und woran ich mit unter besondern Antheil gehabt hatte. Dornensteeg und mehrere, die es hörten, daß noch historische Reliquien da waren, ersuchten mich, dieselben bey Gelegenheit nach zu holen, und ich trage kein Bedenken, es zu thun, da ich gewiß weiß, diese Schnurren werden den meisten meiner Leser nicht unwillkommen seyn.
Der Anfang des neuen Jahres wurde in Gies- sen auf eine höchst seltsame Art gefeiert. Abends ging jeder Student, wie gewöhnlich, in eine Knei- pe zum Eberhard Busch, in die Kraußkopferey, Reiberey oder wo sonst hin: Schnapps und Bier wurde getrunken, und das lustige Leben währte bis um halb Zwölf. Wenns so hoch an der Zeit war, lief jeder Student nach Hause: schon vorher war der Nachttopf ins Fenster gesezt worden, nachdem man ihn mit Unflath aller Art angefüllt hatte: manche patriotische Studenten versahen sich mit mehrern Nachttöpfen zu diesem nobeln Geschäfte. Auf den Glockenschlag zwölf ertönte ein helles: "pe- reat das alte Jahr!" aus allen Fenstern, wo Studen- ten wohnten, und die Nachttöpfe, Brunzkacheln zu Gießen genannt, flogen mit ihrem garstigen Inhalt auf die Straße. Dann ertönte ein munte- res: "vivat das neue Jahr!" worauf die meisten ihren Weg wieder nach den Kneipen nahmen und da bis an den hellen Tag zechten. Die Straßen zu
Gießen
und woran ich mit unter beſondern Antheil gehabt hatte. Dornenſteeg und mehrere, die es hoͤrten, daß noch hiſtoriſche Reliquien da waren, erſuchten mich, dieſelben bey Gelegenheit nach zu holen, und ich trage kein Bedenken, es zu thun, da ich gewiß weiß, dieſe Schnurren werden den meiſten meiner Leſer nicht unwillkommen ſeyn.
Der Anfang des neuen Jahres wurde in Gieſ- ſen auf eine hoͤchſt ſeltſame Art gefeiert. Abends ging jeder Student, wie gewoͤhnlich, in eine Knei- pe zum Eberhard Buſch, in die Kraußkopferey, Reiberey oder wo ſonſt hin: Schnapps und Bier wurde getrunken, und das luſtige Leben waͤhrte bis um halb Zwoͤlf. Wenns ſo hoch an der Zeit war, lief jeder Student nach Hauſe: ſchon vorher war der Nachttopf ins Fenſter geſezt worden, nachdem man ihn mit Unflath aller Art angefuͤllt hatte: manche patriotiſche Studenten verſahen ſich mit mehrern Nachttoͤpfen zu dieſem nobeln Geſchaͤfte. Auf den Glockenſchlag zwoͤlf ertoͤnte ein helles: „pe- reat das alte Jahr!“ aus allen Fenſtern, wo Studen- ten wohnten, und die Nachttoͤpfe, Brunzkacheln zu Gießen genannt, flogen mit ihrem garſtigen Inhalt auf die Straße. Dann ertoͤnte ein munte- res: „vivat das neue Jahr!“ worauf die meiſten ihren Weg wieder nach den Kneipen nahmen und da bis an den hellen Tag zechten. Die Straßen zu
Gießen
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0104"n="96"/>
und woran ich mit unter beſondern Antheil gehabt<lb/>
hatte. Dornenſteeg und mehrere, die es hoͤrten,<lb/>
daß noch hiſtoriſche Reliquien da waren, erſuchten<lb/>
mich, dieſelben bey Gelegenheit nach zu holen,<lb/>
und ich trage kein Bedenken, es zu thun, da ich<lb/>
gewiß weiß, dieſe Schnurren werden den meiſten<lb/>
meiner Leſer nicht unwillkommen ſeyn.</p><lb/><p>Der Anfang des neuen Jahres wurde in Gieſ-<lb/>ſen auf eine hoͤchſt ſeltſame Art gefeiert. Abends<lb/>
ging jeder Student, wie gewoͤhnlich, in eine Knei-<lb/>
pe zum Eberhard Buſch, in die Kraußkopferey,<lb/>
Reiberey oder wo ſonſt hin: Schnapps und Bier<lb/>
wurde getrunken, und das luſtige Leben waͤhrte bis<lb/>
um halb Zwoͤlf. Wenns ſo hoch an der Zeit war,<lb/>
lief jeder Student nach Hauſe: ſchon vorher war<lb/>
der Nachttopf ins Fenſter geſezt worden, nachdem<lb/>
man ihn mit Unflath aller Art angefuͤllt hatte:<lb/>
manche patriotiſche Studenten verſahen ſich mit<lb/>
mehrern Nachttoͤpfen zu dieſem nobeln Geſchaͤfte.<lb/>
Auf den Glockenſchlag zwoͤlf ertoͤnte ein helles: „<hirendition="#aq">pe-<lb/>
reat</hi> das alte Jahr!“ aus allen Fenſtern, wo Studen-<lb/>
ten wohnten, und die Nachttoͤpfe, Brunzkacheln<lb/>
zu Gießen genannt, flogen mit ihrem garſtigen<lb/>
Inhalt auf die Straße. Dann ertoͤnte ein munte-<lb/>
res: „<hirendition="#aq">vivat</hi> das neue Jahr!“ worauf die meiſten<lb/>
ihren Weg wieder nach den Kneipen nahmen und<lb/>
da bis an den hellen Tag zechten. Die Straßen zu<lb/><fwplace="bottom"type="catch">Gießen</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[96/0104]
und woran ich mit unter beſondern Antheil gehabt
hatte. Dornenſteeg und mehrere, die es hoͤrten,
daß noch hiſtoriſche Reliquien da waren, erſuchten
mich, dieſelben bey Gelegenheit nach zu holen,
und ich trage kein Bedenken, es zu thun, da ich
gewiß weiß, dieſe Schnurren werden den meiſten
meiner Leſer nicht unwillkommen ſeyn.
Der Anfang des neuen Jahres wurde in Gieſ-
ſen auf eine hoͤchſt ſeltſame Art gefeiert. Abends
ging jeder Student, wie gewoͤhnlich, in eine Knei-
pe zum Eberhard Buſch, in die Kraußkopferey,
Reiberey oder wo ſonſt hin: Schnapps und Bier
wurde getrunken, und das luſtige Leben waͤhrte bis
um halb Zwoͤlf. Wenns ſo hoch an der Zeit war,
lief jeder Student nach Hauſe: ſchon vorher war
der Nachttopf ins Fenſter geſezt worden, nachdem
man ihn mit Unflath aller Art angefuͤllt hatte:
manche patriotiſche Studenten verſahen ſich mit
mehrern Nachttoͤpfen zu dieſem nobeln Geſchaͤfte.
Auf den Glockenſchlag zwoͤlf ertoͤnte ein helles: „pe-
reat das alte Jahr!“ aus allen Fenſtern, wo Studen-
ten wohnten, und die Nachttoͤpfe, Brunzkacheln
zu Gießen genannt, flogen mit ihrem garſtigen
Inhalt auf die Straße. Dann ertoͤnte ein munte-
res: „vivat das neue Jahr!“ worauf die meiſten
ihren Weg wieder nach den Kneipen nahmen und
da bis an den hellen Tag zechten. Die Straßen zu
Gießen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Laukhard, Friedrich Christian: F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Bd. 5. Leipzig, 1802, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/laukhard_leben05_1802/104>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.