deutschen Offizieren noch nicht fortsetzen konnte. Der Kriegskommissär war zwar mit meiner Ortho- graphie zufrieden, aber meine Handschrift gefiel ihm nicht; er konnte mich also nur zum Abschrei- ben, und dann und wann zum Koncipiren brau- chen: was aber leserlich rein geschrieben seyn mußte, war immer das Werk des G[r]effier's.
Zu eben der Zeit lernte ich einen Mann kennen, welcher das Karmeliterkloster nebst deren Kirche an sich gekauft hatte, und gleich niederreißen ließ. Ich unterzog mich der Arbeit, die heiligen Mauern und Pfeiler mit niederzuwerfen, erhielt dafür täg- lich einmal zu essen, und 50 Sous in Papier, und stand mich dadurch so gut, als man sich in meinen damaligen Umständen stehen konnte. Wenn ich so auf einem Pfeiler stand, und die großen Quader- steine losbrach, fiel mir oft der heilige Simon Stylites ein, welcher ehedem -- wie man be- richtet -- so viele Jahre hinter einander auf einer Säule gestanden ist. Da machte ich dann einen Vergleich zwischen jenem geduldigen Heiligen und mir Unheiligen, und fand so viel Verschiedenheit, daß ich oft selbst überlaut lachen mußte. --
Am Ende jeder Dekade wurden wir ausgezahlt: jeder erhielt alsdann 22 Livres 10 Sous, und so war ich immer im Stande, nicht nur zu bezahlen, was ich indessen geborgt hatte, sondern es blieb
deutſchen Offizieren noch nicht fortſetzen konnte. Der Kriegskommiſſaͤr war zwar mit meiner Ortho- graphie zufrieden, aber meine Handſchrift gefiel ihm nicht; er konnte mich alſo nur zum Abſchrei- ben, und dann und wann zum Koncipiren brau- chen: was aber leſerlich rein geſchrieben ſeyn mußte, war immer das Werk des G[r]effier's.
Zu eben der Zeit lernte ich einen Mann kennen, welcher das Karmeliterkloſter nebſt deren Kirche an ſich gekauft hatte, und gleich niederreißen ließ. Ich unterzog mich der Arbeit, die heiligen Mauern und Pfeiler mit niederzuwerfen, erhielt dafuͤr taͤg- lich einmal zu eſſen, und 50 Sous in Papier, und ſtand mich dadurch ſo gut, als man ſich in meinen damaligen Umſtaͤnden ſtehen konnte. Wenn ich ſo auf einem Pfeiler ſtand, und die großen Quader- ſteine losbrach, fiel mir oft der heilige Simon Stylites ein, welcher ehedem — wie man be- richtet — ſo viele Jahre hinter einander auf einer Saͤule geſtanden iſt. Da machte ich dann einen Vergleich zwiſchen jenem geduldigen Heiligen und mir Unheiligen, und fand ſo viel Verſchiedenheit, daß ich oft ſelbſt uͤberlaut lachen mußte. —
Am Ende jeder Dekade wurden wir ausgezahlt: jeder erhielt alsdann 22 Livres 10 Sous, und ſo war ich immer im Stande, nicht nur zu bezahlen, was ich indeſſen geborgt hatte, ſondern es blieb
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0119"n="115"/>
deutſchen Offizieren noch nicht fortſetzen konnte.<lb/>
Der Kriegskommiſſaͤr war zwar mit meiner Ortho-<lb/>
graphie zufrieden, aber meine Handſchrift gefiel<lb/>
ihm nicht; er konnte mich alſo nur zum Abſchrei-<lb/>
ben, und dann und wann zum Koncipiren brau-<lb/>
chen: was aber leſerlich rein geſchrieben ſeyn mußte,<lb/>
war immer das Werk des G<supplied>r</supplied>effier's.</p><lb/><p>Zu eben der Zeit lernte ich einen Mann kennen,<lb/>
welcher das Karmeliterkloſter nebſt deren Kirche an<lb/>ſich gekauft hatte, und gleich niederreißen ließ.<lb/>
Ich unterzog mich der Arbeit, die heiligen Mauern<lb/>
und Pfeiler mit niederzuwerfen, erhielt dafuͤr taͤg-<lb/>
lich einmal zu eſſen, und 50 Sous in Papier, und<lb/>ſtand mich dadurch ſo gut, als man ſich in meinen<lb/>
damaligen Umſtaͤnden ſtehen konnte. Wenn ich ſo<lb/>
auf einem Pfeiler ſtand, und die großen Quader-<lb/>ſteine losbrach, fiel mir oft der heilige <hirendition="#g">Simon<lb/>
Stylites</hi> ein, welcher ehedem — wie man be-<lb/>
richtet —ſo viele Jahre hinter einander auf einer<lb/>
Saͤule geſtanden iſt. Da machte ich dann einen<lb/>
Vergleich zwiſchen jenem geduldigen Heiligen und<lb/>
mir Unheiligen, und fand ſo viel Verſchiedenheit,<lb/>
daß ich oft ſelbſt uͤberlaut lachen mußte. —</p><lb/><p>Am Ende jeder Dekade wurden wir ausgezahlt:<lb/>
jeder erhielt alsdann 22 Livres 10 Sous, und ſo<lb/>
war ich immer im Stande, nicht nur zu bezahlen,<lb/>
was ich indeſſen geborgt hatte, ſondern es blieb<lb/></p></div></body></text></TEI>
[115/0119]
deutſchen Offizieren noch nicht fortſetzen konnte.
Der Kriegskommiſſaͤr war zwar mit meiner Ortho-
graphie zufrieden, aber meine Handſchrift gefiel
ihm nicht; er konnte mich alſo nur zum Abſchrei-
ben, und dann und wann zum Koncipiren brau-
chen: was aber leſerlich rein geſchrieben ſeyn mußte,
war immer das Werk des Greffier's.
Zu eben der Zeit lernte ich einen Mann kennen,
welcher das Karmeliterkloſter nebſt deren Kirche an
ſich gekauft hatte, und gleich niederreißen ließ.
Ich unterzog mich der Arbeit, die heiligen Mauern
und Pfeiler mit niederzuwerfen, erhielt dafuͤr taͤg-
lich einmal zu eſſen, und 50 Sous in Papier, und
ſtand mich dadurch ſo gut, als man ſich in meinen
damaligen Umſtaͤnden ſtehen konnte. Wenn ich ſo
auf einem Pfeiler ſtand, und die großen Quader-
ſteine losbrach, fiel mir oft der heilige Simon
Stylites ein, welcher ehedem — wie man be-
richtet — ſo viele Jahre hinter einander auf einer
Saͤule geſtanden iſt. Da machte ich dann einen
Vergleich zwiſchen jenem geduldigen Heiligen und
mir Unheiligen, und fand ſo viel Verſchiedenheit,
daß ich oft ſelbſt uͤberlaut lachen mußte. —
Am Ende jeder Dekade wurden wir ausgezahlt:
jeder erhielt alsdann 22 Livres 10 Sous, und ſo
war ich immer im Stande, nicht nur zu bezahlen,
was ich indeſſen geborgt hatte, ſondern es blieb
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 4,2. Leipzig, 1797, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben0402_1797/119>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.