten Frankreichs, in welchen ich
geweſen bin, ein Ideen-Commerz, das mich oft
in Erſtaunen ſezte. Die mehrſten hatte man, wie
die Meiſten, die ich daruͤber befragte, mich verſi-
cherten, ſchon vor der Revolution in Geheim fuͤr
ſich geſammelt, und dieß um ſo gieriger, je ſtren-
ger man die Buͤcher verboth, worin ſie vorkamen.
Und ſo iſt es auch hier wahr, daß jedes Buͤcher-
verboth mehr ſchadet, als nuͤtzet. Laͤßt man je-
des Buch ſeinen Weg ungehindert wandern: ſo
wird der geringſte Theil des Publikums es ſeiner
Aufmerkſamkeit kaum werth halten; im umgekehr-
ten Falle — der groͤßte. Ueberdieß, enthaͤlt ein
Buch Irrthuͤmer, auch gefaͤhrliche, und cirkulirt
es frey und frank: ſo kommen dieſe deſto eher und
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 4,1. Leipzig, 1797, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben0401_1797/61>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.